14. Mai 2020

Arbeitsunfälle im Homeoffice

Der tollpatschige Arbeitnehmer ist im Betrieb auf der sichereren (Versicherungs-)Seite

Arbeiten direkt neben dem vollen Kühlschrank, im Schlafanzug, am Küchentisch: Für viele Beschäftigte ist diese Situation spätestens seitdem wir uns und unsere Mitmenschen vor dem Corona-Virus schützen Alltag. Doch was (nicht nur kleidungstechnisch) grundsätzlich sehr bequem erscheint, kann arbeits- und sozialrechtlich durchaus unangenehm werden. Denn spätestens, wenn der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Toilette über seine Schuhe stürzt und sich das Knie verdreht, fragen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber: „Wer zahlt?“. Wir geben einen Überblick über (Betriebs-)Unfälle im Homeoffice.

Ein Blick in das siebte Sozialgesetzbuch (SGB VII) hilft kaum. Gemäß § 8 SGB VII ist ein (regelmäßig auch als Betriebsunfall bezeichneter) Arbeitsunfall des Versicherten ein Unfall infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 23 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). In § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII werden zwar Unfälle als „zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen“ legaldefiniert, doch bei der Beantwortung der eigentlichen Frage, hilft das nur wenig. Deutlich wird allein, dass von einem Arbeitsunfall auszugehen ist, wenn ein gesetzlich Unfallversicherter während einer versicherten Tätigkeit einen Unfall erleidet. Doch der Teufel steckt im Detail und auch die Rechtsprechung entwickelte in den vergangenen Jahren immer mehr Grundsätze, wann von einem Arbeitsunfall auszugehen ist.


Der Sinn und Zweck der GUV hilft

Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) gibt es in Deutschland schon seit fast 136 Jahren. Mit Erlass des Unfallversicherungsgesetzes am 6. Juli 1884 wurde ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Sozialversicherung begründet, dessen Grundsätze noch heute, in einer nahezu vollständig digitalisierten Welt, gelten und für die Beantwortung unserer Frage hilfreich sind. Der inzwischen im SGB VII geregelte gesetzliche Unfallversicherungsschutz soll nach wie vor den Betriebsfrieden wahren und Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermeiden, indem ein öffentlich-rechtlicher Schuldner bei Arbeitsunfällen des Arbeitnehmers einsteht. Dieser Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung ist noch heute bei der Beantwortung, wann ein Unfall des Arbeitnehmers als ein Betriebsunfall zu qualifizieren ist, von Bedeutung. Möglichst unjuristisch beschrieben liegt ein Betriebsunfall i. S. d. § 8 SGB VII regelmäßig vor, wenn er sich bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit oder aufgrund einer betriebstypischen Gefahr ereignet. Auch im Homeoffice ist es entscheidend, ob der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer während des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausübte, oder sich eine typische Betriebsgefahr verwirklichte. Letzteres wird im Homeoffice selten der Fall sein. Denn die typischen Betriebsgefahren sind regelmäßig am Betriebsort verortet und können beispielsweise durch Maschinen und Geräte, oder auch einen abstehenden Teppich begründet werden. Nur ausnahmsweise verwirklicht sich im Homeoffice eine Betriebsgefahr, wenn z. B.  – übertreiben wir einmal – der Arbeitnehmer Verbrennungen erleidet, da der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Laptop wegen eines defekten Akkus Feuer fängt. Daneben ist der Arbeitnehmer gesetzlich unfallversichert, wenn er die versicherte Tätigkeit ausübt, d. h. arbeitet und eine arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht erfüllt. Erwartet der Arbeitnehmer von einem Kollegen neue Akten, schellt dieser an der Tür und stürzt der im Homeoffice Tätige auf dem Weg zur Haustür, ereignete sich der (Arbeits-)Unfall während der betrieblichen Tätigkeit. Zurecht bejahte das Bundessozialgericht einen Arbeitsunfall, als ein Arbeitnehmer eine Treppe hinabstürzte, während er in den Keller ging, um im häuslichen Büro ein dienstliches internetbasiertes Telefonat zu führen (vgl. BSG, Urteil vom 31.8.2017 – B 2 U 9/16 R). Der Unfall ereignete sich schließlich, als der Arbeitnehmer im Interesse des Arbeitgebers handelte. An dieser Stelle ist es für die Wahrung des Betriebsklimas sinnvoll, wenn der öffentlich-rechtliche Schuldner in die Haftung eintritt. Der Weg zur Toilette wiederum dient gerade nicht dem Interesse des Arbeitgebers, sondern ist allein einem persönlichen Bedürfnis geschuldet. Es handelt sich um eine sogenannte eigenwirtschaftliche Verrichtung. Ein Sturz ist hier kein Arbeitsunfall. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, bei Betrachtung des Sinn und Zwecks der GUV und Beantwortung der Frage, ob durch den Unfall der Betriebsfrieden gefährdet ist. Dies ist bei einem Sturz über die eigenen Schuhe auf dem Weg zur Toilette im häuslichen Bereich nicht der Fall. Schließlich erfüllt der tollpatschige Arbeitnehmer hierbei keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Doch Vorsicht: Die Wertung ist im Falle eines Sturzes auf dem Weg zu den Waschräumen vor Ort beim Arbeitgeber eine ganz andere. Denn hier werden die Beschäftigten in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden und müssen an einem von ihm vorgegebenen Ort tätig werden. Hier sind grundsätzlich eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, wie auch der Gang in die Mittagspause, grundsätzlich unfallversichert. Dies macht auch unter Beachtung des Sinn und Zwecks der GUV Sinn. Denn der Arbeitnehmer wird durch seine Anwesenheit im Betrieb gezwungen, einen bestimmten Weg zu den Waschräumen oder zum Pausenraum zurückzulegen.

Praxishinweis

Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung hilft bei einer ersten Beurteilung, ob ein Unfall im Homeoffice ein Arbeitsunfall ist. Doch beachten Sie, dass es regelmäßig auf Detailfragen ankommt, die nicht pauschal beantwortet werden können. Was ist z. B., wenn der Arbeitnehmer zu Hause auf dem Weg ins Badezimmer ein dienstliches Telefongespräch führt? Bei derartigen Konstellationen sind die Fälle individuell zu prüfen und es ist u. a. die überwiegende Handlungsmotivation des Arbeitnehmers zu hinterfragen. Regelmäßig werden die Sozialversicherungen bei Unfällen im Homeoffice eine Einstandsplicht zu Unrecht ablehnen. Ist dies der Fall, sollte eine solche Entscheidung nicht einfach hingenommen, sondern zumindest hinterfragt werden.

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