Die Reformierung der Krankenhauslandschaft ist in Nordrhein-Westfalen (NRW) in den vergangenen Wochen wieder ein Stück konkreter geworden: Den Kliniken sind Schreiben zur voraussichtlichen Zuteilung ihrer Leistungsgruppen zugegangen. Sie bieten den betroffenen Häusern Gelegenheit, die Möglichkeiten zur Erlangung beantragter Leistungsgruppen auszuloten. Auch aus rechtlicher Sicht werfen die Schreiben Fragen auf, die wir im Folgenden vorstellen. Ein Blick auf den Stand der Dinge in NRW lohnt sich auch für Entscheidungsträger in Krankenhäusern der gesamten Republik, nämlich als Ausblick auf die nach Inkrafttreten der Krankenhausreform voraussichtlich auch im jeweils eigenen Bundesland anstehenden Schritte.
Stand der Krankenhausplanung in NRW
Hintergrund der den Schreiben zugrunde liegenden Anhörungsverfahren ist die neue Krankenhausplanung in NRW, deren Umsetzung bereits in Gang gesetzt ist und nach deren Vorbild perspektivisch die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft in der gesamten Bundesrepublik erfolgen soll. In diesem Zusammenhang sind die vorläufigen Planungen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) erfolgt. Den nunmehr versandten Schreiben können die Krankenhausträger entnehmen, welche Leistungsgruppen ihnen zugeteilt werden sollen. Dabei handelt es sich um noch unverbindliche Mitteilungen, welche die Möglichkeit bieten, zu den vorgesehenen Festsetzungen bis zum 11. August 2024 Stellung zu nehmen. Die verbindlichen Bescheide über die Zuteilung der Leistungsgruppen sollen im Dezember dieses Jahres versandt werden. Bereits ab Januar 2025 soll die neue Zuteilung gelten.
Rechtsschutzmöglichkeiten bei unerwünschten Planungsentscheidungen
Auch wenn die verbindliche Zuteilung der Leistungsgruppen noch aussteht, zeichnet sich schon jetzt ab, dass sie zu Rechtsstreitigkeiten führen wird. Gerade mit Blick auf die knappe zeitliche Schiene zwischen Erlass der verbindlichen Bescheide und ihrer Umsetzung ab 2025 ergeben sich viele noch ungeklärte Rechtsfragen zu den Rechtsschutzmöglichkeiten der Krankenhäuser.
Grundsätzlich ist es in verwaltungsgerichtlichen Verfahren so, dass Adressaten gegen sie belastende Bescheide Anfechtungsklage erheben können, um den Bescheid aufheben zu lassen, zum Beispiel wenn einem Krankenhaus ein bislang zugebilligter Versorgungsauftrag entzogen oder dieser eingeschränkt wird. Üblicherweise haben solche Anfechtungsklagen „aufschiebende Wirkung“. Das bedeutet, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides der Status quo ante, also der Zustand vor dem Erlass des einschränkenden Bescheides b.a.w. fortbesteht. Konkret heißt das, dass ein Krankenhaus die streitgegenständlichen Leistungen, die bislang zu seinem Versorgungsauftrag gehörten, auch weiterhin erbringen und abrechnen darf, bis rechtskräftig über die Rechtmäßigkeit des versagenden Feststellungsbescheides entschieden ist.
Keine aufschiebende Wirkung mehr in NRW
Allerdings hat der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 16. Dezember 2023 in § 16 Abs. 5 KHGG NRW geregelt, dass Rechtsbehelfe gegen einen Feststellungsbescheid keine aufschiebende Wirkung (mehr) haben. Bis dahin galt dieser Ausschluss nur für sog. Drittanfechtungsklagen, wenn also ein Krankenhaus gegen den Feststellungsbescheid zu Gunsten eines Konkurrenten vorging. Nunmehr haben sämtliche Rechtsbehelfe, auch die in eigener Sache, nach dem KHGG NRW keine aufschiebende Wirkung mehr. Ein Krankenhaus kann die aufschiebende Wirkung und damit die Berechtigung zur einstweiligen fortgesetzten Leistungserbringung im bisherigen Umfang deshalb nur dadurch erreichen, dass es in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung der eingelegten Anfechtungsklage anzuordnen.
Unterstellt, ein dahingehender Antrag würde positiv beschieden, ergeben sich mit Blick auf den Systemwechsel in der Krankenhausplanung weitere Folgefragen. Denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nötigt in einem solchen Fall zu einem gewissen Systembruch: So kommt einerseits die Aufrechterhaltung des bisherigen Versorgungsauftrags unter Geltung der neuen Leistungsgruppensystematik nicht in Betracht, weil dem Krankenhaus bislang gerade noch keine Leistungsgruppen zugewiesen waren. Die bisherige Krankenhausplanung erfolgte nach Fachabteilungen, sodass kein leistungsgruppenbezogener Versorgungsauftrag existiert. Andererseits erscheint auch die Aufrechterhaltung des Versorgungsauftrags im Umfang der bisherigen Fachabteilungsplanung systemfremd und unter Umständen im Einzelfall auch zu weitgehend, weil voraussichtlich nicht sämtliche Leistungsgruppen, die der jeweiligen Fachabteilung unterfallen, überhaupt streitbefangen sind.
Einstweilige Anordnung der Leistungserbringung
Eine andere Möglichkeit könnte in einer solchen Konstellation darin liegen, dem Krankenhaus vorläufig die Erbringung jener Leistungsgruppen zu gestatten, die es bei Zuspruch der beantragten Leistungsgruppen hätte erbringen dürfen. Ein solcher Zustand ließe sich nach den geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen eigentlich aber nur mit einem eine Verpflichtungsklage begleitenden Eilrechtsschutz auf einstweilige Anordnung – hier der vorläufigen Zuweisung der beantragten, aber abgelehnten Leistungsgruppen – erreichen. Ob eine solche Kombination aus Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Hauptsache und einstweiligem Rechtsschutz im konkreten Einzelfall angezeigt und zielführend ist, kann nur und muss immer unter Heranziehung des jeweiligen Bescheides und der Gesamtumstände beurteilt werden. Die rechtlichen Hürden, die hierbei zu nehmen sind, sind vor allem mit Blick auf das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nicht gering.
Zeitliche Umsetzung der neuen Feststellungsbescheide
Abgesehen von der richtigen Wahl der zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten ergeben sich im Hinblick auf die zeitliche Umsetzung der neuen Planfestsetzungen zusätzliche Herausforderungen:
Wenn die neuen Feststellungsbescheide noch im Dezember dieses Jahres ergehen und – ungeachtet der Rechtsfolgen etwaiger dagegen eingelegter Rechtsschutzmöglichkeiten – bereits ab dem kommenden Jahr 2025 verbindlich sein sollen, bedeutete dies, dass die Krankenhäuser ab Januar 2025 keine Patientinnen und Patienten auf solchen Gebieten mehr aufnehmen und behandeln dürften, deren Leistungsgruppen ihnen nicht (mehr) zugeteilt wurden. Viele planbare Eingriffe und Behandlungen dürften für diesen Zeitraum aber schon terminiert sein, wenn die neuen Feststellungsbescheide ergehen. Sie müssten folgerichtig wieder abgesagt werden, was zu entsprechenden Versorgungslücken und -Verzögerungen führen würde. Auch Personal und sonstige Strukturen, die bislang zur Erbringung der Leistungen eingesetzt und vorgehalten worden sind, würden kurzfristig überflüssig.
Unter anderem vor eben diesem Hintergrund sieht § 16 Abs. 3 KHGG NRW grundsätzlich vor, dass die Festsetzungen in einem Feststellungsbescheid innerhalb von 12 Monaten umzusetzen sind, also unter Zubilligung einer Umsetzungsfrist, die bei notwendigen Baumaßnahmen auch noch verlängert werden kann. Diese Regelung gilt auch unter der neuen Planungssystematik. Damit dürfte es jedenfalls möglich sein, bereits anberaumte Behandlungen auch dann noch vorzunehmen und zu Ende zu führen, wenn sie nach dem neuen Versorgungsauftrag nicht mehr zum Leistungsspektrum des Krankenhauses gehören.
Fazit
Der vorstehende Abriss verdeutlicht, dass der derzeit in NRW stattfindende Wechsel von der fachabteilungsbezogenen Krankenhausplanung zur leistungsgruppenbezogenen Planung in der praktischen Umsetzung noch viele anspruchsvolle Fragen aufwirft, die sich perspektivisch auch in allen anderen Bundesländern ergeben werden, sollte die geplante große Krankenhausreform von Karl Lauterbach tatsächlich in der vorgesehenen Form kommen. Krankenhäuser sollten sich auf diese Fragen vorbereiten. Insbesondere sollten sie bestmöglich versuchen, ihre Standpunkte bereits im Anhörungsverfahren vorzubringen, um auf diese Weise noch Einfluss auf die verbindlichen Entscheidungen nehmen zu können. Denn die Verwirklichung der eigenen Rechte im nachgelagerten gerichtlichen Rechtsschutz wird voraussichtlich von einigen noch ungeklärten Rechtsfragen und damit nicht zu unterschätzenden Herausforderungen begleitet sein.