20. Mai 2020
Mit Urteil vom 30. April 2020 (I ZR 139/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage der Bundesregierung gegen den Verlag Funke Medien auf Unterlassung der Veröffentlichung von militärischen Lageberichten zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr rechtskräftig abgewiesen. Der vollständige Entscheidungstext ist noch nicht veröffentlicht.
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte im Jahr 2012 die als „Afghanistan Papiere“ bekannt gewordenen Bundeswehrdokumente online veröffentlicht. Es handelte sich um Lageberichte zur „Unterrichtung des Parlaments (UdP)“ von mehr als 5000 Seiten, die mit der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet waren. Die Papiere wurden Journalisten der WAZ aus unbekannter Quelle zugespielt, nachdem ihr Antrag auf Einsichtnahme nach dem Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt worden war.
Die Bundesrepublik stütze ihre Klage auf eine vermeintliche Verletzung ihres Urheberrechts an den Berichten und war damit in den ersten beiden Instanzen (vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Köln) erfolgreich. Dann ließ der BGH die Revision des Verlags zu und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verschiedene Fragen zum Urheberrecht zur Vorabentscheidung vor. Unter anderem wollte der BGH wissen, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit Einschränkungen Urheberrechts außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Der EuGH nahm mit Urteil vom 29. Juli 2019 (C-469/17) zu den vorgelegten Fragen Stellung und legte dem BGH in seinen Vorbemerkungen die Klärung der Frage nahe, ob die streitgegenständlichen militärischen Lageberichte überhaupt urheberrechtlich geschützt seien.
In seiner Entscheidung ließ der BGH diese Frage nun offen. Jedenfalls habe die Veröffentlichung durch die WAZ etwaige Urheberrechte nicht widerrechtlich verletzt, da zugunsten des Verlags die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) eingreife.
In der durchgeführten Interessenabwägung hat der BGH unter anderem berücksichtigt, dass etwaige Verwertungsrechte der Bundesrepublik angesichts einer fehlenden wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Lageberichte allenfalls unwesentlich betroffen sind. Das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts des Werks schütze nicht das Interesse an der Geheimhaltung von Informationen aus Sorge vor Nachteilen für die staatlichen Interessen, dafür gebe es andere Vorschriften (z.B. § 93 ff. StGB). Soweit das Urheberpersönlichkeitsrecht möglicherweise tangiert sei, könne dieses das durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützte Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen. Insgesamt komme dem Interesse an einer Veröffentlichung der Afghanistan Papiere für die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu.
von Miriam Mundhenk