Nach dem Bundestag hat der Bundesrat am 7. Juli 2023 das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) gebilligt. Hintergrund der Gesetzesinitiative war, dass ein Regelungsbedarf aufgrund der hohen Verordnungszahlen von generischen Arzneimitteln gesehen wurde. Durch das Gesetz soll die Versorgungssicherheit mit Arzneimittel kurz- und langfristig gestärkt werden.
Das Gesetz sieht vor, dass deutsche Hersteller von Kinderarzneimitteln mehr Freiheit bei der Preisgestaltung erhalten und Festbeträge sowie Rabattverträge für diese Arzneimittel abgeschafft werden. Die Hersteller können ihre Preise zudem einmalig um bis zu 50 Prozent des letzten Festbetrags anheben, wobei die Krankenkassen die Mehrkosten für die Verordnung von Kinderarzneimitteln übernehmen müssen. Auch Festbetragsgruppen dürfen für Kinderarzneimittel nun keine mehr gebildet werden. Darüber hinaus werden Antibiotika mit EU- oder EWR-Wirkstoffen verpflichtend in die Verträge der Krankenkassen aufgenommen, um die Anbietervielfalt zu erhöhen. Außerdem wird die Zuzahlungsbefreiungsgrenze von 30 Prozent auf 20 Prozent gesenkt, um den Preisdruck bei Festbeträgen zu dämpfen. Apotheken erhalten zudem einen Zuschlag, wenn sie ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben müssen, und die Zuzahlung der Versicherten wird auf die verordnete Menge begrenzt. Im Falle von Marktengpässen können die Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel gelockert werden. Rabattverträge werden durch eine verpflichtende dreimonatige Lagerhaltung zur Vermeidung von Lieferengpässen angepasst, wobei auch eine externe versorgungsnahe Bevorratung ausreichend ist. Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte bei Lieferengpässen und es wird ein Frühwarnsystem eingerichtet. Zuletzt werden die Bevorratungspflichten für parenteral zu verabreichende Arzneimittel und für Antibiotika für die Intensivmedizin in Krankenhausapotheken erhöht und die Preisbildung geändert, um die Verfügbarkeit neuer Reserveantibiotika zu erhöhen.
Zusätzlich wurde Folgendes beschlossen, was im ursprünglichen Gesetzesentwurf noch nicht vorgesehen war: Durch das neue Gesetz entfällt die Präqualifizierung für apothekenübliche Hilfsmittel. Die Nullretaxationen werden für Apotheken in bestimmten Fällen eingeschränkt, was auf Protestaktionen der Apotheken in Bezug auf den ursprünglichen Gesetzesentwurf zurückzuführen sein dürfte. Um einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung bei Lieferengpässen oder Mehrbedarfen entgegenzuwirken, werden Onkologika in die neue Richtline für eine erhöhte Bevorratung aufgenommen. Künftig können auch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter Betäubungsmittel rechtssicher und aufgrund standardisierter ärztlicher Vorgaben verabreichen, wenn dies notwendig ist und keine Ärztin oder kein Arzt greifbar ist. Darüber hinaus werden durch das Gesetz rechtliche Rahmenbedingungen für Modellvorhaben zum sogenannten Drug-Checking in den Ländern geschaffen. Auch soll die in der Corona-Pandemie eingeführte Sonderregelung zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach telefonischer Anamnese künftig möglich sein.
Das Gesetz bringt vielversprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung mit sich, es wird sich aber erst noch zeigen, ob diese ausreichend sind. Darüber hinaus müssen die Wechselwirkungen beobachtet werden. Dies gilt auch für die Verlagerung der Kosten zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung bei Kindern auf das ohnehin bereits finanziell angeschlagene deutsche Krankenversicherungssystem.
Das ALBVVG muss nun vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden und wird anschließend im Bundesgesetzblatt bekanntgegeben. Bereits am Tag der Verkündung treten einzelne Regelungen in Kraft, andere Teile zu einem späteren Zeitpunkt.
Im Blick zu behalten sind außerdem die Pläne auf EU-Ebene. Eine Initiative von 19 Mitgliedstaaten, inbegriffen Deutschland, befasst sich ebenfalls mit der Problematik von Arzneimittellieferengpässen. Die Verfasser des Non-Papers bieten eine parallele, europäische Lösung an. Daneben befasst sich auch das EU-Pharmapaket mit der Problematik. Zum neuen EU-Pharmapaket finden Sie folgende Beiträge auf der Webseite:
Autoren:
Dr. Daniel Tietjen ist Partner und auf die Beratung und Vertretung nationaler und internationaler Unternehmen aus der Life Sciences-Branche spezialisiert. Katharina Hölle ist Associate, Mitglied der Praxisgruppe Patents Technology & Life Sciences und ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich Life Sciences.