2. Juli 2020
Für neue und erfinderische Wirkstoffe oder für eine neue und erfinderische Verwendung bereits bekannter Wirkstoffe kann ein Patent erlangt werden, das seinem Inhaber das alleinige Recht gibt, die patentierte Erfindung zu benutzen und Dritten ihre Nutzung zu verbieten (§ 9 PatG). Dies gilt auch bei Arzneimitteln und Impfstoffen, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingesetzt werden können.
In besonderen Ausnahmefällen eines überragenden öffentlichen Interesses ist es möglich, dass zwei Einschränkungen des Ausschließlichkeitsrechts erfolgen können: Einerseits kann ein Wettbewerber eine Zwangslizenz an dem Patent erhalten (§ 24 PatG). Andererseits kann der Staat eine Benutzungsanordnung diesbezüglich erlassen (§ 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG). In beiden Fällen muss der Patentinhaber die Benutzung seiner Erfindung durch Dritte dulden und verliert damit das wirtschaftlich lukrative Ausschließlichkeitsrecht, andere von der Benutzung auszuschließen.
Ja, unter bestimmten Bedingungen kann der Wettbewerber in einem Gerichtsverfahren am Bundespatentgericht erreichen, dass ihm eine Zwangslizenz eingeräumt wird. Das setzt zweierlei voraus:
Eine Zwangslizenz ist immer eine einfache Lizenz (§ 24 Abs. 1 PatG). Daraus folgt, dass sowohl der Patentinhaber als auch mögliche Lizenznehmer die patentierte Erfindung weiterhin so benutzen können wie vor der Lizenzgewährung. Sie können ihr Medikament gegen COVID-19 also insbesondere weiter herstellen und verkaufen.
Daneben darf nun aber auch der Zwangslizenznehmer die patentierte Erfindung gewerblich nutzen. In welchem Umfang ihm die Benutzung gestattet ist, schreibt das Gesetz nicht vor. Es ist Aufgabe des Gerichts, den Umfang der Zwangslizenz auf den Zweck zu begrenzen, zu dem sie im konkreten Fall gewährt wurde (§ 24 Abs. 6 S. 3 PatG). Es kann die Zwangslizenz dabei auch einschränken oder von Bedingungen abhängig machen (§ 24 Abs. 6 S. 2 PatG). Muss für die Herstellung eines dringend benötigten COVID-19-Medikaments etwa nur der Hauptanspruch eines Patents benutzt werden, nicht aber die Unteransprüche, wird die Zwangslizenz entsprechend beschränkt gewährt werden. Es ist auch denkbar, wenngleich noch nicht höchstrichterlich entschieden, dass eine Zwangslizenz unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur zur Verwendung des Medikaments für bestimmte Patientengruppen erteilt wird, sofern nur insoweit ein öffentliches Interesse gegeben ist und es praktikable Abgrenzungskriterien für diese Gruppen gibt.
Ja. Gewährt das Bundespatentgericht eine Zwangslizenz, steht dem Patentinhaber gegen den Lizenznehmer ein Vergütungsanspruch zu. Die Höhe der vom Gericht festzusetzenden Lizenzgebühr muss dabei den Umständen des Falles angemessen sein und den wirtschaftlichen Wert der Zwangslizenz in Betracht ziehen (§ 24 Abs. 6 S. 4 PatG). Sie orientiert sich daran, was Patentinhaber und Lizenznehmer im Fall einer vertraglichen Einigung vernünftigerweise vereinbart hätten.
Nein, auch ein Patent auf Arzneimittel zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie kann seinem Inhaber nicht einfach entzogen werden. Es ist allerdings unter bestimmten Umständen möglich, dass das Bundesgesundheitsministerium oder eine Behörde, die ihm nachgeordnet ist, eine Benutzungsanordnung gemäß § 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG erlässt. Diese Rechtsgrundlage hat der Gesetzgeber im Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite neu eingeführt. In einer solchen Benutzungsanordnung werden bestimmte Benutzungshandlungen festgelegt, die der Patentinhaber dulden muss – etwa die Produktion seines COVID-19-Impfstoffs. Liegt eine derartige Anordnung vor, können die Behörden z.B. ein privates Unternehmen damit beauftragen, den Impfstoff für sie herzustellen, ohne dass der Patentinhaber dies verhindern kann. Den Bestand des Patents berührt die Benutzungsanordnung jedoch nicht.
Der neue § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG greift nur für gewisse Patente: Er betrifft lediglich Patente auf Arzneimittel und Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe hierfür, Medizinprodukte, Labordiagnostik, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Desinfektionsprodukte (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG). Erfasst sind dabei neben Produktpatenten auch Verfahrenspatente. Auch der Inhaber eines Patents auf den Herstellungsprozess von Schutzkleidung zum Beispiel kann von einer Benutzungsanordnung auf der neuen Rechtsgrundlage betroffen sein.
Das Bundesgesundheitsministerium oder die Behörden, die es damit beauftragt hat, dürfen die Benutzungsanordnung zudem nur erlassen, wenn dadurch eines von zwei alternativen Interessen gesichert wird: das Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder das Interesse der Sicherheit des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Begründung für das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ausgeführt, wann diese Interessen während der COVID-19-Pandemie betroffen sein können: Danach soll eine Benutzungsanordnung erlassen werden können, wenn im Krisenfall ein Versorgungsengpass bei lebenswichtigen Wirkstoffen oder Arzneimitteln auftritt. Damit stellt er hohe Voraussetzungen für den Erlass einer Benutzungsanordnung auf.
Nein. Eine Benutzungsanordnung nach § 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG hat zum Ziel, Versorgungsengpässe bei Wirkstoffen und Arzneimitteln zu beheben, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie notwendig sind. Würde dem Patentinhaber und seinen Lizenznehmern die Herstellung der Medikamente untersagt, widerspräche das dem Ziel einer möglichst weitreichenden Versorgung der Bevölkerung hiermit. Die Benutzungsanordnung wird deshalb voraussichtlich nur den Umfang einer einfachen Lizenz haben, mit der dritten Unternehmen zusätzlich zu dem Patentinhaber die Herstellung der COVID-19-Arzneimittel im staatlichen Auftrag gestattet wird.
Ja. Erlassen das Bundesgesundheitsministerium oder eine nachgeordnete Behörde eine Benutzungsanordnung, hat der Patentinhaber nach § 13 Abs. 3 S. 1 PatG einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung.
Der Anspruchsgegner ist allerdings nicht das Unternehmen, das das COVID-19-Medikament herstellt, sondern der Bund, der dies in Auftrag gegeben hat.
Die Höhe der Vergütung wird unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Patentinhabers bestimmt. Gefestigte Rechtsprechung zu ihrer Berechnung existiert noch nicht, so dass aus heutiger Sicht unklar ist, mit welcher Zahlung der Patentinhaber rechnen kann. Zu erwarten ist, dass die Vergütung mithilfe der Lizenzanalogie berechnet werden würde. Entsteht zwischen dem Bund und dem Patentinhaber Streit über die Vergütung, können sie die Zivilgerichte anrufen, die dann die Höhe des Vergütungsanspruchs verbindlich festlegen (§ 13 Abs. 3 S. 2 PatG).
Die Benutzungsanordnung nach § 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG ist ein Verwaltungsakt. Hat das Bundesgesundheitsministerium die Anordnung erlassen, kann mit einer Anfechtungsklage dagegen vorgegangen werden (§ 42 Abs. 1 VwGO). Achtung: Diese Klage muss nach § 13 Abs. 2 PatG beim Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.
Hat eine nachgeordnete Behörde die Benutzungsanordnung im Auftrag des Ministeriums erlassen, kann es nach dem jeweiligen Landesrecht nötig sein, vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren zu durchlaufen (§§ 68 ff. VwGO). Die Anfechtungsklage muss in diesem Fall bei dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden.
Zu beachten ist jedoch, dass Rechtsbehelfe gegen eine Benutzungsanordnung nach § 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG keine aufschiebende Wirkung haben (§ 5 Abs. 4 S. 4 IfSG). Zusätzlich zum statthaften Anfechtungsrechtsbehelf sollte der Patentinhaber daher einen gerichtlichen Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs stellen, wenn er den Sofortvollzug der Anordnung verhindern will (§ 80 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Nein, weder die Zwangslizenz noch die Benutzungsanordnung gestatten Dritten eine zeitlich unbefristete Benutzung.
Wird eine Zwangslizenz gewährt, muss das Gericht den Zeitraum, in dem die Benutzung zulässig ist, schon bei der Erteilung festlegen. Die Zwangslizenz darf dabei nur so lange bestehen, wie es ihr Zweck gebietet (§ 24 Abs. 6 S. 3 PatG). Wird sie also gewährt, um einen Versorgungsengpass mit COVID-19-Medikamenten zu beheben, darf sie nur den Zeitraum umfassen, in dem ein solcher Engpass auch besteht. Weil dies nur schwer zu prognostizieren ist, ist es zwar denkbar, dass der Gesundheitsschutz der Bevölkerung schon vor Ablauf der im Urteil bestimmten Zeit gewährleistet ist. In dem Fall hat der Patentinhaber jedoch gemäß § 24 Abs. 6 S. 6 PatG einen Anspruch darauf, dass die Zwangslizenz zurückgenommen wird. Zu diesem Zweck kann er beim Bundespatentgericht eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO erheben.
Auch eine Benutzungsanordnung muss schon bei ihrem Erlass zeitlich auf den Zeitraum befristet werden, in dem ein Versorgungsengpass besteht. Nur in dieser Form ist sie schließlich verhältnismäßig. Der Patentinhaber hat außerdem einen Anspruch auf Aufhebung der Benutzungsanordnung, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Ist die Versorgung der Bevölkerung mit COVID-19-Medikamenten sichergestellt, kann er deshalb darauf hinwirken, dass die Anordnung aufgehoben wird – äußerstenfalls im Wege der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO).
Eine Besonderheit der Benutzungsanordnung ist zudem, dass § 5 IfSG in seiner heutigen Fassung nur bis zum 31. März 2021 gültig ist. Eine Benutzungsordnung, die auf seiner Basis erlassen wurde, gilt deshalb spätestens mit Ablauf dieses Tages als aufgehoben. Wird die Feststellung der epidemischen Lage, die der Bundestag am 27. März 2020 getroffen hat, schon vorher aufgehoben, gilt das auch für die Benutzungsanordnung (§ 5 Abs. 4 S. 3 IfSG).
Wer nicht Gefahr laufen möchte, die Benutzung seines COVID-19-Arzneimittels durch Dritte zwangsweise dulden zu müssen, kann proaktiv einige Maßnahmen ergreifen, um den Bedarf nach Zwangsmaßnahmen auszuräumen:
Derartige Kooperationen bergen stets das Risiko, als abgestimmte Verhaltensweise i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV eingeordnet zu werden. Für eine Zusammenarbeit pharmazeutischer Unter-nehmen, mit der logistischen Engpässen bei der Versorgung mit COVID-19-Arzneimitteln begegnet werden soll, ließ die zuständige Europäische Kommission außerdem jüngst in einem „Comfort Letter“ erkennen, dass sie prinzipiell möglich sein soll. Zugleich zeigte sie darin aber auch die engen Grenzen der kartellrechtlich zulässigen Kooperation auf. Patentinhaber sollten deshalb stets im Einzelfall prüfen, ob und inwieweit der konkrete geplante Zusammenschluss erlaubt ist.
PDF-Version: FAQ zu Zwangslizenzen und Benutzungsanordnungen
Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen