Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in seinem Urteil vom 13. November 2025, C-654/23 vollumfänglich der rechtlichen Einschätzung des Generalanwalts angeschlossen: Auch bei scheinbar unentgeltlichen Angeboten – etwa der Erstellung eines kostenlosen Nutzerkontos – könne bereits ein „Verkauf einer Dienstleistung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie vorliegen. Versendet der Anbieter daraufhin einen Newsletter, der neue Inhalte der Website bewirbt, handele es sich um Direktwerbung im Sinne der ePrivacy-Richtlinie.
Neuer Maßstab: Was der EuGH unter „Verkauf“ versteht – Indirekte Vergütung ist ausreichend – auch bei unentgeltlichen Angeboten
Bemerkenswert und für die Praxis von besonderer Relevanz ist die Auslegung des Begriffs „Verkauf“ durch den EuGH. Der Gerichtshof stellt klar, dass dieser Begriff keine unmittelbare Geldzahlung durch den Nutzer voraussetzt. Ausreichend sei vielmehr eine „indirekte Vergütung“: Es genüge, wenn ein unentgeltlich bereitgestelltes Nutzerkonto (z.B. „Service Premium“) überwiegend zu Werbezwecken dient, insbesondere um den Nutzer zum Abschluss eines kostenpflichtigen Abonnements zu veranlassen. Nach Auffassung des Gerichts sei entscheidend, dass durch die Kontoerstellung eine rechtliche Beziehung zwischen Kunde und Anbieter begründet werde, in die der Nutzer durch Einwilligung in die Nutzungsbedingungen eintrete. Zudem erkennt der EuGH ausdrücklich an, dass die Kosten des unentgeltlichen Angebots wirtschaftlich in den Preis des kostenpflichtigen Produkts – hier des Vollabonnements – einfließen und somit eine indirekte Vergütung vorliegt. Unter diesen Umständen sei die Voraussetzung eines „Verkaufs“ bereits erfüllt. Damit erweitert der EuGH das Begriffsverständnis und die Reichweite des Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie erheblich.
Allerdings bleibt nach dem Urteil ungeklärt, wie weit dieses Begriffsverständnis in anderen Fallkonstellationen reicht. Der Gerichtshof lässt offen, ob jede Form der Registrierung – etwa bei rein informatorischen, vollständig kostenlosen Plattformen ohne Upselling, Werbeabsicht oder wirtschaftlichen Vorteil für den Betreiber – bereits als „Verkauf“ anzusehen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob künftig auch solche nicht-kommerziellen Angebote von dieser weiten Auslegung des Begriffs erfasst werden oder ob stets ein konkretes wirtschaftliches Interesse des Anbieters erforderlich ist. Hier besteht Raum für weitere Konkretisierungen durch Rechtsprechung und Gesetzgebung.
Ist der Newsletter Werbung? Der EuGH stellt klar: Maßgeblich ist der Zweck – nicht allein der Inhalt
Der EuGH prüfte im Urteil ausdrücklich, ob der Newsletter „Personal Update“ überhaupt als „Direktwerbung“ einzustufen sei, da das Unternehmen (Inteligo) argumentierte, der Versand diene vorrangig redaktionellen und informativen Zwecken. Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass nicht allein der Inhalt maßgeblich sei, sondern der Zweck („Finalität“) der Kommunikation.
Obwohl der Newsletter informative Zusammenfassungen neuer Gesetze enthält, bestehe sein eigentlicher Zweck nach Auffassung des EuGH darin, den Nutzer über Hyperlinks auf die Plattform zu lenken. Dort soll er sein Kontingent an kostenlosen Artikeln ausschöpfen und zum Abschluss eines kostenpflichtigen Vollabonnements angeregt werden. Der EuGH betont ausdrücklich das kommerzielle Ziel hinter dem Format und qualifiziert solche Mitteilungen – ungeachtet ihres journalistisch-informativen Gehalts – als „Direktwerbung“ im Sinne von Art. 13 ePrivacy-Richtlinie. Entscheidend sei somit die Verkaufsförderung als Zweck der Versendung.
Keine DSGVO-Rechtsgrundlage erforderlich: Die ePrivacy-Richtlinie wirkt als lex specialis
Der EuGH bestätigt, dass für den Versand eines solchen Newsletters keine vorherige Einwilligung erforderlich sei, sofern die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie erfüllt seien – insbesondere ein klarer Hinweis auf die Nutzung zu Werbezwecken sowie eine einfache und kostenlose Widerspruchsmöglichkeit für den Nutzer vorlägen.
Der EuGH klärt zugleich die Frage, ob ein Unternehmen, das sich auf das sogenannte „Soft Opt-In“ (Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie) stützt, zusätzlich eine Rechtsgrundlage nach Art. 6 DSGVO – etwa das berechtigte Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO – nachweisen müsse. Der Gerichtshof bestätigt ausdrücklich die „Lex-specialis“-Wirkung der ePrivacy-Richtlinie, die durch Art. 95 DSGVO abgesichert werde: Sind in der ePrivacy-Richtlinie spezielle Verpflichtungen und Bedingungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten festgelegt, so verdrängen diese Vorschriften die allgemeinen Regelungen der DSGVO im entsprechenden Anwendungsbereich.
Art. 95 DSGVO stellt klar, dass die DSGVO insoweit keine zusätzlichen Verpflichtungen vorsähe, wenn bereits spezifische Pflichten mit demselben Ziel in der ePrivacy-Richtlinie enthalten sind. Folgerichtig stellt der EuGH fest, dass Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie als eigenständige und abschließende Rechtsgrundlage für den Versand von Werbe-E-Mails fungiere. Ist das Soft Opt-In zulässig – insbesondere wenn ein Hinweis auf die Verwendung zu Werbezwecken erfolgt und jederzeit eine kostenlose Widerspruchsmöglichkeit besteht –, sei die Verarbeitung rechtmäßig. Eine zusätzliche Prüfung nach der DSGVO, insbesondere gemäß Art. 6 Abs. 1 DSGVO, sei nicht mehr erforderlich.
Mit seiner Entscheidung widerspricht der EuGH der bislang häufig vertretenen Auffassung, wonach neben der ePrivacy-Richtlinie stets auch eine Rechtsgrundlage nach der DSGVO erforderlich sei. Für die praktische Anwendung ist dieser Aspekt allerdings weniger revolutionär, da bereits bisher überwiegend davon ausgegangen wurde, dass bei Vorliegen der Ausnahme nach Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie die Datenverarbeitung regelmäßig ohnehin durch das berechtigte Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt sei. Faktisch war somit keine zusätzliche DSGVO-Einwilligung erforderlich. Das Urteil sorgt daher vor allem für Klarheit, eröffnet jedoch nur begrenzt neue Handlungsspielräume.
Eröffnet das Urteil Erleichterungen auch hinsichtlich des Einwilligungserfordernisses?
Für die weitere Entwicklung könnte insbesondere die Frage von Interesse sein, ob der vom EuGH bestätigte Vorrang des Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie gegenüber der DSGVO auch für Art. 13 Abs. 1 gilt – also für Konstellationen, in denen ein Einwilligungserfordernis besteht.
Würde der EuGH auch in diesem Fall annehmen, dass die ePrivacy-Richtlinie als lex specialis abschließend die Anforderungen an die Einwilligung regelt, hätte dies bemerkenswerte Konsequenzen: Eine zusätzliche Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a DSGVO wäre dann nicht erforderlich. Für Unternehmen würde dies eine spürbare Erleichterung bedeuten, da die strengen inhaltlichen Vorgaben der DSGVO an eine Einwilligung (Transparenz, Nachweisbarkeit, Kopplungsverbot, Widerrufsbelehrung etc.) nicht zusätzlich erfüllt werden müssten. Die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung lägen in diesem Bereich somit deutlich niedriger und richteten sich ausschließlich nach der ePrivacy-Richtlinie. Ob der EuGH diese Linie weiterverfolgt, bleibt abzuwarten – das Urteil liefert jedoch erste Anhaltspunkte für eine mögliche zukünftige Ausweitung des Lex-specialis-Gedankens.
Praxishinweis
Unternehmen, die Newsletter auf Grundlage kostenloser Nutzerkonten versenden, können sich künftig auf dieses EuGH-Urteil berufen. Es sind jedoch weiterhin sämtliche Vorgaben des Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-Richtlinie (in Deutschland § 7 Abs. 3 UWG) zu beachten:
- Besteht eine (gegebenenfalls indirekt vergütete) Kundenbeziehung?
- Handelt es sich bei den beworbenen Diensten um "ähnliche" Leistungen?
- War der Opt-Out-Hinweis im Rahmen der Datenerhebung klar und verständlich formuliert?
- Ist der Hinweis auf das Opt-out-Verfahren in jeder E-Mail enthalten?
Hintergrund des Falls
Im vorliegenden Fall verhängte die rumänische Datenschutzbehörde ein Bußgeld aufgrund einer fehlenden Einwilligung nach der DSGVO beim Versand eines Newsletters. Der Europäische Gerichtshof hat – entsprechend der Auffassung des Generalanwalts – das Erfordernis einer solchen Einwilligung abgelehnt.
Zur Besprechung der Schlussanträge des Generalanwalts