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Dr. Martin Rothermel

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18. April 2019

Vertragshändlerausgleich auch ohne Kundendaten?

Seit Jahrzehnten besteht unter Richtern Einigkeit darüber unter welchen Voraussetzungen der Handelsvertreterausgleichsanspruch nach § 89b HGB in analoger Anwendung auch einem Vertragshändler zukommt. Nun weist ein Beschluss des LG Fürth in eine gänzlich andere Richtung. Das darf in seiner Bedeutung nicht überhöht und auch nicht verallgemeinert werden. Daher haben wir die bisherige Rechtsprechung zu dem Thema für Sie aufbereitet.


Der Vertragshändlerausgleichsanspruch

Vertragshändler kaufen Produkte von ihrem Lieferanten (Unternehmer) und verkaufen sie wieder. Händler tragen somit selbst Absatzrisiken und erwarten im Gegenzug Gewinnmargen. Das Händlerrecht ist in Deutschland (wie in den meisten EU-Mitgliedsstaaten) nicht gesetzlich geregelt. Es gibt jedoch umfangreiche Rechtsprechung, die sich bisweilen am Handelsvertreterrecht orientiert.

Eine der wichtigsten Regelungen des Handelsvertreterrechts ist der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB. Er wird fällig wenn das Vertragsverhältnis beendet wurde. Die Intention liegt darin, dass dem Unternehmer von den Aktivitäten des Handelsvertreters erhebliche Vorteile verbleiben, wie etwa der aufgebaute Kundenstamm. Ein solcher Ausgleichsanspruch kann dabei bis zu einer durchschnittlichen Jahresprovision des Handelsvertreters betragen (§ 89b II HGB). Darüber hinaus ist der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers unabdingbar/zwingend, das bedeutet, dass dieser in einem Vertrag nicht ausgeschlossen werden darf (§ 89b IV HGB).

Auch Vertragshändler erarbeiten ihren Lieferanten regelmäßig Vorteile, von denen letztere nach Beendigung des Vertragsverhältnisses weiterhin profitieren. Deshalb hat die Rechtsprechung einen Ausgleichsanspruch zugestanden, wenn Händler (1) in die Absatzorganisation der Lieferanten eingegliedert sind und (2) während oder am Ende der Zusammenarbeit die Kundendaten an die Lieferanten übermitteln müssen.

Die bisherige Rechtsprechung

Die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts geht bereits auf das Reichsgericht zurück (etwa zum Kündigungsrechts eines Bierhändlers: RG Urteil vom 22.12.1906 – I 281/06 – RGZ 65, 37). Der BGH wiederum hat in den 1950er Jahren selbst die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung der Handelsvertretervorschriften auf Vertragshändler (damals auch Eigenhändler genannt) gesehen und sukzessive die Voraussetzungen herausgearbeitet (BGH Urteil vom 02.04.1957 – VIII ZR 60/56 = NJW 1957, 1026; Urteil vom 29.04.1958 – VIII ZR 189/57 = NJW 1958, 1138). Die aktuell immer noch geltenden Analogievoraussetzungen wurden 1958 etabliert und zwar durch BGH Urteil vom 11.12.1958 – II ZR 73/57 = BGHZ 29, 83 = NJW 1959, 144, 146: (1) Eingliederung in die Absatzorganisation des Lieferanten und (2) Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes.

Zusätzlich zur Prüfung dieser konkreten Analogievoraussetzungen sollte allerdings eine gewisse Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers vorliegen. Diese wurde teilweise in der Unterwerfung unter Formularverträge (BGH Urteil vom 11.12.1958 – II ZR 73/57 = BGHZ 29, 83 = NJW 1959, 144) oder auch in dem Mangel an Eigenkapital (BGH Urteil vom 16.02.1961 – VII ZR 239/59 = BGHZ 34, 282, 285) gesehen. Allerdings ist inzwischen keine Schutzbedürftigkeit neben den beiden Analogiekriterien mehr erforderlich (BGH Urteil vom 11.02.1977 – I ZR 185/75 = BGHZ 68, 340, 343).

Die Rechtsprechung zu den beiden Analogievoraussetzungen hat sich über die Jahre hinweg verfestigt (einen Auszug aus der Vielzahl an Entscheidungen finden Sie in der Infobox).



Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 27.11.2018

Dem Beschluss des Landgerichts (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.11.2018 – 2 HK O 10103/12 = ZVertriebsR 2019, 50) zugrunde lag ein Vertragshändlervertrag, nach dessen Beendigung der Händler einen Ausgleichsanspruch fordert.

Das Gericht stellt die bisherigen Analogievoraussetzungen in Frage, weil ein Ausgleichsanspruch vielleicht schon dann zugesprochen werden sollte, wenn ein „Unternehmervorteil aus der Geschäftsbeziehung“ auszugleichen ist. Dem Landgericht genügt daher bereits eine faktische Kontinuität des Kundenstammes. Dies widerspricht aber, obwohl in der Literatur immer wieder so vertreten, der geltenden Rechtsprechung. Beispielsweise wollte der BGH bereits 1996 lieber an „der bisherigen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung“ festhalten (BGH Urteil vom 17.04.1996 – VIII ZR 5/95 = NJW 1996, 2159, 2160; bestätigt durch BGH Urteil vom 26.11.1997 – VIII ZR 283/96 = NJW-RR 1998, 390). Dass faktische Kontinuität nicht ausreichend ist, hatte der BGH zuletzt 2015 und 2016 noch mal bestätigt und auf Ausgleichsansprüche von Franchisenehmern (BGH Urteil vom 05.02.2015 – VII ZR 109/13 = NJW 2015, 945 – Kamps Entscheidung) und Kommissionsagenten (BGH Urteil vom 21.07.2016 – I ZR 229/15 = NJW 2017, 475) ausgeweitet. Letztere Entscheidung wird zwar von einzelnen Autoren in der Literatur herangezogen, um genau das Gegenteil zu vertreten. Aber der BGH nimmt nur bei Kommissionsagenten an, dass keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten erforderlich ist, da dies für den Kommissionsagenten gesetzlich in § 384 II HGB geregelt ist. Diese gesetzliche Besonderheit des Kommissionsagenten ist jedoch nicht auf Vertragshändler und Franchisenehmer übertragbar.

Das Landgericht begründet seine mögliche zur Abkehr von der ständigen Rechtsprechung mit angeblichen Tendenzen in der Rechtsprechung, welche auf „eine immer größere Annäherung des Ausgleichsanspruchs für Vertragshändler an denjenigen von Handelsvertretern“ hindeuten sollen. Dazu verweist es auf eine (einzige) Entscheidung, durch welche dem Vertragshändlerausgleichsanspruch gleich dem Handelsvertreterausgleichsanspruch eine zwingende Natur zugesprochen wird (BGH Urteil vom 25.2.2016 – VII ZR 102/15 = NJW 2016, 1885). Selbst wenn man der aktuellen Rechtsprechung – die allerdings durchweg konsequent beide Voraussetzungen prüft, s.o. – diese Tendenzen entnimmt, ist damit noch nicht begründet, dass eine seit rund 60 Jahren bestehende Analogievoraussetzung verworfen werden muss, es ist nur festgehalten, dass der Anspruch (wenn er besteht) zwingend ist. Überzeugend ist das nicht.

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