28. Juli 2023
Bereits im Koalitionsvertrag von 2021 hatten sich die Regierungsparteien dafür ausgesprochen, den Zugang für KMUs zum Kapitalmarkt zu vereinfachen und Börsengänge, Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten zu erleichtern. Am 12. April 2023 hat nun das Bundesministerium der Finanzen zusammen mit dem Bundesministerium der Justiz erste Vorschläge durch einen Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes präsentiert. Neben E-Aktien und Mehrstimmrechtsaktien sieht der Entwurf auch die Einführung von SPACs vor.
Sog. Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) lassen sich als Erwerbsvehikel oder Mantelgesellschaften bezeichnen. Das bedeutet, dass die Gesellschaft zunächst nicht operativ tätig ist, aber die Aktien in diesem Stadium bereits zum Handel am regulierten Markt zugelassen werden. Der Special Purpose von SPACs liegt daher in der Akquisition eines operativ tätigen Unternehmens. Ziel der Gesellschaft ist es, durch die Zulassung zum Handel an einem regulierten Markt Kapital für die Akquisition eines zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht bekannten, nicht börsennotierten Unternehmens zu sammeln. Danach soll eine operativ tätige Gesellschaft auf den börsennotierten SPACs verschmolzen oder auf andere Weise übertragen werden. Durch die schlussendliche Zulassung zum Handel der operativ tätigen Gesellschaft wird teilweise die Bezeichnung vom „Börsengang durch die Hintertür“ verwendet.
Die in den 1980er/1990er Jahren in den USA entstandenen SPACs können als attraktive Alternative zum klassischen IPO bezeichnet werden, auch wenn der Hype nach 2021 deutlich nachgelassen hat. 2021 wurden mittels 613 SPAC-IPOs dort rund die 163 Mrd. USD eingenommen. In Deutschland hat die Verbreitung in den letzten Jahren zwar etwas zugenommen, allerdings spielt die Nutzung von SPACs für Börsennotierungen mit nur vier SPACs-IPOs im Jahr 2021 nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Der Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetz sieht nun die Aufnahme von sog. Börsenmantelaktiengesellschaften (BMAG) vor.
Die konkrete Ausgestaltung von klassischen SPACs orientiert sich an der Situation, dass die Aktionäre zum Zeitpunkt der Investition nicht wissen, welche Gesellschaft übernommen werden soll und ob genug Kapital eingenommen wird. Um dennoch bei Anlegern attraktiv zu bleiben, werden von den sog. Sponsors (Initiatoren), den Gründungsgesellschaftern des SPAC, im Zusammenhang mit dem IPO Units ausgegeben. Hierunter versteht man die Ausgabe von Aktien und sog. naked warrants (selbständige Optionsscheine), die separat an der Börse handelbar sind. Somit sind die Anleger nach einem erfolgreichen Unternehmenserwerb berechtigt, weitere Aktien zu einem bestimmten Festpreis zu erwerben, was das anfängliche Spekulationsgeschäft attraktiv macht. Die Sponsors erhalten vor der Börsenzulassung sog. Gründeraktien und Optionsscheine, um den Anreiz des Erfolges zu erhöhen.
Aus Gründen des Anlegerschutzes werden die Investitionen auf ein Treuhandkonto geleistet und dürfen von Management nur zur Akquisition der Zielgesellschaft verwendet werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Investition zurückgezahlt werden kann, wenn das Zielunternehmen nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums erworben wird oder die Zustimmung der Investoren zur Zieltransaktion ausbleibt. Das Volumen der Transaktion soll in der Regel um die 80 Prozent der Treuhandmittel ausmachen, damit der Fristablauf nicht mit einer zu kleinen Akquisition verhindert werden kann.
Um Einfluss auf den Unternehmenserwerb ausüben zu können, muss die Hauptversammlung mit (meistens einfacher) Mehrheit der Akquisition der Zielgesellschaft zustimmen. Damit auch die Aktionäre geschützt werden, die gegen diesen Erwerb gestimmt haben, wird ihnen ein Redemption Right/Opt Out Option eingeräumt. Dadurch erhält der Investor seine Investition wieder zurück und kann eine ungewollte Beteiligung an der operativ tätigen Gesellschaft verhindern. Die Gründungsaktie vermittelt den Sponsors kein Stimmrecht und kein Recht auf Rückzahlung der Einlage, denn aus Erwägungen des Anlegerschutzes sollen sie nicht über Zieltransaktionen abstimmen können.
Zur Übernahme einer Gesellschaft setzt sich die Gesellschaft einen begrenzten Zeitrahmen, so dass der SPAC bei einer unterbliebenen Transaktion in der vorgesehenen Frist samt Rückführung der Einlagen zu liquidieren ist. Ein bestimmter Fokus oder eine bestimmte Branche hinsichtlich des Erwerbsziels kann für die Gesellschaft im Vorhinein zwar bindend festgehalten werden. Auf detaillierte Vorgaben der später zu erwerbenden Gesellschaft wird idR allerdings verzichtet, um die Prospektanforderung beim IPO möglichst gering zu halten.
Diese Ausgestaltung ist in mehrfacher Hinsicht mit dem deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht bisher schwer oder gar nicht vereinbar gewesen. Einige SPAC-Strukturen können etwa durch Satzungsbestimmungen oder Ausnahmeregelungen bereits jetzt umgesetzt werden. So lässt sich die Gestaltung einer stimmrechtlosen Gründeraktie und einer Investorenaktie trotz der überschaubaren Möglichkeiten zur Gewährung von Aktien unterschiedlicher Gattungen lösen. Auch wenn die Börsenzulassungsverordnung (BörsZulV) in der Regel verlangt, dass der Emittent vor der Zulassung seit drei Jahren besteht und in dieser Zeit seine Jahresabschlüsse veröffentlicht hat, stellt dies kein unüberwindbares Hindernis dar. Hiervon hat die Geschäftsführung der Frankfurter Wertpapierbörse im Zuge einer SPAC-Zulassung bereits Ausnahmen zugelassen.
Die Anleger investieren in den SPAC ohne zu diesem Zeitpunkt die Zielgesellschaft der Transaktion zu kennen. Deshalb sehen SPACs grundsätzlich einen Hauptversammlungsbeschluss zur Genehmigung der Transaktion als Kontrollmechanismus der Anleger vor. Einen solchen Zustimmungsvorbehalt kennt das AktG zunächst nicht, sondern sieht vor, dass der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet. Ein Zustimmungsvorbehalt der HV lässt sich aber entweder durch die von der Rechtsprechung entwickelten ungeschriebenen Kompetenzen der HV auf den Anteilserwerb übertragen oder durch den Gesellschaftszweck in der Satzung festhalten.
Andere Strukturüberlegungen des SPACs stoßen dagegen zurzeit im Aktienrecht auf ihre rechtlichen Grenzen. Die Opt Out Optionen der SPACs lassen sich bei AG nur unzufriedenstellend abbilden, denn nach dem AktG sind Aktienkäufe der Emittentin nur unter bestimmten Voraussetzungen durchführbar. So darf eine AG nur bis zu 10% ihrer eigenen Anteile erwerben und von ihren Aktionären zurückkaufen. Auch durch eine Kapitalherabsetzung lässt sich die Rückzahlung der Einlage an die Aktionäre, die gegen die Transkationen gestimmt haben, nur mit zeitlicher Verzögerung ermöglichen. Ähnliche Gestaltungsschwierigkeiten mit einer Sperrfrist bestehen bei der Auszahlung der Einlage nach dem Ablauf der Transaktionsfrist des SPACs und der folgenden Auflösung der AG.
Auch lässt sich die Besonderheit der treuhänderischen Verwahrung für AGs rechtlich nicht darstellen. Nach dem AktG muss die Einlage zur freien Verfügbarkeit des Vorstands stehen, das heißt der Vorstand muss über die Einlage nach eigenem Ermessen verfügen können. Die fehlende freie Verfügbarkeit stellt sogar ein Eintragungshindernis im Handelsregister für die Kapitalerhöhung dar. Bei SPACs steigen Investoren häufig durch Kapitalerhöhung ein und die Einlage wird auf einem Treuhandkonto hinterlegt, um die spätere Akquisition durchführen zu können. Das Treuhandkonto ist damit mit dem Grundsatz der freien Verfügbarkeit nicht in Einklang zu bringen.
Zur Einführung der BMAG haben das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium im Referentenentwurf vorgeschlagen, einen neuen Abschnitt ins BörsG aufzunehmen. §§ 44 ff. BörsG-E berücksichtigt eben jene besonderen Merkmale der SPACs, die das Aktienrecht bislang nicht beachtet hat.
Nach § 44 Abs. 1 und 7 BörsG-E wird als BMAG eine AG zur Erreichung der Börsenzulassung bezeichnet. Gegenstand der Gesellschaft ist daher die Verwaltung des eigenen Vermögens, die Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs sowie die Vorbereitung und der Abschluss der Übernahmetransaktion, die den im Prospekt beschriebenen Kriterien entspricht und sich auf ein Unternehmen bezieht, dessen Anteile nicht an einer Wertpapierbörse notiert ist. Diese sog. Zieltransaktionen umfasst den Erwerb der BMAG von 75% der Anteile der Zielgesellschaft durch die BMAG (§ 44 Abs. 2 BörsG-E). Die Sondervorschiften des BörsG zur BMAG finden für Aktiengesellschaften erst dann Anwendung, wenn zuzüglich zum Gesellschaftsgegenstand und der Befristung die Wertpapiere am regulierten Markt zugelassen wurden und die Satzung die Möglichkeit einer virtuellen HV vorsieht (§ 44 Abs. 4 BörsG-E).
Der Bestand der BMAG soll von der Durchführung dieser Zieltransaktionen innerhalb einer Frist von 24-36 Monaten abhängig gemacht werden, wobei eine Verlängerung auf 48 Monate möglich ist (§ 44 Abs 2 BörsG-E). Findet eine solche Zieltransaktion in der angegebenen Frist nicht statt, stellt dies ein Auflösungsgrund der AG nach dem Aktiengesetz und Widerrufsgrund der Zulassung der Wertpapiere zum Handel dar. Kann die BMAG ihren Gesellschaftszweck durch die Zieltransaktionen erfüllen, das heißt den Erwerb von mindestens 75 % der Anteile der Zielgesellschaft, wird diese zu einer normalen AG ohne Besonderheiten überführt (§ 47b Abs. 1 BörsG-E).
Die Einlage soll durch einen Treuhänder (Notar oder Kreditinstitut) verwahrt werden, bis die Zieltransaktionen durchgeführt wurde (§ 45 BörsG-E). Das eingeworbene Kapital soll erst auf Beschluss der Aktionäre freigegeben werden, damit die Mittel zur Finanzierung der Zieltransaktion zur Verfügung steht (Begr. RefE ZuFinG, S. 87). Auch soll das Recht der Hauptversammlung durch den Zustimmungsvorbehalt von 75% des anwesenden Grundkapitals über die Zieltransaktionen gestärkt werden, die anderenfalls in der unternehmerischen Entscheidung des Vorstands läge (§ 46 Abs. 1 BörsG-E).
Zur Ermöglichung der klassischen SPACs-Strukturen soll auch das Andienungsrecht einen Weg in das deutsche Recht finden. Dies eröffnet die Möglichkeit der Aktionäre, nach Ausübung des Stimmrechts gegen die Zieltransaktionen die Aktien auf die Gesellschaft gegen Rückzahlung der Einlage (innerhalb von zwei Monaten) zurück zu übertragen (§ 47 Abs. 1 BörsG-E). Der Entwurf sieht einen Widerspruch darin, dass auch denjenigen, die für die Transaktion gestimmt haben, ein Andienungsrecht eingeräumt wird (Begr. RefE ZuFinG, S. 90). Das Aktionären auch dann ein Andienungsrecht gewährt wird, wenn diese für die Zieltransaktionen gestimmt haben, ist bei heutigen SPACs allerdings nicht unüblich. Um das Andienungsrecht zu ermöglichen, soll für den Erwerb eigener Aktien die Obergrenze von 10% auf 30% des Grundkapitals für die BMAG angehoben werden. Auch die für SPACs typischen Aktienoptionen sollen durch bedingte Kapitalerhöhungen ermöglicht werden (§ 47a BörsG-E).
Auf Kritik an dem Entwurf stößt neben kleineren Ungenauigkeiten der Versuch, die aktienrechtlichen Probleme im Börsengesetz und nicht im AktG regeln und lösen zu wollen. Auch wurden noch nicht alle SPAC-Strukturen in den Entwurf überführt, weshalb der Deutsche Anwaltsverein (DAV) beispielsweise die fehlende Mindestschwelle der Transaktionshöhe von 80 % der Einlage vermisst. Darüber hinaus erscheint die Zustimmung zur Zieltransaktion durch das Erfordernis einer ¾-Mehrheit in der Hauptversammlung sehr unsicher. Eine einfache Mehrheit ist als ausreichend anzusehen, da ohnehin jeder Aktionär durch das Andienungsrecht hinreichenden Schutz genießt. Für den DAV könnte die treuhänderische Verwahrung beispielweise auch noch mit einer Anlagepflicht (zumindest ein verzinsliches Konto) über die Vorbereitungszeitraum versehen werden.
Nicht zwingend erscheint zudem die verpflichtende Aufnahme einer virtuellen Hauptversammlung in den Satzungsbestimmungen für die BMAG, wie etwa die Bundesnotarkammer anmerkt. Weiterhin wurde eine Klarstellung der Börsenzulassungsverordnung vorgeschlagen, die eine verbindliche Ausnahme von dem dreijährigen Unternehmensbestand vorsehen soll und bisher im Ermessen der Börsengeschäftsführungen steht (vgl. Stellungnahme der Association for Financial Markets in Europe, S. 10.). Der Bundesverband der Wertpapierfirmen e.V. empfiehlt zudem, die Regelung auch auf deutsche SEs auszudehnen, die ebenfalls als SPACs geeignet sind und bisher im Entwurf nicht berücksichtigt wurden.
Auch wenn Nachbarländer wie die Schweiz nach dem SPACs-Hype in den USA schneller reagiert und die rechtlichen Voraussetzungen deutlich früher geschaffen haben, sind die Bestrebungen zur Einführung von BMAG i.E. positiv zu bewerten. Die Erfahrung zeigt, dass einzelne Anpassungs- und Verbesserungsvorschläge im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen und umgesetzt werden. Die Ermöglichung der Wahl einer deutschen Rechtsform für SPACs wird sicherlich zu einer Stärkung und Modernisierung des Kapitalmarktes führen und ist daher zu begrüßen.