24. September 2020
Die Corona Pandemie hat die Arbeitswelt nach wie vor fest im Griff. War zu Beginn der Pandemie noch Spontanität und Pragmatismus das Gebot der Stunde, richtet sich der Fokus nunmehr verstärkt darauf, neu geschaffene gesetzliche Regelungen einzuhalten und praxisgerecht umzusetzen. Sinnbildlich hierfür steht die digitale Betriebsverfassung. Hatte Arbeitsminister Hubertus Heil bereits vor Schaffung einer gesetzlichen Regelung die Zulässigkeit von digital gefassten Betriebsratsbeschlüssen (juristisch bestenfalls halbherzig abgesichert) für zulässig erklärt, stellen sich nach der Neufassung des § 129 BetrVG wichtige Umsetzungsfragen. Wie schafft der Arbeitgeber die technischen Voraussetzungen für eine virtuelle Betriebsratssitzung? Wie stellen Arbeitgeber und Betriebsratsmitglieder die gesetzlich geforderte Vertraulichkeit der Sitzung sicher? Wie ist im Falle einer technischen Störung zu verfahren? [siehe hierzu auch den lesenswerten Beitrag von Marc André Gimmy New Work - Die neue digitale Betriebsverfassung]. „Vor der Klammer“ steht jedoch die Frage, unter welchen Umständen die Betriebsratssitzung überhaupt virtuell stattfinden kann bzw. darf. Hierzu hat sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 24. August 2020 (12 TaBVGa 1015/20) in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren erstmals geäußert.
Der Gesamtbetriebsrat eines Klinikbetreibers wollte, auch im Angesicht eines unsicheren Infektionsgeschehens, eine Betriebsratssitzung in den Räumen des Arbeitgebers abhalten. Er gab an, die notwendigen Maßnahmen zum Infektionsschutz auch im Rahmen einer Präsenzsitzung einhalten zu können. Der Arbeitgeber untersagte (wohl unter Berufung auf sein Haus- und Direktionsrecht) die Sitzung und verwies den Gesamtbetriebsrat auf die Möglichkeit einer digitalen Betriebsratssitzung via Telefon- und Videokonferenz. Ein überregionales Treffen sei mit Blick auf die Pandemiegefahren nicht hinnehmbar. Dies gelte insbesondere, da die Gefahr einer Verbreitung der Infektion in den Kliniken besonders hoch sei.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hielt die Untersagung des Arbeitgebers für rechtswidrig. Die geplante Präsenzsitzung sei vom Arbeitgeber hinzunehmen. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz entscheide der Betriebsratsvorsitzende und nicht der Arbeitgeber über Zeit und Ort der geplanten Sitzung. Dies schließe grundsätzlich die Möglichkeit mit ein, eine Betriebsratssitzung als Präsentsitzung und nicht als Video-oder Telefonkonferenz durchzuführen. Auf eine virtuelle Sitzung könne der Betriebsrat auch deswegen nicht verwiesen werden, da die in der Sitzung anstehenden Wahlen durch das Gremium geheim erfolgen müssten und daher via Video- oder Telefonkonferenz gar nicht durchführbar seien. Infolgedessen sei eine Präsenzsitzung unter Beachtung der beim Arbeitgeber geltenden Corona-Beschränkungen nicht zu beanstanden. Das möglicherweise gesteigerte Ansteckungsrisiko sei hinzunehmen. Offen ließ das LAG jedoch die Frage, ob eine Untersagung der Präsenzsitzung nicht in anderen Fällen doch möglich sei, insbesondere für Sitzungen, in denen keine Wahlen anstünden. Den Antrag des Gesamtbetriebsrats, Präsenzsitzungen generell zu erlauben, wies das Gericht daher zurück. Entscheidend sei stets der Einzelfall.
Neben die zahlreichen Unsicherheiten rund um das „wie“ virtueller Betriebsratssitzungen gesellt sich ein Statement des Landesarbeitsgerichts bezüglich des „ob“ solcher Sitzungen. Ob Betriebsratssitzungen virtuell oder in persona durchgeführt werden, ist – so das Gericht – grundsätzlich Sache des einladenden Betriebsratsvorsitzenden. Eine klare Stärkung des Betriebsrats, insbesondere da die (zwangsläufige) Steigerung des Infektionsrisikos in der Abwägung mit den Rechten des Betriebsrats ausdrücklich hintenanstehen musste.
Für den Arbeitgeber bleibt die Erfüllung seiner Schutzpflichten (diese bestehen selbstverständlich auch gegenüber den Betriebsratsmitgliedern) einerseits und die Vermeidung von unzulässigen – und damit strafbewehrten – Eingriffen in die Betriebsratsarbeit andererseits ein Ritt auf der Rasierklinge. Er ist daher gut beraten, ein Verbot einer Präsenzsitzung – das auch nach den Aussagen des Landesarbeitsgerichts unter Umständen möglich ist – sorgfältig zu prüfen und zu begründen.
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