20. November 2024
Radar - November 2024 – 3 von 4 Insights
Am 11. November 2024 hat die Europäische Union (EU) die Plattformarbeitsrichtlinie (EU) 2024/2831 (Plattformarbeit-RL) im Amtsblatt veröffentlicht. Die Plattformarbeit-RL stellt eine umfassende Regelung für die Arbeitsbedingungen und den Datenschutz von Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, dar. Sie zielt darauf ab, Plattformarbeitende besser zu schützen und die Transparenz der algorithmischen Arbeitssteuerung zu erhöhen.
Bis zum 2. Dezember 2026 müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Plattformarbeit-RL umsetzen, was besonders für Plattformbetreiber tiefgreifende Änderungen in den Bereichen Datenschutz, Arbeitsrecht, Transparenz und Überwachung mit sich bringt.
Die Plattformarbeit-RL definiert Plattformarbeit als jegliche Tätigkeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert wird und von einer Person innerhalb der EU für Dritte erbracht wird. Der Begriff der „Person, die Plattformarbeit leistet“ schließt alle Plattformarbeitenden ein, unabhängig davon, welche Art das Vertragsverhältnis ist oder wie die beteiligten Parteien dieses Verhältnis bezeichnen (Beschäftigungsverhältnis oder Selbstständigkeit/Freelancer). Dies bedeutet, dass sowohl abhängig Beschäftigte als auch selbstständige Plattformarbeitende künftig von den Schutzmaßnahmen der Plattformarbeit-RL profitieren sollen.
Der arbeitsrechtlich größte Wunsch der Plattformarbeit-RL ist jedoch die Vereinheitlichung des Beschäftigungsstatus innerhalb der EU und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Plattformarbeitenden. Hierzu wird eine widerlegbare Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses (im Gegensatz zur Selbstständigkeit) eingeführt. Die zu erfüllenden Kriterien der Vermutung (anfangs fünf Kriterien, von denen zwei erfüllt sein mussten; zwischendurch sieben Kriterien, wovon drei erfüllt sein sollten), wurden letztlich gestrichen. Es obliegt nun den Mitgliedsstaaten die Kriterien, deren Anzahl insgesamt und die zum Eingreifen der Fiktion erforderliche Anzahl selbst festzulegen und die Vermutungsregelung mit Leben zu füllen. Es ist zu erwarten, dass die „Crowdworker-Entscheidung“ des Bundesarbeitsgericht aus dem Jahr 2020 hier bei der nationalen Umsetzung einfließen wird. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 1. Dezember 2020 (Az. 9 AZR 102/20) entschieden, dass das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses vermutet wird, wenn ein Plattformanbieter die Zusammenarbeit mit den Crowdworkern in der Weise steuert, dass die Crowdworker ihre Tätigkeit räumlich, zeitlich und inhaltlich nicht frei gestalten können. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Plattform war darauf ausgerichtet, dass die Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, schrittweise vertraglich festgelegter Mikroaufträge annehmen und persönlich ausführen. Neben der Weisungsgebundenheit bei der Ausübung der einfach gelagerten Arbeiten ohne wesentliche Gestaltungsspielräume war das in der Plattform angelegte Anreizsystem entscheidend: Die Ausführung einer großen Anzahl von Aufträgen führte zum Erreichen einer höheren Stufe im Bewertungssystem, was wiederum die Möglichkeit eröffnete, mehrere Aufträge gleichzeitig anzunehmen und auszuführen und so den Stundenlohn effektiv zu erhöhen. Dieses Anreizsystem veranlasste den Kläger, kontinuierlich Aufträge anzunehmen und auszuführen.
Die Beweislastumkehr (Plattformbetreiber muss das Nichtvorliegen eines Arbeitsverhältnisses beweisen, wenn der Plattformarbeitende entsprechende Tatsachen darlegen kann) blieb jedoch erhalten. Ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Im Folgenden sollen aber nicht arbeitsrechtliche Fragen im Vordergrund stehen, sondern Fragen der Technikregulierung – mit Blick auf den Datenschutz und KI.
Die Plattformarbeit-RL enthält eine Vielzahl neuer Datenschutzvorgaben, die weit über die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hinausgehen. Artikel 7 regelt ein absolutes Verbot der Verarbeitung bestimmter sensibler Daten mittels automatisierter Beobachtungssysteme oder automatisierter Entscheidungssysteme, das selbst mit Zustimmung der Plattformarbeitenden nicht umgangen werden kann. Das Verbot der Verarbeitung bestimmter sensibler Daten soll für alle Personen gelten, die Plattformarbeit leisten. Es differenziert somit nicht zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen. Zu diesen verbotenen Daten gehören:
Unternehmen sollten daher prüfen, ob sie „verbotene“ Daten mittels automatisierter Beobachtungssysteme oder automatisierter Entscheidungssysteme verarbeiten. Ein denkbarer Aspekt ist, dass die Plattformarbeit-RL auch sog. Freitext-Bewertungen umfasst, die von Kunden abgegeben werden. Wenn Kunden in Bewertungen emotionale Zustände oder andere sensible Aspekte der Plattformarbeitenden erwähnen, könnten diese als verbotene Daten gelten. Diese Regelung könnte sich auf allgemeine Bewertungsportale wie Google erstrecken, die Informationen sammeln, die Rückschlüsse auf das Verhalten oder den Zustand von Plattformarbeitenden erlauben könnten.
Mit Artikel 7 Plattformarbeit-RL werden die DSGVO und die KI-Verordnung ergänzt: Die KIVerordnung verbietet autonome Emotionserkennungssysteme am Arbeitsplatz gemäß Artikel 5 Abs. 1 Nr. lit. f) KIVerordnung, außer diese sind aus medizinischen Gründen oder Sicherheitsgründen auf den Markt gebracht worden. Die Plattformarbeit-RL widmet sich demgegenüber allen automatisierten Systemen und schließt damit eine Schutzlücke. Damit wird ein umfassender Schutz der emotionalen Zustände der Personen, die Plattformarbeit leisten, in Zukunft gesichert, sei es vor automatisierten oder autonomen Systemen.
Hinsichtlich automatisierter Entscheidungssystemen, ergänzt die Plattformarbeit-RL die DSGVO: Artikel 22 DSGVO verbietet Entscheidungen, die ausschließlich auf einer automatisierten Entscheidung basieren, wenn sie rechtlich nachteilig für die Betroffenen sind. Das Verbots-Verdikt kann aber umgangen werden: Nach Artikel 22 Abs. 2 lit. c) DSGVO gilt dieses Verbot nicht, wenn ausdrücklich eingewilligt wurde. Diese Ausweichmöglichkeit lässt die Plattformarbeit-RL nicht zu.
Die Plattformarbeit-RL sieht – passend zum Verbot der Verarbeitung spezifischer Daten – strenge Transparenzpflichten vor, die (auch) weit über die in der KI-Verordnung geforderten Regelungen für Hochrisiko-KI-Systeme hinausgehen. Ansonsten wären die Verbote auch nicht mehr als ein Papiertiger. Plattformbetreiber müssen sämtliche automatisierten Systeme, die Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Plattformarbeitenden haben, transparent offenlegen. Dies umfasst:
In Artikel 9 Plattformarbeit-RL wird jedoch auch zwischen Arbeitnehmern („Plattformbeschäftigte“) und Selbstständigen („Personen, die Plattformarbeit leisten“) unterschieden. Zwar müssen beide Arbeitenden gemäß Artikel 9 Plattformarbeit-RL informiert werden; Arbeitnehmervertreter müssen gemäß Artikel 9 Abs. 4 Plattformarbeit-RL bereits vor der Anwendung eines automatisierten Beobachtungs- oder Entscheidungssystem über alle relevanten Systeme und ihre Merkmale informiert werden. Artikel 14 Plattformarbeit-RL und Erwägungsgrund 53 präzisieren, dass – sollte keine Arbeitnehmervertretung existieren – die digitalen Arbeitsplattformen die Arbeitnehmer unmittelbar informieren.
Neben der Transparenzpflicht schreibt die Plattformarbeit-RL eine regelmäßige menschliche Überwachung aller automatisierten Systeme vor, die Plattformarbeitende betreffen. Ganz im Sinne der EU: Automatisierte und autonome Beobachtungs- und Entscheidungssysteme sollen menschenzentriert sein und bleiben. Diese Überprüfung muss mindestens alle zwei Jahre erfolgen und speziell auf Diskriminierungsrisiken und andere negative Effekte ausgerichtet sein. Für Plattformen bedeutet dies, dass sie qualifiziertes Personal bereitstellen müssen, das die Fähigkeit hat, automatisierte Entscheidungen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen oder aufzuheben.
Die digitalen Arbeitsplattformen müssen eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) durchführen, um die Auswirkungen ihrer automatisierten Systeme auf die Rechte und Freiheiten der Plattformarbeitenden umfassend zu bewerten. Dies bedeutet, dass Plattformen sämtliche eingesetzten Systeme ohne Ausnahme evaluieren und entsprechende Anpassungen vornehmen müssen, um den hohen Schutzanforderungen der Plattformarbeitsrichtlinie gerecht zu werden. Anders als bei der KI-Verordnung gibt es keine Ausnahmevorschriften; anders als in der DSGVO müssen die Digitalen Arbeitsplattformen sogar die Personen, die Plattformarbeit leisten konsultieren.
Artikel 11 Plattformarbeit-RL gibt Plattformarbeitenden das Recht auf menschliche Überprüfung und Erläuterung automatisierter Entscheidungen, die ihre Beschäftigungsbeziehung wesentlich beeinflussen, wie beispielsweise Kündigungen oder Vertragsbeendigungen. Plattformen sind verpflichtet, eine schriftliche Erklärung zu solchen Entscheidungen abzugeben und den Betroffenen die Möglichkeit zur Anfechtung und Berichtigung zu geben. Diese Regelung zielt darauf ab, automatisierte Entscheidungen, die tief in die persönliche und berufliche Integrität der Plattformarbeitenden eingreifen, besser nachvollziehbar und kontrollierbar zu gestalten.
Eine Einschränkung macht Artikel 11 Abs. 5 Plattformarbeit-RL von diesem Grundsatz jedoch: Demnach gilt Artikel 11 Plattformarbeit-RL nicht für Personen, die zwar Plattformarbeit leisten, jedoch „gewerbliche Nutzer“ im Sinne des Artikel 2 Abs. 1 VO (EU) 2019/1150 (Platform-to-Business-Verordnung) sind.
Ganz schutzlos lässt die PlattformarbeitRL Personen, die Plattformarbeit leisten, im Hinblick auf die Rechte von Arbeitnehmervertretungen nicht. Existieren Vertreter für Personen, die Plattformarbeit leisten, müssen diese in Bezug auf den Schutz von personenbezogenen Daten die Rechte der Arbeitnehmervertreter ausüben können. Dazu gehören Artikel 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 u. 4 sowie Artikel 10 Abs. 4 und Artikel 11 Abs. 2 Plattformarbeit-RL.
Die PlattformarbeitRL wurde am 23. Oktober 2024 unterzeichnet und tritt am 1. Dezember 2024 in Kraft, zwanzig Tage nach ihrer Veröffentlichung. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 2. Dezember 2026 Zeit, die Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Bis dahin müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen und Verwaltungsstrukturen so angepasst werden, dass die PlattformarbeitRL umfassend angewendet werden kann.
Eine Evaluierung der PlattformarbeitRL ist für den 2. Dezember 2029 vorgesehen. Diese Überprüfung dient der Evaluierung der PlattformarbeitRL hinsichtlich Effizienz und technologischen Entwicklungen und erlaubt gegebenenfalls Anpassungen, um sicherzustellen, dass die PlattformarbeitRL den Schutz der Plattformarbeitenden auch weiterhin gewährleistet.
Die PlattformarbeitRL führt eine neue Ära der Regulierung für digitale Plattformarbeit in der EU ein. Sie erweitert den Schutz der Plattformarbeitenden weit über bestehende Standards der DSGVO und der KI-Verordnung hinaus und stellt klare Anforderungen an die Datenverarbeitung und Transparenz im Bereich der Plattformarbeit sowie Spielregeln der Klassifizierung der Plattformarbeitenden. Besonderes Augenmerk wird darauf zu legen sein, welche Kriterien der nationale Gesetzgeber für die Vermutung zum Arbeitnehmerstatus einführen wird und, ob Geschäftsmodelle hierdurch Änderungsbedarf erfahren. Insbesondere Unternehmen mit europaweiten Operationen müssen die jeweiligen nationalen Umsetzungen im Blick behalten.
Die PlattformarbeitRL verpflichtet Plattformen zu umfassenden Anpassungen im Datenschutz und erhöht ihre Transparenzpflichten deutlich. So müssen Plattformen nicht nur ihre Algorithmen und deren Funktionsweisen offenlegen, sondern auch sicherstellen, dass keine sensiblen Daten – einschließlich emotionaler Zustände und private Gesprächsdaten – verarbeitet werden.
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