Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 24. Oktober 2023 (Az.: 3 U 965/23 - Riesterrenten-Beratung) betrifft u.a. die Frage, ob das Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen im einstweiligen Verfügungsverfahren dringlichkeitsschädlich ist.
Die Verfügungsbeklagte vermittelt gewerblich Versicherungen und andere Produkte. Der Verfügungskläger ist selbstständiger Versicherungsmakler. Eine vom Verfügungskläger betreute Kundin widerrief per E-Mail gegenüber der Verfügungsbeklagten ihre zuvor erteilte Einwilligung zur Kontaktaufnahme. Die Verfügungsbeklagte bestätigte den Eingang dieses Schreibens am selben Tag per E-Mail. Trotz des Widerrufs rief eine Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten die Kundin an, um einen Beratungstermin für die Beitragsfreistellung ihrer Riesterrente zu vereinbaren. Die Verfügungsbeklagte reagierte auf die Abmahnung des Verfügungsklägers mit einem anwaltlichen Schreiben, in dem die Prozessbevollmächtigte erklärte: „in vorbezeichneter Angelegenheit zeigen wir an, dass wir X anwaltlich vertreten. (…) Im Übrigen sind wir zustellungsbevollmächtigt.“.
Im Wege der einstweiligen Verfügung untersagte das Landgericht Regensburg der Verfügungsbeklagten, im geschäftlichen Verkehr Verbraucher, ohne deren vorherige Einwilligung zu Werbezwecken anzurufen oder anrufen zu lassen. Die Beschlussverfügung stellte der Verfügungskläger an die Verfügungsbeklagte, aber nicht an deren Prozessbevollmächtigte zu. Diese Beschlussverfügung hob das Landgericht Regensburg nach Widerspruchseinlegung durch die Verfügungsbeklagte mit der Begründung auf, dass der Verfügungsbeschluss nicht innerhalb der Vollziehungsfrist ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Hiergegen legte der Verfügungskläger Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Nürnberg gab in seiner Entscheidung „Riesterrenten-Beratung“ der Berufung statt. Der Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers ergebe sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG. Für das Vorliegen einer Einwilligung trage der Werbende die Darlegungs- und Beweislast. Bei einer Telefonwerbung habe der Werbende nach § 7a UWG die vorherige ausdrückliche Einwilligung des Verbrauchers in angemessener Form zu dokumentieren und nach § 7a Abs. 2 Satz 1 UWG aufzubewahren, was die Verfügungsbeklagte nicht nachweisen konnte.
Außerdem sei die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 1 UWG nicht widerlegt. Dies sei erst dann der Fall, wenn der Verfügungskläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gebe, dass es ihm nicht eilig sei. Dies könne angenommen werden, wenn der Verfügungskläger eine längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt. Entscheidend sei der Zeitpunkt, zu dem der Verfügungskläger von den maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und begründungsfristen sei hingegen nicht dringlichkeitsschädlich, da dies den Berufungsführern gesetzlich zugestanden sei. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen könne eine Selbstwiderlegung durch verzögertes Betreiben des Verfahrens auch bei Einhaltung der Rechtsmittelfristen entfallen. Ein Sonderfall komme im Rahmen der Gesamtabwägung in Betracht, wenn eine tatsächlich und rechtliche äußerst einfache Fallgestaltung vorliege, bei der keine weiteren tatsächlichen Ermittlungen anzustellen und keine weiteren Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen seien und der Verfügungskläger durch sein Verhalten zum Ausdruck bringe, dass ihm selbst die Sache nicht eilig sei. Einen solchen Sonderfall stellte das Oberlandesgericht Nürnberg nicht fest.
Des Weiteren sei die Beschlussverfügung innerhalb der Vollziehungsfrist ordnungsgemäß zugestellt worden, da grundsätzlich die Vertretungsanzeige im vorgerichtlichen Abmahnverfahren nicht auch automatisch eine Bestellung für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren umfasse. Dies gelte selbst dann, wenn vorprozessual mitgeteilt wurde, dem Anwalt sei Zustellungsvollmacht erteilt. Vorliegend reiche die nicht näher spezifizierte Mitteilung im anwaltlichen Schreiben nicht aus, weshalb eine Zustellung an den Verfügungsbeklagten selbst zulässig gewesen sei.
Co-Autorin: Katharina Hölle