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7. Dezember 2022

Zeiterfassung 2.0 – nun offiziell: Was ändert sich?

  • In-depth analysis

Am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus einer arbeitsschutzrechtlichen Generalklausel abgeleitet. Nun sind die Entscheidungsgründe veröffentlicht worden. Unser Artikel beantwortet die wichtigsten Fragen zur Arbeitszeiterfassung, die sich aus der Entscheidung ergeben.


Worum geht es in der Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung? 

Das BAG hatte die Frage zu entscheiden, ob der Betriebsrat die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung über eine Einigungsstelle erzwingen kann. Dieses Recht hat das Gericht verneint. Denn das BAG sieht in § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes bereits eine gesetzliche Pflicht zur Zeiterfassung. Die Vorschrift enthält eine sogenannte Grundpflicht des Arbeitgebers im Arbeitsschutz. Sie lautet auszugsweise;

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers 
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. 
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten: 
Nr. 1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen […]

Bei europarechtskonformer Auslegung der Norm sei unter der Notwendigkeit zur Vorhaltung einer "geeigneten Organisation" die Pflicht zur systematischen Arbeitszeiterfassung zu verstehen. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung interpretiert das BAG in Umsetzung der bereits im Mai 2019 ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH 14. Mai 2019, C-55/18 – CCOO) in die Vorschrift hinein. Damals folgerte der EuGH aus der im Lichte der Grundrechtscharta auszulegenden Arbeitszeitrichtlinie die Pflicht zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit, das ausdrücklich auch behördliche Kontrollen gewährleisten soll und dessen Nutzung nicht dem Arbeitnehmer freigestellt ist.

Was ist von dieser Begründung zu halten?

Schon vor Erlass der Presseerklärung im September 2022 wurde der vom BAG gewählte Begründungsansatz weitgehend kritisiert. Diese Kritik ist insoweit berechtigt, als eigentlich der deutsche Gesetzgeber bereits seit 2019 gefordert war, das Arbeitszeitrecht neu auszugestalten. Bisher arbeitet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an einem Entwurf. 

In der Sache dürfte der Weg des BAG aber konsequent begründet sein: Denn das BAG erörtert ausführlich, warum andere Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung wegen der engen Anwendungsbereiche und des engen Wortlauts nicht in Frage kommen. Insbesondere scheidet der "Klassiker" § 16 Arbeitszeitgesetz aufgrund seines engen Wortlauts und möglicherweise auch wegen seiner öffentlich-rechtlichen Ausprägung aus. Wer sich mit dem Arbeitszeitrecht beschäftigt, weiß um dessen komplexes Zusammenspiel von Vergütungsrecht (z.B. MiLoG), öffentlichem Arbeitszeitgesetz neben Spezialregelungen (etwa für Off-Shore, Binnenschifffahrt und die fleischverarbeitende Industrie) und gerade dem Arbeitsschutz (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz). In der Praxis haben auch einige Arbeitsschutzbehörden und Gewerbeaufsichtsämter daher bereits bisher volle Zeiterfassung gefordert, übrigens auch bei der Vertrauensarbeit. 

Was müssen Arbeitgeber nun beachten?

Das BAG betont die grundsätzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitgeber. Übrigens: Diese gilt nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit, was möglicherweise auch sozialversicherungsrechtlich relevant werden kann. Eine Schonfrist gibt es nicht. Das BAG legt jedoch nur die Kriterien an ein solches Zeiterfassungssystem fest: Einerseits muss der Arbeitgeber ein solches bereitstellen, andererseits ist eine elektronische Zeiterfassung nicht geboten. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung delegiert, was jedoch mehr als ein bloßer Formalakt ist: Denn eine Pflichtendelegation erfordert unter anderem auch das Wissen, was als Arbeitszeit gilt und was genau zu erfassen ist. 

Besteht ein Betriebsrat, so hätte dieser ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung. Im konkreten Fall lehnte das BAG allerdings ein Initiativrecht des Betriebsrats ab, weil sich sein Antrag nur auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung bezog. Die Rahmenvorschrift aus § 3 ArbSchG ist diesbezüglich weiter, so dass auch andere Systeme in Betracht kommen. 

Gibt es direkten Handlungsbedarf für Arbeitgeber? 

Die Arbeitszeiterfassungspflicht gilt sofort. Wenn Arbeitgeber ein System bereits verwenden, müssen sie sicherstellen, dass dieses objektiv, verlässlich und zugänglich eine manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung ermöglicht. Nachbesserungsbedarf ergibt sich z.B., wenn einzelne Arbeitnehmergruppen/Betriebe von der Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind oder wenn das System nicht manipulationsfrei wäre. Zu prüfen wäre, ob alle Mitarbeiter unter das bestehende Arbeitszeiterfassungssystem gefasst werden sollen oder ob es unterschiedliche Systeme geben soll, etwa für Innendienst, Produktion, Außendienst, HR, Führungskräfte, Leiharbeitnehmer u.s.w. Im Kern wird es auch darum gehen, ob bestehende Betriebsvereinbarungen oder Richtlinien angepasst werden müssen. 

Gibt es noch kein System, so muss in einem ersten Schritt geprüft werden, welches System geeignet ist. Eine elektronische Zeiterfassung mag praktisch, muss aber nicht der Königsweg sein. Ein Excel-Sheet oder die Papierform wären auch ausreichend. 
Viele Arbeitgeber fragen sich, ob man erst den Entwurf des neuen Gesetzes abwarten kann. Wir sind zurückhaltend. Denn die Pflicht gilt gleich. Und indirekt laufen Arbeitgeber bei Verletzung dieser Pflicht schnell Gefahr, ein behördliches Verfahren oder – in einem zweiten Schritt – sogar Bußgelder zu kassieren. Zudem muss beachtet werden, dass Betriebsräte jedenfalls politischen Druck machen können. 

Für wen muss die Arbeitszeit erfasst werden?

In der Entscheidung geht es nur indirekt um die Frage, für wen die Arbeitszeiterfassungspflicht gilt. Wenig überraschend sind dies Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz. Wenn man jedoch konsequent mit dem Gesundheitsschutz argumentiert, wäre die Arbeitszeiterfassung auf alle Beschäftigte auszudehnen. Das BAG lässt jedoch wie der EuGH 2019 durchblicken, dass die gesetzgeberischen Ausnahmen in der Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie (dort Art. 17) weiter gelten. Demnach wären leitende Angestellte ausgenommen (vgl. § 18ArbZG). Wenn man diesen Schritt mitgehen wollte, wären gesetzgeberisch weitere Ausnahmen denkbar – allerdings ist die Diskussion seit Jahren in diesem Punkt festgefahren. Stand heute halten wir es für vertretbar, die Arbeitszeit von Leitenden Angestellten nicht zu erfassen. Aber Achtung: Nicht jede Führungskraft ist Leitender Angestellter im Sinne des Gesetzes. Geschäftsführer und Vorstände dürften in jedem Fall von der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit ausgenommen sein. 

Muss jeder Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen?

Die Einführung einer Zeiterfassung steht laut BAG nicht im Ermessen des Arbeitgebers. Auch Kleinstbetriebe mit klaren Anfangs- und Endzeiten müssen die Arbeitszeiten erfassen. In Hintergrund-Gesprächen mit dem entscheidenden Senat des BAG wurde deutlich, dass selbst ein nur nachmittags zwischen 14-18 Uhr geöffnetes Café oder eine nur vormittags geöffnete Kita die Arbeitszeiten erfassen muss, selbst wenn die Öffnungszeiten/betrieblichen Arbeitszeiten einen Arbeitszeitverstoß höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen oder die Gefährdungsbeurteilung von keinerlei Gefahr bezüglich der konkreten Tätigkeit bzw. Arbeitsplätze ausgeht.

Welche konkreten Anforderungen gelten an das Arbeitszeiterfassungssystem?

Das BAG ist hier bewusst offen. Es wird aber darauf ankommen, dass das System die Zeiterfassung objektiv, verlässlich und zugänglich manipulationsfrei gewährleistet. Ausreichend dürfte es sein, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer entsprechend instruiert, was auch eine Unterweisung zu der Frage, was Arbeitszeit ist, notwendig machen kann. Ob das BAG so verstanden werden möchte, dass Arbeitnehmer, die sich nicht daran halten, abgemahnt werden sollen, erscheint uns derzeit fraglich, auch wenn die Arbeitsschutzpflichten die Arbeitnehmer mittreffen. Denn aus einer primär den Arbeitnehmer schützenden Erwägung kann kein Argument gewonnen werden, das diesen Schutz reduziert. Jedenfalls muss der Arbeitgeber aber dokumentieren, die Mitarbeiter sorgfältig zur Arbeitszeiterfassung instruiert zu haben. Ein komplettes Ignorieren jeglicher Arbeitszeiterfassung bei vollständiger Vertrauensarbeitszeit dürfte nicht mehr möglich sein. Hier wäre auf den Gesetzgeber zu hoffen, der grundsätzlich Bereichsausnahmen vorsehen könnte. Da es bei der Arbeitszeiterfassung auch um Vergütung geht, müssen Überstunden auch erfasst werden – was aber auch schon der geltenden Gesetzeslage entspricht. Das BAG lässt aber offen, ob diese gesondert ausgewiesen werden müssen. Ausreichend wäre wohl die Erfassung des täglichen Beginns und des Endes der Arbeitszeit einschließlich Überstunden und abzüglich der Pausen. 

Gibt es die Möglichkeit, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu delegieren?

Erfreulicherweise bestätigt das Bundesarbeitsgericht die Delegationsmöglichkeit. Damit kann auch weiterhin eine Form von Vertrauensarbeit möglich bleiben. Das Europarecht schließe es nicht aus, die „Aufzeichnung … an die Arbeitnehmer zu delegieren“. 

Delegationsmodelle erschöpfen sich aber nicht in einem einfachen Schreiben. Denn die Delegationsempfänger müssen verstehen, was sie zu erfassen haben. Bisher galt der Grundsatz, dass hierfür insbesondere Schulungen notwendig sind. Zudem muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die ihm auferlegte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung korrekt ausgeübt wird. Das macht je nach Bereich unterschiedliche Kontrollen notwendig. In der Praxis werden Arbeitgeber auch die Schlüssigkeit prüfen wollen, was möglicherweise zu einer schärferen Kontrolle der Arbeitnehmer führen kann. Nicht ausreichen wird es, dass Arbeitgeber lediglich "pro forma" ein Zeiterfassungstool zur Verfügung stellen und die Nutzung durch die Mitarbeiter dann nicht überprüfen. Aus dem Arbeitsschutzgesetz erwachsen auch Überwachungspflichten des Arbeitgebers. Ein nur zum Schein bereitgestelltes Zeiterfassungstool würde den Anforderungen an eine "geeignete Organisation" nicht gerecht. 

Drohen nun betriebsverfassungsrechtliche Unterlassungsverfügungen?

Der Betriebsrat hat zwar kein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems. Allerdings hat er bei der konkreten Ausgestaltung ein volles Mitbestimmungsrecht, etwa über § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz bei elektronischen Systemen oder über § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz im Rahmen des Gesundheitsschutzes. Da es sich hierbei um sogenannte zwingende Mitbestimmungsrechte handelt, kann der Betriebsrat die Durchsetzung auch über die Einigungsstelle erzwingen. Gegenstand häufiger Diskussion dürfte etwa die Frage sein, für welche Mitarbeitergruppe welches System gelten soll. Je nach Einzelfall kann die Missachtung der Rechte des Betriebsrats auch zu einer von diesem angestrengten Unterlassungsverfügung führen. Davon unabhängig erwarten wir, dass die Arbeitszeit zwischen den Betriebsparteien zunehmend politisiert wird. 

Bietet die Entscheidung auch Chancen für Arbeitgeber?

Möglicherweise kann die Entscheidung auch eine Chance für Arbeitgeber bedeuten, Arbeitszeiten und damit Produktivität der Mitarbeiter effizienter zu monitoren. Denn eine Arbeitszeiterfassung kann auch Unterauslastungen genauso wie Workaholics erkennbar machen und dann z.B. im Bereich der Kündigung oder betrieblicher Umorganisation durch Arbeitszeitverdichtung hilfreich sein. In erster Linie dürfte aber zu befürchten sein, dass die Entscheidung des BAG zur Steigerung der Lohnkosten führt.

Was gilt bei Verstößen?

Ein Verstoß gegen § 3 Arbeitsschutzgesetz ist für sich genommen zwar nicht straf- und bußbewehrt. Indirekt kann bei mangelnder Arbeitszeiterfassung jedoch schnell ein Verstoß angenommen werden, wenn z.B. die speziellen Gefährdungsbeurteilungen insoweit unrichtig/unvollständig sind oder die Arbeitsschutzbehörden vollziehbare Anordnungen erlassen. Ob sich z.B. bei Arbeitsunfällen die Beweislast umkehrt, wenn der Unfall zumindest auch kausal auf einen potentiellen Verstoß gegen die zulässige Höchstarbeitszeit mangels Arbeitszeiterfassung zurückgeführt werden könnte, ist derzeit noch offen. Ebenso offen ist, ob die Arbeitszeiterfassung Kontrollen der Gewerbeaufsicht auf Einhaltung von Arbeitszeiten erleichtert und daher mittelbar das Risiko von Bußgeldern bzw. Strafbarkeiten aus dem Arbeitszeitgesetz steigern. Diese Entwicklung gilt es im Blick zu behalten. Arbeitgeber können dieses Risiko aber durch entsprechende betriebliche Policies/Richtlinien und Schulungen minimieren. Investition in eine zur Unternehmenskultur passenden Arbeitszeit-Compliance wird daher noch wichtiger.

Was wird vom Gesetzgeber zu erwarten sein?

Derzeit ist das Gesetzgebungsverfahren noch in einer sehr frühen Phase. Wir erwarten, dass der vor Jahren bereits vorgelegte Referentenentwurf nochmals "aktiviert" wird. Zu hoffen ist, dass allzu große Formalisierungen oder eine zunehmende Inflexibilität vermieden werden. Im Gegenteil sollten betriebliche Spielräume ausgebaut werden.

Der Koalitionsvertrag ist wenig konkret und trägt der geänderten Lebenswirklichkeit leider wenig Rechnung. Einerseits soll weiter der 8-Stunden-Tag gelten. Andererseits sollen Vertrauensarbeit und flexible Formen der Arbeitszeit weiter möglich werden. Ein generelles Abwarten und Hoffen auf den Gesetzgeber erscheint jedoch riskant, da erstens die bisherigen Diskussionen zur Reform der Arbeitszeit gescheitert bzw. verzögert wurden und zweitens das BAG hier keinen klaren Vertrauensschutz gewährt

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