Wie mit seiner Pressemitteilung vom 11. Februar 2025 mitgeteilt, hat der BGH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH über die Frage, ob nationale Rechtsvorschriften, nach denen ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt wurde, Rückgriff bei seinen Geschäftsführern bzw. Vorstandsmitgliedern nehmen kann, mit dem Europarecht, insbesondere Art. 101 Abs. 1 AEUV, vereinbar ist.
In dem Ausgangsverfahren handelt es sich um die Revision (KZR 74/23) gegen das Urteil des OLG Düsseldorf vom 27. Juli 2023, VI-6 U 1/22 (Kart). Das OLG Düsseldorf hatte festgestellt, dass eine GmbH wegen einer Kartell-Geldbuße keinen Rückgriff auf ihren Geschäftsführer nehmen kann. Zur Besprechung des Urteils des OLG Düsseldorf gelangen Sie hier.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Der im Ausgangsverfahren beklagte Geschäftsführer war zugleich Vorstandsvorsitzender einer mit der GmbH verbundenen AG, welche ebenfalls an dem betreffenden Bußgeldverfahren beteiligt war.
Der von den beiden Gesellschaften in Anspruch genommene Beklagte hatte in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der AG und Geschäftsführer der GmbH in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 – zeitweise auch als Vorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes der Edelstahlindustrie – an einem rechtswidrigen Austausch von wettbewerblich sensiblen Informationen im Rahmen eines Kartells mitgewirkt. In dem Bußgeldverfahren gegen die an dem Kartell Beteiligten hat das Bundeskartellamt Geldbußen gegen zehn Unternehmen, zwei Branchenverbände und 17 verantwortliche Personen – darunter auch den Beklagten – verhängt.
Das gegen die klagende GmbH verhängte Bußgeld belief sich auf 4,1 Mio. Euro. Gegen die AG war kein gesondertes Bußgeld festgesetzt worden. Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren waren der AG aber Aufklärungs- und Verteidigerkosten in Höhe von mehr als einer Mio. Euro entstanden. Ein weiteres Bußgeld hat das Bundeskartellamt gegen den Beklagten persönlich verhängt.
Die GmbH begehrte von dem Beklagten den Ersatz der von ihr gezahlten Geldbuße und die AG Ersatz für die ihr im Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren entstandenen Aufklärungs- und Verteidigerkosten.
In erster Instanz hat das LG Düsseldorf die Klage mit Urteil vom 10. Dezember 2021 (Az.: 37 O 66/20 (Kart)) hinsichtlich des Unternehmens-Bußgeldes gegen die GmbH sowie der von der AG geltend gemachten Aufklärungs- und Verteidigerkosten abgewiesen.
Mit seinem Berufungsurteil hat das OLG Düsseldorf das landgerichtliche Urteil in den wesentlichen Punkten bestätigt, aber die Revision zum BGH zugelassen.
Mit Beschluss vom 11. Februar 2025 hat nunmehr der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegensteht, nach der ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder dafür in Regress nehmen kann.
Rechtliche Würdigung
Der Rechtsstreit betrifft die bislang in der Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für Geldbußen eines Unternehmens. Mit ihren Entscheidungen haben das LG Düsseldorf und das OLG Düsseldorf jeweils Stellung bezogen, indem sie eine entsprechende Haftung verneint haben. Die Position des BGH ist noch nicht eindeutig erkennbar. Aus der Vorlage lässt sich jedoch folgern, dass der BGH die von ihm formulierte Vorlagefrage als entscheidungserheblich ansieht. Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, eine unterschiedliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verhindern und damit die Einheitlichkeit und Effektivität des Unionsrechts zu sichern. Vor einer Entscheidung über die Revision sind vorab die einschlägigen deutschen Haftungsnormen (§ 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) an Art. 101 AEUV zu messen, der die Teilnahme an einem Kartell wie im Ausgangssachverhalt verbietet. Im Einzelnen kommt es für den BGH darauf an, ob der Schutzzweck des Kartellverbots und der Verbandsbußen, die an ein Zuwiderhandeln geknüpft sind, einem Regress entgegenstehen.
Laut der Pressemitteilung des BGH stellt die Beteiligung des Beklagten an dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Preiskartell eine vorsätzliche Pflichtverletzung im Sinne der §§ 43 Abs. 2 GmbHG und 93 Abs. 2 Satz 1 AktG dar. Auch sei davon auszugehen, dass dem klagenden Unternehmen infolge des Bußgelds ein relevanter Schaden entstanden ist. Eine einschränkende Auslegung der deutschen Haftungsvorschriften könnte jedoch geboten sein, wenn der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers bzw. Vorstandsmitglieds Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Verbandsbuße widerspricht.
Der BGH geht davon aus, dass durch kartellrechtliche Verbandsgeldbußen vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße der betreffenden Unternehmen gegen Art. 101 AEUV geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden sollen. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen falle in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH aber hätten die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können. Die danach gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen könnte beeinträchtigt sein, wenn sich das betreffende Unternehmen von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte. Wie der EuGH zu erkennen gegeben habe, könnte eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, sie auch nur teilweise steuerlich abzusetzen. Daher stelle sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.
Bereits das OLG Düsseldorf hatte in seinem Urteil mit dem Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße argumentiert und den Anwendungsbereich der Vorschriften betreffend die Organhaftung teleologisch eingeschränkt.
Mit Spannung zu erwarten ist nunmehr die Stellungnahme des EuGH zu dem Sinn und Zweck des unionsrechtlichen Kartellverbots und der damit verbundenen Verbandsbußen und ob und in welchem Umfang sich der EuGH den angeführten Wertungsgesichtspunkten anschließen wird. Eine unionsrechtlich gebotene teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschriften betreffend die Organhaftung zu Gunsten der Bußgeldvorschriften des Wettbewerbsrechts erscheint jedenfalls nicht zwingend.