17. September 2020
Jeder Arbeitnehmer ist gelegentlich krank. Kann er aufgrund seiner Krankheit nicht arbeiten, liegt zusätzlich auch eine Arbeitsunfähigkeit vor. In diesem Falle ist der Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen verpflichtet, dem Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung sein Gehalt fortzuzahlen. Als Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit lässt sich der Arbeitgeber daher in der Regel eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) von seinen erkrankten Arbeitnehmern vorlegen. Mit dieser AU-Bescheinigung sollen die Arbeitnehmer nachweisen, dass ihre Arbeitsunfähigkeit jeweils durch einen Arzt gewissenhaft geprüft und bescheinigt wurde.
In der Praxis treten jedoch immer wieder Situationen auf, in denen Arbeitgeber trotz Vorlage einer AU-Bescheinigung berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben. Solche Zweifel entstehen insbesondere dann, wenn ein bestimmter Arbeitnehmer übermäßig oft AU-Bescheinigungen vorlegt, vorzugsweise im Anschluss an einen Urlaub oder zu Beginn/ Ende einer Woche. Ein berechtigtes Misstrauen entsteht zudem dann, wenn AU-Bescheinigungen in der Belegschaft überwiegend von einem bestimmten Arzt (sog. „Doc Holiday“) stammen.
Bei solchen berechtigten Zweifeln stehen Arbeitgeber keinesfalls „machtlos“ dar. Sie können vielmehr die Initiative ergreifen, und insbesondere auf folgende Arten gegen die AU-Bescheinigung vorgehen:
Nur wenige Arbeitgeber – und erstaunlicher Weise auch nur wenige Ärzte – wissen, dass es verbindliche „Spielregeln“ gibt, nach denen Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit prüfen und bescheinigen müssen. Diese Spielregeln sind in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses festgelegt. So muss der Arzt zur Beurteilung einer Arbeitsunfähigkeit den Arbeitnehmer konkret zu seiner aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen befragen (vgl. § 2 Abs. 5 der Richtlinie). An einer solchen ausführlichen Befragung wird es meist schon allein aufgrund des Zeitdrucks in vielen deutschen Arztpraxen fehlen.
Genau hier sollten Arbeitgeber bei Zweifeln an einer AU-Bescheinigung ansetzen, und sowohl den Arbeitnehmer, als auch den behandelnden Arzt um Stellungnahme bitten, ob die AU-Bescheinigung in Einklang mit der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ausgestellt wurde. Eine Entbindung des Arztes von seiner ärztlichen Schweigepflicht ist zur Beantwortung dieser Anfrage übrigens nicht erforderlich, denn er muss keine Auskunft über den Inhalt der Erkrankung des Arbeitnehmers geben, sondern nur über sein generelles Vorgehen bei der Prüfung der Arbeitsunfähigkeit.
Sollte sich der behandelnde Arzt weigern, Auskunft im Rahmen der vorgenannten Anfrage zu erteilen, dürfte dies in der Regel ein Indiz dafür sein, dass er bei der Ausstellung der AU-Bescheinigung nicht die Regeln der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie beachtet hat. Eine entsprechende Information über diesen Verdacht und über die Auskunftsverweigerung des Arztes sollte der betroffene Arbeitgeber vorsichtshalber an die Kassenärztliche Vereinigung weiterleiten. Dies gilt zumindest bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern. Die Kassenärztliche Vereinigung wird in der Regel bemüht sein, ihrerseits Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen, und ihn um Auskunft zur Ausstellung der AU-Bescheinigung aufzufordern.
Wenn der Arbeitgeber trotz ausgestellter AU-Bescheinigung berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hat, kann er zudem von der Krankenkasse verlangen, dass sie eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Dieses Verlangen darf die Krankenkasse nur dann ablehnen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergeben.
Wichtig ist aber, dass die Zweifel des Arbeitgebers tatsächlich berechtigt sind. Ein bloßes „Bauchgefühl“ reicht insoweit nicht aus. Der Gesetzgeber sieht Zweifel insbesondere dann als berechtigt an, wenn:
Wenn die Voraussetzungen für eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vorliegen, wird der Arbeitnehmer im Rahmen der Prüfung meist auch aufgefordert, sich einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (auch „Vertrauensarzt“ genannt) zu unterziehen. Die Weigerung des Arbeitnehmers, zu dieser Untersuchung zu erscheinen kann dann unter Umständen sogar eine Abmahnung und im Wiederholungsfall ggf. eine Kündigung rechtfertigen.
Eine unberechtigte AU-Bescheinigung müssen Arbeitgeber keinesfalls „kampflos“ hinnehmen. Zwar hat eine AU-Bescheinigung im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung zunächst einen hohen Beweiswert dafür, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig war; dieser Beweiswert kann durch die aufgezeigten Maßnahmen jedoch erschüttert werden.
Auch, wenn sich auf diese Weise nicht jeder Zweifel an einer AU-Bescheinigung als tatsächlich begründet herausstellen sollte, dürfte eine konsequente Überprüfung zweifelhafter AU-Bescheinigungen durch einen Arbeitgeber dazu führen, dass seine Arbeitnehmer und ihre behandelnden Ärzte künftig deutlich vorsichtiger bei der Ausstellung bzw. Vorlage von AU-Bescheinigungen sind.
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