Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) hat dieser Tage einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabebeschleunigungsgesetz) vorgelegt. Durch den Gesetzentwurf sollen Änderungen am nationalen Vergaberecht oberhalb der EU-Schwellenwerte vorgenommen werden. Am umfassendsten und relevantesten sind Änderungen des GWB, darüber hinaus werden aber auch die VgV, die SektVo, die KonzVgV und die VSVgV angepasst. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, den öffentlichen Beschaffungsprozess zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu flexibilisieren, um die anstehenden staatlichen Transformationsprojekte wie die Erneuerung und Verbesserung der Infrastruktur oder die Beschleunigung der Digitalisierung zu unterstützen. Der Gesetzentwurf enthält folgende Eckpunkte:
Auswahl der wesentlichen Änderungen im Vergaberecht
- Lockerung des Gleichbehandlungsgrundsatz für Bieter aus Drittstaaten: Der § 97 Abs. 2 GWB soll künftig den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Zulassung von Bietern aus Drittstaaten regeln. Eine Gleichbehandlung von Bietern aus Drittstaaten ist nur noch geboten, wenn diese nach Unionsrecht so vorgesehen ist, was insbesondere bei völkerrechtlichen Verträgen oder Freihandelsabkommen der Fall ist. Das Vergabebeschleunigungsgesetz setzt die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C 652/22 – Kolin vom 22. Oktober 2024 um, wonach es in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der EU fällt, den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittstaaten zu Vergabeverfahren in den Mitgliedstaaten zu regeln.
- Flexibilisierung bei der Vergabe von Teillosen: Künftig soll § 97 Abs. 4 GWB eine gemeinsame Vergabe bei der grundsätzlich vorgeschriebenen Vergabe in Teillosen in Fällen ermöglichen, bei denen Infrastrukturvorhaben aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ finanziert werden. Diese Regelung gilt für Projekte, deren Auftragswert den Schwellenwert aus § 106 Abs. 2 GWB um das Zweieinhalbfache übersteigt. Ziel der Neuregelung ist es, die zeitnahe Verwendung der kurzfristig bereitgestellten Mittel aus dem Sondervermögen zu gewährleisten. Es ist schwer nachvollziehbar, warum die Neuregelung auf Vergaben aus dem Sondervermögen beschränkt bleibt während andere Großvorhaben nicht profitieren. Nach drei Jahren ist eine Evaluierung vorgesehen, um Missbrauch vorzubeugen und sicherzustellen, dass die Interessen des Mittelstands gewahrt werden.
- Mögliche Verpflichtung für Auftragnehmer zur Wahrung der Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen: Durch die dritte relevante Änderung des § 97 GWB wird, in Reaktion auf die Schwächung der Position kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) durch die gerade besprochene Flexibilisierung bei der Teillosvergabe, den Interessen von KMU dadurch Rechnung getragen, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer zur Berücksichtigung der Interessen der KMU verpflichten kann. Das Gebot der Losvergabe muss dabei nicht zwingend an den Auftragnehmer weitergegeben werden, der Auftraggeber entscheidet nach Ermessen, welche Maßnahmen unter Berücksichtigung der mit der Flexibilisierung der Teillosvergabe verfolgten Effizienzgewinne angemessen sind.
- Erleichterung der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit: Die Verwaltungskooperation ist nach Ansicht des Gesetzgebers besonders wichtig, um Transformationsprojekte wie die Digitalisierung der Verwaltung umzusetzen. Zu diesem Zweck wird § 108 GWB unter Berücksichtigung der vergaberechtlichen Beschlusspraxis konkretisiert und wesentliche Definitionen wie die der Betrauung nach § 108 Abs, 1 Nr. 2 GWB ergänzt. Das bisher richterrechtliche anerkannte Verbot der Besserstellung privater Dritter durch öffentliche Kooperationen wird ebenfalls ausdrücklich normiert.
- Reduzierung von Nachweispflichten und Stärkung der Eigenerklärungen: Mit der Anpassung des § 122 Abs. 3 und 4 GWB sollen Nachweispflichten für Unternehmen im Bezug auf die Eignungskriterien reduziert werden. Zukünftig sollen Eigenerklärungen zunächst als Nachweisstandard ausreichen, während konkrete Nachweise nur von aussichtsreichen Unternehmen verlangt werden. Zudem wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Festlegung der Eignungskriterien und -nachweise ausdrücklich normiert, so dass öffentliche Auftraggeber künftig genauer prüfen müssen, ob die von ihnen gestellten Eignungsanforderungen und -nachweise für den Auftrag angemessen sind. Auch der Auftragswert soll hierbei künftig berücksichtigt werden, was bei geringeren Auftragswerten voraussichtlich zu niedrigeren Eignungs- und Nachweishürden für Unternehmen führen wird. Entsprechende Änderungen werden auch in den in den Vergabeverordnungen, insbesondere in § 48 VgV, vorgenommen.
- Unwirksamkeit nicht mehr zwingende Folge bei De-Facto-Vergaben: Durch das Einfügen eines neuen Abs. 4 in § 135 GWB wird für die Nachprüfungsinstanzen die Option geschaffen, dass bei zwingenden Gründen des Allgemeininteresses auch eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe, also eine ohne ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchgeführte Beauftragung, wirksam bleiben kann. Statt des bisher in § 135 Abs. 1 GWB zwingend vorgesehenen Vertragswiderrufs kann die Nachprüfungsinstanz gegen den öffentlichen Auftraggeber künftig eine Geldsanktion verhängen oder die Laufzeit des Vertrages verkürzen. Entsprechende Sanktionen sollen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Zwingende Gründe des Allgemeinwohls erfassen in erster Linie solche Aufträge, die Leistungen der Daseinsvorsorge, die nicht unterbrochen werden dürfen betreffen oder die der Wahrung der Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland dienen. Dem unterlegenen Bieter wird im Nachprüfungsverfahren auch weiterhin kein Schadensersatz gewährt, diesen kann er nur im Wege des Sekundärrechtsschutzes erreichen.
- Erleichterung bei Direktaufträgen: Durch Anpassung des § 55 BHO wird die bisher nur in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 BHO geregelte Wertgrenze für die Direktvergabe von Aufträgen ins Gesetz übernommen und auf EUR 50.000 festgelegt. Hierdurch soll sowohl die öffentliche Beschaffung beschleunigt als auch die Vergabestellen entlastet werden.
- Aufnahme von Nachhaltigkeits-, Qualitäts- und Innovationsaspekten bei Markterkundungen: Markterkundungen nach § 28 VgV sollen künftig neben den bisherigen, primär unmittelbar wirtschaftlichen leistungsbezogenen Aspekten auch umweltbezogene und soziale Aspekte erfassen. Auch Aspekte der Qualität und der Innovation sollen direkt bei der Markterkundung berücksichtigt werden können. Markterkundungen sollen künftig auch elektronisch durchgeführt werden können.
Rechtschutz
- Keine aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde: Die wohl bedeutendste Änderung des Vergabebeschleunigungsgesetzes dürfte sein, dass bei Ablehnung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer die sofortige Beschwerde künftig keine aufschiebende Wirkung nach § 173 GWB mehr entfalten soll. Dies hätte zur Folge, dass der Auftraggeber den Zuschlag unmittelbar nach der ablehnenden Entscheidung der Vergabekammer erteilen kann. Auch wenn hierdurch zweifelsfrei eine Beschleunigung des Vergabeverfahrens erreicht werden kann, werden vor den Vergabekammern unterlegene Bieter faktisch auf Sekundäransprüche beschränkt, wenn sie vor den Oberlandesgerichten obsiegen, da diese nur noch Feststellungsentscheidungen treffen. Insofern bestehen aus unserer Sicht Bedenken, ob diese erhebliche Einschränkung des Primärrechtsschutzes den Anforderungen des Art. 2 Abs. 9 der Nachprüfungsrichtlinie (89/665/EWG) und dem grundgesetzlich verankerten Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG genügt.
- Modernisierung und Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens: Durch eine Vielzahl kleinerer Änderungen soll das Nachprüfungsverfahren künftig effizienter und digitaler gestaltet werden. Verfahren vor den Vergabekammern sollen künftig auch elektronisch geführt werden können. Zur Verfahrensvereinfachung sollen viele Nebenentscheidungen (bspw. zur Beiladung) nicht mehr von der ganzen Kammer, sondern durch den Vorsitzenden oder den hauptamtlichen Beisitzer getroffen werden, um das Verfahren zu beschleunigen. Mündliche Verhandlungen sollen auf Antrag als Videoverhandlungen durchgeführt werden können.
Zeitplan
- Gesetzgebungsverfahren: Das Gesetz soll am 6. August vom Bundeskabinett beschlossen werden und anschließend in den Bundestag eingebracht werden.
- Inkrafttreten: Nach Verkündung soll das Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Quartalsanfangs in Kraft treten.
- Eine Evaluierung des Gesetzes ist fünf Jahre nach Inkrafttreten geplant, eine Evaluierung der Änderungen beim Losgrundsatz und der Erhöhung der Direktauftragswertgrenze bereits nach drei Jahren.