5. April 2018

Schiene 4.0 – Die Digitalisierungslokomotive

Neben der Straße ist die Schiene der bedeutendste Verkehrsträger in Deutschland. Neue Mobilitätskonzepte machen auch vor ihr nicht halt. Die Digitalisierung der Bahnindustrie betrifft Fahrzeuge, Infrastruktur und Automatisierung.


Fahrzeuge

Schon heute bilden Hard- und Software zentrale Bestandteile eines Zuges, sowohl in der Steuerung und Kontrolle der Einzelsysteme als auch bezogen auf den Zug in seiner Gesamtheit. Ein Train Control Management System (TCMS), das „Gehirn des Zuges“, ist ein typisches Beispiel hierfür. Es verknüpft die Einzelsysteme miteinander und ermöglicht deren Steuerung und Kontrolle.

Neben der Digitalisierung der Fahrzeuge steht die intelligente Fahrzeuginstandhaltung im Fokus. Hierfür werden Systeme zur Selbstdiagnose genutzt, die Daten aus den Zügen und der Infrastruktur in Echtzeit analysieren. Vorteil: Wartungsarbeiten werden automatisch sowie optimiert geplant, was starre Wartungsintervalle überflüssig macht.

Infrastruktur

Eines der wesentlichen Themen im Zusammenhang mit der Infrastruktur ist die Digitalisierung der Stellwerke. Züge können mit den modernen Anlagen punktgenau geortet sowie gesteuert und der Verkehrsfluss so optimiert werden. Zudem erlaubt die Digitalisierung des Schienennetzes eine vorausschauende Wartungs- und Instandhaltungsplanung der technischen Anlagen.

Zugsicherungssysteme sind ein weiteres Beispiel für die Digitalisierung der Schieneninfrastruktur. Sie bezeichnen technische Systeme im und außerhalb des Zuges, die die Geschwindigkeit der Züge kontrollieren, beeinflussen und gegebenenfalls eine Zwangsbremsung auslösen. Als Standard in Europa gilt das European Train Control System (ETCS), das langfristig die rund 20 nationalen Zugsicherungssysteme ersetzen soll. Es wird in Deutschland zum Beispiel auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und München eingesetzt.

Automatisierung

Neben Assistenzsystemen wie dem ATP-System (Automatic Train Protection), die den menschlichen Einfluss auf die Zugsteuerung immer weiter reduzieren, gibt es im Schienenverkehr schon seit Jahrzehnten autonom betriebene Fahrzeuge. Diese Technik wird vor allem bei geschlossenen Systemen verwendet. Dazu zählen die sogenannte People Mover, die auf relativ kurzen Strecken vollautomatisch operieren, zum Beispiel an Flughäfen. Ein weiteres Beispiel sind vollautomatisierte U-Bahnen, wie die U3 in Nürnberg.

Die mit der Digitalisierung der Bahnindustrie einhergehenden rechtlichen Herausforderungen sind erheblich. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der auf 30 bis 40 Jahre angelegten Lebensdauer von Schienenfahrzeugen und der teils noch längeren Lebensdauer der Infrastruktur. Abgesehen von Zertifizierungs- und Zulassungsfragen geht es dabei vor allem um folgendes:

Haftung

Mit der zunehmenden Automatisierung von Steuerung und Kontrolle der Züge stellen sich Haftungsfragen für den Fall von Personen- oder Sachschäden, die durch (teil-)autonome Fahrzeugsysteme verursacht worden sind. Grundsätzlich besteht eine Gefährdungshaftung zu Lasten des sogenannten Betriebsunternehmers der Schienenbahn, also in der Regel des lokalen Verkehrsunternehmens.

Die Frage nach den Rückgriffsmöglichkeiten des Betriebsunternehmers oder seiner Versicherung lässt sich aber ungleich schwieriger beantworten. Die Fehlerursachen können im Fahrzeug selbst, in der Infrastruktur, der (dezentralen) Überwachung oder der Kommunikation zwischen den einzelnen Systemen liegen. Die Verantwortung wird sich vom Fahrer oder Stellwerksmitarbeiter hin zur fehlerhaften Software und Hardware verlagern.

Vertragsgestaltung

Entsprechendes gilt für die Verteilung der Verantwortlichkeit im B2B-Bereich. Dies wird in der Praxis vor allem bei Fragen des Lieferverzugs virulent, da die zunehmende Komplexität der verbauten Hard- und Softwarelösungen in Fahrzeugen und die Anforderungen an die Interoperabilität der fahrzeuginternen und -externen Systemen Ingenieure vor erhebliche Herausforderungen stellen. Hier obliegt es den an der Vertragsgestaltung beteiligten Personen detaillierte vertragliche Regelungen vorzusehen, unter anderem durch klare Definitionen von Verantwortlichkeiten und Schnittstellen, die dies berücksichtigen.

IT-Sicherheit

Ein wesentlicher Aspekt im Kontext Bahn 4.0 ist die Datensicherheit. Da die Steuerung von modernen Zügen mittlerweile schon zu einem großen Teil teil-automatisiert oder sogar vollautomatisiert erfolgt, ist es von essentieller Bedeutung, den unberechtigten Zugriff auf sicherheitsrelevante Systeme wie Bremsen oder Weichen zu verhindern. Das 2015 in Kraft getretene IT-Sicherheitsgesetz sowie die zweite KRITIS-Verordnung definieren den Schienenverkehr als sogenannte „kritische Infrastruktur“. Deshalb müssen besondere Anforderungen an die IT-Sicherheit eingehalten und Meldepflichten bei IT-Störungen befolgt werden. Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt die europäische NIS-Richtlinie.

Sowohl für die Rechtspolitik als auch für den Kautelarjuristen bleibt für die rechtssichere Umsetzung der Schiene 4.0 viel zu tun.

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