In seinem Urteil vom 27. März 2025 (Az. I ZR 222/19) befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit Fragen zum Verkauf von nicht verschreibungspflichtigen, apothekenpflichtigen Arzneimitteln über die Internet-Plattform „Amazon-Marketplace“ (im Folgenden: Amazon).
Hintergrund der Entscheidung des BGH ist eine wettbewerbsrechtliche Streitigkeit zwischen zwei Apothekern. Der beklagte Apotheker, der Inhaber einer Versandhandelserlaubnis ist, vertreibt sein apothekenpflichtiges Sortiment auch über Amazon. Dort erfolgt die Bestellabwicklung derart, dass nach Übermittlung der Bestelldaten durch Amazon, die Bestellung von dem Apotheker freigegeben wird. Sodann werden die bestellten Arzneimittel von dem Apotheker verpackt und versendet. Bei dem Anmelde- bzw. Kaufprozess werden die Kundendaten bei Amazon gespeichert. Indes ist keine Einwilligung des Kunden in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner Bestelldaten vorgesehen. Der klagende Apotheker sah darin einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen in Form der Verarbeitung von Gesundheitsdaten ohne die nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a) Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO) erforderlich Einwilligung.
Nachdem das Landgericht Magdeburg (LG Magdeburg) die Klage zunächst mit Urteil vom 18. Januar 2019 (Az.: 36 O 48/18) mangels Klagebefugnis abgewiesen hatte, obsiegte der Kläger im Rahmen des sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Naumburg insoweit, als dem Beklagten mit Urteil vom 7. November 2019 (Az.: 9 U 6/19) untersagt wurde, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken apothekenpflichtige Medikamente über die Internethandelsplattform Amazon zu vertreiben, solange bei dem Anmelde- bzw. Kaufprozess über diese Internethandelsplattform nicht sichergestellt ist, dass der Kunde vorab seine Einwilligung in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner Gesundheitsdaten gegenüber dem Beklagten erteilt hat.
Dieser Entscheidung des Berufungsgerichts schloss sich der BGH nun in weiten Teilen an, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rechtssache C-21/23) über Vorlagefragen des BGH in dieser Sache entschieden hatte.
Der BGH stellte in seinem Urteil insbesondere Folgendes fest:
Vertrieb von Arzneimitteln über Amazon-Marketplace steht grundsätzlich in Einklang mit der Apothekenpflicht des § 43 Abs. 1 S. 1 AMG
Der BGH teilte die Auffassung des Berufungsgerichts, dass das Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 AMG im Rahmen des streitgegenständlichen Vertriebsmodells durch den Beklagten erfolgte und gerade nicht durch die Handelsplattform Amazon. Die Verkaufsplattform würde vielmehr nur zur Reichweitenerhöhung eingesetzt werden.
Begründet wird dies damit, dass das Inverkehrbringen gemäß § 4 Abs. 17 AMG eine Lager- oder Vorratshaltung von Arzneimitteln voraussetze. Diese habe im streitgegenständlichen Fall allein bei dem Beklagten gelegen. So war es der Beklagte, der die Bestellung freigab, sowie die Arzneimittel verpackte und versendete. Damit habe er die Arzneimittel an die Kunden abgegeben und ihnen die Verfügungsgewalt über die Arzneimittel eingeräumt. Die Verkaufssituation sei insofern – nach erfolgter Übermittlung der Bestelldaten durch Amazon an den Apotheker – mit einer direkten Bestellung bei einer Online-Apotheke vergleichbar.
Nach der Auffassung des BGH sei es für die Frage des Inverkehrbringens dagegen weder von Relevanz, ob dem Beklagten die von Amazon durchgeführten Werbemaßnahmen zugerechnet werden könnten, noch, ob die Funktion von Amazon über eine bloße Botentätigkeit hinausgehe. Außerdem führt der BGH an, dass es einem über die erforderliche Versandhandelserlaubnis verfügenden Apotheker freistehe, in seinen Vertrieb Logistikunternehmen einzuschalten oder mit Drogerien zusammenzuarbeiten, deren Niederlassungen als Abholstationen fungieren. Hierbei müsse nur darauf geachtet werden, dass sich die eingeschalteten Unternehmen nicht so verhalten, als ob sie selbst Arzneimittelhandel betreiben würden. Entsprechend sei auch der Vertrieb über Amazon mit der Apothekenpflicht kompatibel, solange die Arzneimittelabgabe institutionell allein durch den Beklagten erfolge.
Verarbeitung von besonderen personenbezogenen Daten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO
Wie schon das Berufungsgericht sieht auch der BGH in dem Vertrieb apothekenpflichtiger Arzneimittel über Amazon eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Diese Datenverarbeitung sei ohne eine ausdrückliche Einwilligung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a) DSGVO unzulässig.
Die rechtliche Qualifizierung der Bestelldaten als Gesundheitsdaten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO entspricht der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hatte auf die Vorlagefrage des BGH hin entschieden, dass es sich bei Daten, die Kunden bei der Bestellung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln angeben müssen, um Gesundheitsdaten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO handele. Betroffen seien der Kundenname, die Lieferadresse und andere Informationen, die für die Individualisierung des bestellten apothekenpflichtigen Arzneimittels notwendig sind.
Die Eingabe der Bestelldaten durch die Kunden und die daran anknüpfende Nutzung dieser Daten zur Ausführung der Bestellung stelle eine Verarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar. Aufgrund der Qualifizierung als Gesundheitsdaten läge hierin mangels Eingreifens eines Erlaubnistatbestands ein Verstoß gegen das Verarbeitungsverbot des Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Da im streitgegenständlichen Fall im Rahmen des Bestellvorgangs keine ausdrückliche Einwilligung vorgesehen war, fehle es insbesondere an der nach Art. 9 Abs. 2 Bucht. a) DSGVO erforderlichen ausdrücklichen Einwilligung in die Verarbeitung für einen bzw. mehrere ausdrücklich festgelegte Zwecke. Nach der Auffassung des BGH sei eine konkludente Einwilligung dagegen gerade nicht ausreichend. Ferner könne allein aus der Bestellung eines Medikaments auf Amazon auch kein Einverständnis mit der Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten abgeleitet werden.
Die wettbewerbsrechtliche Verantwortung für die rechtswidrige Datenverarbeitung sieht der BGH beim Beklagten. Amazon werde im Rahmen der arbeitsteiligen Vertriebsorganisation des Beklagten als dessen Beauftragte tätig. Die von Amazon in seinem unmittelbaren Einflussbereich vorgenommenen datenschutzrechtlich relevanten Handlungen seien dem Beklagten insofern wie eigene Handlungen zuzurechnen.
Datenschutzrechtliche Anforderungen an die Verarbeitung von Gesundheitsdaten sind Marktverhaltensregeln i.S.d. § 3a UWG
Sowohl nach der Auffassung des BGH als auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Anforderungen, welche die DSGVO an die Verarbeitung von Gesundheitsdaten stellt, als Marktverhaltensregeln im Sinne des § 3a UWG anzusehen. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften sei außerdem geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Dementsprechend sollen Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG berechtigt sein, wettbewerbsrechtliche Ansprüche auf dem Klageweg durchzusetzen. Anders hatte das noch das LG Magdeburg in 1. Instanz gesehen.
Diese Auffassung des BGH spiegelt die Rechtsprechung des EuGH wider, der mit seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 klargestellt hat, dass die in Kapitel VIII der DSGVO enthaltenen Regelungen zur Durchsetzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen nicht abschließend seien. Sie stünden Vorschriften des deutschen Rechts nicht entgegen, die einem Mitbewerber die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten nach der DSGVO gegen den Verletzer Klage zu erheben.
Wichtig:
Der BGH spricht sich gerade nicht gegen die grundsätzliche Vertriebsmöglichkeit von apothekenpflichtigen Arzneimitteln über Internet-Plattformen wie Amazon aus, solange die Arzneimittelabgabe institutionell allein durch den Apotheker erfolgt. Wird ein solcher Vertriebsweg gewählt, müssen aber die besonderen, für apothekenpflichtige Arzneimittel geltenden Anforderungen beachtet werden. Zu berücksichtigen ist hier zum einen das grundlegende Erfordernis einer Apotheken- und Versandhandelserlaubnis, zum anderen aber eben auch die Datenschutzanforderungen für Gesundheitsdaten, wonach insbesondere eine ausdrückliche Einwilligung des Kunden in die Verarbeitung seiner Gesundheitsdaten für einen bzw. mehrere ausdrücklich festgelegte Zwecke einzuholen ist.
Co-Autorin: Farina Simon