16. April 2020
Am 20. März 2020 hatte bereits der Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil, erklärt, er halte Betriebsratsbeschlüsse, die wegen der Corona-Pandemie in Telefon- oder Videokonferenzen gefasst werden, für wirksam. Arbeitgeber und deren anwaltlichen Berater hatte er trotz sicherlich gutem Willen dadurch in Erklärungsnöte gebracht. Sie mussten den Betriebsräten nun erklären, dass das Betriebsverfassungsgesetz die „Anwesenheit“ der Mitglieder des Betriebsrats für die Beschlussfassung voraussetzt, was nach herrschender Meinung allen Digitalisierungstendenzen zum Trotze wohl auch die physische Anwesenheit bedeutet. Der Bundesarbeitsminister allein kann trotz Corona das Betriebsverfassungsgesetz nicht ändern.
Nun hat die Bundesregierung aber nachgezogen und strebt eine Gesetzesänderung für die vielfach geforderten virtuellen Betriebsratssitzungen im Eiltempo an. Die Regelungen, die auf den ersten Blick einen Meilenstein in Richtung der digitalisierten Betriebsratsarbeit darstellen, sollen jedoch zunächst nur befristet bis zum 31. Dezember 2020 gelten.
Gerade in Krisenzeiten sind Arbeitgeber auf die Handlungs- und Beschlussfähigkeit des Betriebsrates dringend angewiesen. Zum Beispiel Fragen des Gesundheitsschutzes, der Arbeitszeitgestaltung und -/erfassung, der Schichtplanung, des Datenschutzes und der Kurzarbeit stehen nun oftmals mit enormen Zeitdruck auf der Tagesordnung. Bei all diesen Themenkreisen müssen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beachtet werden, bevor der Arbeitgeber tätig werden kann.
Die interne Betriebsratskommunikation konnte – sofern die dazu erforderliche Technik zur Verfügung stand – auch bisher schon digital erfolgen. Für die Beschlussfassung sieht das Betriebsverfassungsgesetz jedoch deutlich strengere Voraussetzungen vor. Der Betriebsrat ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt. Sollten einzelne Betriebsratsmitglieder (inkl. der Ersatzmitglieder) vorübergehend verhindert sein, z.B. durch Quarantäne und/ oder Arbeitsunfähigkeit, ist mit Blick auf die Berechnung des Quorums auf die Zahl der verfügbaren Betriebsratsmitglieder abzustellen. Diese Erleichterung gilt aber nur für fristgebundene Beschlüsse, z.B. Zustimmung zur Einstellung und Kündigung. Beschlüsse des Betriebsrates im Umlaufverfahren sind unzulässig.
Damit Betriebsratsbeschlüsse wirksam sind, müssen sie insbesondere
In Zeiten der Corona-Pandemie, teilweiser Einstellung der Produktionskapazitäten, Home-Office und Quarantäne-Maßnahmen sind diese Anwesenheitserfordernisse nur noch sehr schwer zu erfüllen. Die Gesetzesinitiative der Bundesregierung setzt hier an und hat nun Erleichterungen beschlossen.
Ob Betriebsratsbeschlüsse, die im Rahmen von Video- oder Telefonkonferenzen gefasst werden, wirksam sind, war bisher heftig umstritten. Klärende höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es – soweit ersichtlich – nicht. Daher bestand ein erhebliches Risiko, dass eine im Wege einer Videokonferenz beschlossene Betriebsvereinbarung wegen eines Verstoßes gegen das Anwesenheitserfordernis sowie den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz unwirksam ist. Von virtuellen Betriebsratsbeschlüssen, insbesondere wenn (i) diese Drittwirkungen entfalten (wie die meisten), (ii) Grundlage für staatlichen Leistungsbezug (wie beim Kurzarbeitergeld) oder (iii) eine Datenverarbeitung sind, konnte in Ansehung dieses Risikos nur dringend abgeraten werden.
Inwieweit nach dem Gesetzeswortlaut überhaupt eine physische Anwesenheit erforderlich ist, wurde im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung zwar immer stärker auch durch namhafte Stimmen in der Literatur bestritten. Allerdings verblieben auf beiden Seiten erhebliche Rechtsunsicherheiten und der Ruf nach einer gesetzlichen Neuregelung wurde in der Vergangenheit deutlich lauter.
Die Corona-Pandemie hat das Bedürfnis nach einer rechtssicheren Möglichkeit, Betriebsratsarbeit digital zu gestalten, nun noch einmal erhöht. Bei vielen Unternehmen wuchs die Sorge, dass die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Betriebsräte während der Zeit, in der wegen des erhöhten Infektionsrisikos nahezu ausschließlich im Home-Office gearbeitet wird, nicht mehr gewährleistet werden könnte. Umso erfreulicher ist, dass die Bundesregierung durch ihren Reformvorschlag für die bei vielen Unternehmen bereits nachgefragte Klarheit gesorgt hat.
Die vorgeschlagenen Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes sehen konkret vor, dass Personalvertretungen die Möglichkeit erhalten, Beschlüsse vorerst auch via Video- und Telefonkonferenz zu fassen. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Bundesregierung ausdrücklich auch über diese Kommunikationsform bereits gefassten Beschlüssen Wirksamkeit zusichern möchte und die Regelungen daher rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft treten sollen.
Im Vorgriff auf die geplante Gesetzesänderung sollten Arbeitgeber und Betriebsräte die Rahmenbedingungen für virtuelle Beschlüsse des Betriebsrates schaffen. Hierfür ist zunächst unabdingbar, dass die Betriebsräte mit der erforderlichen IT-Infrastruktur ausgestattet werden. Sofern in dem Unternehmen bereits ein Konzept zur Sicherstellung der IT Sicherheit besteht, sollte dieses entsprechend auf die digitale Kommunikation und Beschlussfassung des Betriebsrates übertragen werden. Da auch nach der avisierten Gesetzesänderung Wirksamkeitsvoraussetzung der Ausschluss der Öffentlichkeit ist, muss sichergestellt werden, dass sämtliche Videokonferenzen verschlüsselt durchgeführt werden können. Zudem empfiehlt sich, in die Geschäftsordnung des Betriebsrats die digitale Beschlussfassung ausdrücklich mit aufzunehmen und entsprechend zu regeln. Hier können unter anderem auch Geheimhaltungspflichten der jeweiligen Mitglieder des Betriebsrates vorgesehen werden.
Ob die virtuellen Betriebsratssitzungen auch nach dem Ende der Pandemie noch Bestand haben, bleibt abzuwarten. Was in anderen Ländern wie Frankreich bereits seit 2015 selbstverständlich ist, hat sich in Deutschland jedenfalls noch nicht gleichermaßen etabliert. Während der Gesetzgeber für Seebetriebsräte in Umsetzung einer EU-Richtlinie virtuelle Betriebsratssitzungen ausdrücklich erlaubt, sind die nun vorgesehenen Regelungen für Betriebsräte bis Ende des Jahres befristet.
Dass die Rückkehr zur Präsenzpflicht 2021 noch als zeitgemäß erscheinen wird, darf zumindest bezweifelt werden.
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