Im Juli 2024 wird der 33-jährige chinesische Biologe Zunyong Liu am Flughafen Detroit festgenommen. In seinem Gepäck finden die US-Behörden illegale Proben des Pilzes Fusarium graminearum, ein potenzieller „Agroterrorismus“-Erreger. Der Fall zeigt: Biotechnologie entwickelt sich – beschleunigt durch Künstliche Intelligenz (KI) – zur nächsten geopolitischen Schlüssel- aber auch Gefahrentechnologie.
Staaten weltweit ringen darum, Innovation und Sicherheit in Einklang zu bringen. Denn was medizinischen Fortschritt ermöglicht, kann zugleich neue Risiken für Gesellschaften und Volkswirtschaften schaffen. Die Herausforderung: den technologischen Vorsprung zu sichern, ohne die Tür für Missbrauch oder unkontrollierte Weitergabe sensibler Forschungsergebnisse zu öffnen. Eine Analyse von Dr. Niclas v. Woedtke auf Basis des Panels „Biotechnology & National Security“ der Global Security and Innovation Summit 2025 in Hamburg.
Dilemma Dual-Use
Kaum ein Feld verdeutlicht die Ambivalenz moderner Wissenschaft so deutlich wie die Biotechnologie. Ihre Instrumente – von der Genom-Editierung bis zur synthetischen Biologie – dienen der Heilung von Krankheiten, können aber ebenso zur Entwicklung pathogener Mikroorganismen oder biologischer Waffen missbraucht werden. Diese sogenannte Dual-Use-Thematik stellt Politik, Forschung und Unternehmen gleichermaßen vor neue Verantwortung.
Traditionelle Kontrollmechanismen – etwa die EU-Dual-Use-Verordnung oder internationale Nichtverbreitungsabkommen – stoßen hier an ihre Grenzen. Sie waren für eine analoge Welt konzipiert, in der physische Materialien und Laborprozesse überprüfbar waren. Doch in einer digitalisierten Forschungsumgebung mit Cloud-Laboren, offenen Datenbanken und KI-gestützten Analysemodellen lassen sich sensible Informationen kaum noch territorial kontrollieren.
„Die gleiche Technologie, die Pandemien bekämpfen kann, kann auch neue Bedrohungen schaffen. Unsere Aufgabe ist es, beide Seiten der Medaille rechtlich und politisch zu adressieren.“
— Dr. Niclas von Woedtke
KI × Biotech: Eine neue sicherheitspolitische Frontlinie
Mit der Verschmelzung von KI, Automatisierung und Biotechnologie entstehen neuartige Risiken. KI-Modelle können heute genetische Sequenzen entwerfen, Laborprozesse simulieren oder Proteinstrukturen berechnen – Fähigkeiten, die bislang hochspezialisierte Forschungsteams vorbehalten waren. Cyberangriffe auf Genomdaten oder automatisierte Produktionsprozesse eröffnen Angreifern zudem ein völlig neues Feld für Spionage und Sabotage.
Die USA reagieren mit industriepolitischen und sicherheitsrechtlichen Maßnahmen wie dem BIOSECURE Act, der Investitionen in oder den Erwerb von Biotech-Dienstleistungen aus „Risikostaaten“ einschränkt. Deutschland befindet sich mit seiner „Zeitenwende“ zwar in einem strategischen Umbruch, doch der regulatorische Ansatz bleibt fragmentiert und von der engen europäischen Rechtsarchitektur geprägt. Die EU wiederum arbeitet mit dem geplanten EU Biotech Act an einem neuen Ordnungsrahmen, der Forschung und Sicherheitsinteressen in Balance bringen soll.
Regulatorische Sandboxes: Lernen im System
Einen zentralen Ansatzpunkt bildet das Konzept sogenannter regulatorischer Sandboxes – kontrollierte Experimentierräume, in denen neue Technologien unter realen Bedingungen, aber mit klar definierten Sicherheitsgrenzen getestet werden können. Solche lernenden, adaptiven Regulierungsumgebungen könnten zum Schlüssel werden, um Innovation zu ermöglichen, ohne die Sicherheitsarchitektur zu schwächen.
„Sicherheit ist kein statisches Konzept, sondern ein lernendes System. Regulatorische Sandboxes bieten die Chance, Innovation und Schutz neu auszubalancieren.“
— Dr. Niclas von Woedtke
Der geplante EU Biotech Act 2026 knüpft genau hier an – mit dem Ziel, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und zugleich die strategische Autonomie Europas im Biotech-Sektor zu stärken.
Neue Sicherheitsarchitekturen für die Bioökonomie
Langfristig führt kein Weg daran vorbei, Biotechnologie als Teil der kritischen Infrastruktur zu begreifen – und Sicherheit als innovationspolitisches Leitprinzip. Physische, digitale und rechtliche Schutzmechanismen müssen ineinandergreifen. Dazu gehören robuste Cybersecurity-Protokolle, sichere Datenräume, internationale Austauschmechanismen und die Anpassung bestehender Nichtverbreitungsabkommen an den technologischen Fortschritt.
Die Technologien, die Biotechnologie demokratisieren, öffnen zugleich neue Einfallstore für Missbrauch. Nur wenn Staaten, Unternehmen und Forschungseinrichtungen Sicherheit als integralen Bestandteil von Innovation verstehen, lässt sich der Balanceakt zwischen Offenheit und Kontrolle meistern.
Taylor Wessing begleitet Akteure aus Biotechnologie, Life Sciences und Hightech-Sektoren an der Schnittstelle von Recht, Technologie und Sicherheit.