26. November 2019
Aktuellen Anlass zu einer näheren Betrachtung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes („WpÜG“) bietet die derzeit laufende Übernahme der Osram Licht AG durch den österreichischen Chip- und Sensorhersteller AMS AG. Ein erster Übernahmeversuch war Anfang Oktober gescheitert. Die Bietergesellschaft, die „Opal Bidco GmbH“, eine Tochtergesellschaft der AMS AG, hatte nicht den geforderten Mindestanteil an Aktien von 62,5 Prozent angedient bekommen. Kurz darauf unternahm die AMS AG durch eine weitere hundertprozentige Tochtergesellschaft, die „AMS Offer GmbH", einen zweiten Anlauf zur Übernahme der Osram Licht AG. Die BaFin ließ im Rahmen dieser erneuten Offerte erstmals die Zehn-Werktage-Frist zur Gestattung oder Untersagung der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG) verstreichen. Infolge der hierdurch eingetretenen Gestattungsfiktion des § 14 WpÜG konnte der Bieter die neue Angebotsunterlage mit Ablauf des 6. November 2019 veröffentlichen.
Der Betriebsrat der Osram Licht AG sah in dem Vorgehen der AMS einen Verstoß gegen die Sperrfrist des § 26 WpÜG und wandte sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Gestattung der Angebotsunterlage durch die BaFin. § 26 WpÜG normiert eine Sperrfrist von einem Jahr, innerhalb derer ein erneutes Übernahmeangebot des Bieters für dieselbe Zielgesellschaft unzulässig ist, wenn der Bieter zuvor mit einem Angebot gescheitert ist. Zweck der Vorschrift ist der Schutz der Zielgesellschaft. Diese soll in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus durch ein Übernahmeangebot eingeschränkt werden. Nach Ansicht des Betriebsrats gelte diese Sperrfrist für die AMS und jegliche ihrer Tochtergesellschaften.
Den Antrag des Betriebsrats auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das OLG Frankfurt jedoch ab. Im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung entschied das Gericht, dass die gesetzlichen Vorschriften des WpÜG nur dem öffentlichen Interesse dienen und grundsätzlich keine drittschützende Wirkung entfalten. Dem Betriebsrat stehe kein Anspruch auf Untersagung des Angebots gegen die BaFin zu. Soweit das WpÜG den betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungen bestimmte Rechte einräume, bezwecke dies ausschließlich das Recht auf Teilhabe und Information des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer und begründe keine individuellen gerichtlich durchsetzbaren Rechte. Zu der Frage, ob die Sperrfrist des § 26 WpÜG auch für andere Rechtssubjekte als nur die formale Bietergesellschaft gelten solle, musste das Gericht daher keine Stellung beziehen.
Wie das Vorgehen der AMS AG bei der geplanten Übernahme der Osram Licht AG anschaulich zeigt, vermag § 26 WpÜG den Schutz der Zielgesellschaft nur unzulänglich zu gewährleisten. Die vom Gesetz angeordnete Sperrfrist kann nach Belieben des Bieters umgangen werden – etwa durch Einschaltung verschiedener Tochtergesellschaften oder Gründung von Bietergesellschaften zum Zweck der Übernahme. Der Wortlaut der Vorschrift spricht nur von dem „Bieter“, nicht aber von mit ihm „gemeinsam handelnden Personen“ oder „Tochtergesellschaften“. Eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung muss daher zu dem Ergebnis gelangen, dass es allein der Bietergesellschaft selbst verboten ist, innerhalb der Sperrfrist ein erneutes Erwerbs- oder Übernahmeangebot auf die Zielgesellschaft abzugeben. Angebote anderer Rechtssubjekte unterliegen der Sperrfrist hingegen nicht. Für eine solche Auslegung spricht auch der Umstand, dass das Gesetz an zahlreichen anderen Stellen klar zwischen dem Bieter selbst (§ 2 Abs. 4 WpÜG), mit ihm gemeinsam handelnden Personen (§ 2 Abs. 5 WpÜG) sowie Tochtergesellschaften (§ 2 Abs. 6 WpÜG) differenziert.
Um zu unterbinden, dass derselbe Bieter zeitnah nach einem erfolglosen Angebot erneute Übernahmeversuche durch gemeinsam handelnde Personen oder durch Tochtergesellschaften unternehmen kann, werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur eine am Normzweck orientierte Auslegung sowie ein Rückgriff auf die allgemeine Missbrauchsaufsicht thematisiert.
Indes dürfte eine mit dem Zweck der Vorschrift begründete analoge Anwendung des § 26 WpÜG auf ursprünglich bzw. beim erneuten Angebot gemeinsam mit dem Bieter handelnde Personen ebenso ausscheiden, wie der Ansatz, demzufolge vom Merkmal des „Bieters“ auch solche Personen erfasst sein sollen, von denen nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht oder auf die das Angebot materiell zurückgeführt werden kann. Das aus dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG folgende Analogieverbot, der klare Gesetzeswortlaut sowie die Vorschrift des § 2 Abs. 4 WpÜG, der zufolge Bieter nur die Person ist, die formell Partei des Erwerbsvertrags wird, lässt jegliche den Wortlaut erweiternde Auslegung der öffentlich-rechtlichen Verbotsnorm des § 26 WpÜG als äußerst bedenklich erscheinen.
Schließlich erscheint auch der Rückgriff auf die allgemeine Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG – bestehend etwa in einer Anordnung der Sperrfrist durch die BaFin – nicht als gangbarer Weg. Weil § 26 WpÜG lex specialis
zu § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG ist, kann das durch § 26 WpÜG normierte Nichtbestehen einer Sperrfrist für andere Rechtssubjekte rechtssystematisch nicht durch Anwendung der allgemeineren Vorschrift umgangen werden.
Der Gesetzgeber hat auf den Bieterkampf um die Osram Licht AG und die als Missstand empfundenen Umgehungsmöglichkeiten sehr eilig reagiert und den Tatbestand des § 26 WpÜG erweitert. Nunmehr werden von der einjährigen Sperrfrist auch solche Personen erfasst, die zwischen der Veröffentlichung des gescheiterten Angebots und dem Ablauf der Annahmefrist mit dem Bieter gemeinsam handeln. Überdies soll eine Ergänzung des § 15 WpÜG ausdrücklich regeln, dass ein Verstoß gegen die Sperrfrist zu einer Untersagung des öffentlichen Angebots nach § 15 WpÜG führt – eine zumindest in der Literatur umstrittene Frage. Um eine schnellstmögliche Anwendung zu ermöglichen, soll die Gesetzesänderung bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.
Im Hinblick auf die Zielsetzung des WpÜG, die Zielgesellschaft nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern, die einfachen Umgehungsmöglichkeiten der Norm und im Sinne der Rechtssicherheit ist eine Anpassung des § 26 WpÜG zwar durchaus begrüßenswert. Schließlich besteht nicht nur in der Literatur Uneinigkeit hinsichtlich der Auslegung der Vorschrift des § 26 WpÜG, sondern offenbar auch zwischen Exekutive und Legislative. So scheint die BaFin den Begriff des Bieters eng auszulegen und das Bundesfinanzministerium hat sich ausdrücklich dahingehend geäußert, dass der Wortlaut der Vorschrift eindeutig sei und nur das jeweilige Bietervehikel erfasse, nicht aber dahinterstehende Rechtssubjekte. Demgegenüber vertritt der Finanzausschuss in dem die vorgesehene Gesetzesänderung darstellenden Bericht vom 14.11.2019 die Auffassung, dass bereits nach bestehender Rechtslage die Vorschrift des § 26 Abs. 1 WpÜG auf gemeinsam mit dem Bieter handelnde Personen im Sinne von § 2 Abs. 5 WpÜG anzuwenden sei und der Änderung daher lediglich klarstellender Charakter zukomme.
Allerdings bleibt abzuwarten, ob die nun vorgenommene Erweiterung des Tatbestands sich tatsächlich als praktikabel und angemessen erweist. Insbesondere könnte das Erfassen jeglicher gemeinsam mit dem Bieter handelnden Personen den Tatbestand unangemessen erweitern, da nunmehr etwa auch Investmentbanken, welche beim ursprünglichen Angebot mit dem Bieter gemeinsam gehandelt haben, dem Tatbestand unterfallen dürften. Möglicherweise wäre der Gesetzgeber besser beraten gewesen, andere Lösungen, die sicherstellen, dass die Zielgesellschaft nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit behindert wird, gründlich zu prüfen. Denkbar wäre etwa die Ergänzung nur um solche Personen, auf die die Angebotsunterlage wirtschaftlich zurückzuführen ist oder gar eine ausschließlich in das Ermessen der BaFin gestellte Möglichkeit zur Untersagung eines erneuten Angebots innerhalb einer gewissen Frist.
Autoren: Dr. Lars-Gerrit Lüßmann und Tobias Kraut
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von Dr. Oliver Rothley und Tobias Kraut