Synthetisch versus natürlich, Tierschutz versus Technologie: Rechtliche, technische und ethische Überlegungen sind allesamt Teil der Debatte über kultiviertes Fleisch. Während Anbieter pflanzlicher Fleischalternativen inzwischen flächendeckend im Einzelhandel vertreten sind, ist es um kultiviertes Fleisch bislang vergleichsweise still geblieben. Um zu verstehen, warum das (noch) der Fall ist, muss zunächst der Produktionsprozess von kultiviertem Fleisch betrachtet werden. Außerdem muss geklärt werden, was genau unter diesen Begriff fällt.
Dieser Artikel soll zunächst eine allgemeine Definition des Begriffs „kultiviertes Fleisch“ geben, um in der Folge einen Überblick über die aktuellen Marktzugangsvorschriften in der Europäischen Union (EU) und im Vereinigten Königreich (UK) aufzeigen zu können.
Kultiviertes Fleisch – was ist das?
Fleisch, das kultiviert, synthetisch hergestellt, im Labor gezüchtet oder auf Zellbasis hergestellt wird – all diese verschiedenen Begriffe bezeichnen dasselbe: Echtes tierisches Fleisch, das durch die Kultivierung tierischer Zellen in einer sicheren und kontrollierten Umgebung hergestellt wird. Es gilt nicht als vegetarisch und ist nicht zu verwechseln mit pflanzlichen Fleischersatzprodukten, die aus proteinreichen Pflanzen wie Soja oder Erbsen gewonnen werden. Aufgrund technischer Fortschritte muss jedoch kein Tier für die Produktion von kultiviertem Fleisch sterben, soweit die Theorie. In der Praxis sieht das jedoch derzeit teilweise noch etwas anders aus.
Kultiviertes Fleisch wächst nicht als fertiges Stück im Reaktor heran. Stattdessen werden verschiedene Zelltypen gezielt kultiviert. In einem ersten Schritt werden Stammzellen entweder durch eine Biopsie aus einem lebenden Tier gewonnen oder aus einem bereits geschlachteten Tier entnommen. Diese Zellen werden anschließend in einem Bioreaktor in einer speziellen Nährlösung vermehrt. Dabei differenzieren sie sich zu unterschiedlichen Zelltypen, darunter Muskel- und Fettzellen – die Grundbausteine von Fleisch. Nach ihrer Trennung wachsen diese Zellen auf einer Trägerstruktur weiter und bilden sogenannte Zellcluster. Dabei entstehen jedoch keine trainierten Muskelfasern wie beispielsweise in den Hinterläufen eines Tieres. Aus diesem Grund wird kultiviertes Fleisch derzeit hauptsächlich für Produkte wie Nuggets oder Hackfleisch verwendet, bei denen Form und Struktur zweitrangig sind. Bis im Labor „trainiertes“ Fleisch – etwa in Form von Steaks oder Filets – hergestellt werden kann, wird es noch einige Zeit dauern.
Mögliche Vor- und Nachteile von kultiviertem Fleisch
Kultiviertes Fleisch ähnelt herkömmlichem Fleisch in Aussehen, Geschmack und Nährwert, wobei sich gleichzeitig viele negative Aspekte der industriellen Fleischproduktion vermeiden lassen. Dennoch bedarf es weiterer Optimierungen, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen. Dies betrifft vor allem den Energieverbrauch und die Produktionskosten, die mit der Züchtung von Fleischzellen im Bioreaktor einhergehen. Erneuerbare Energien werden bei der Bewältigung dieser Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen. Bereits heute ist der Ressourcenverbrauch – insbesondere bei Land und Wasser – deutlich geringer als in der konventionellen Tierhaltung.
Ein zentraler Aspekt im Zusammenhang mit kultiviertem Fleisch ist der Tierschutz: Es lässt sich eine große Menge an Fleisch erzeugen, ohne dass Tiere getötet werden müssen. Allerdings enthält die aktuell verwendete Nährlösung, in der die Stammzellen wachsen, unter anderem fetales Kälberserum (FKS), das aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Dazu muss eine trächtige Kuh geschlachtet werden: Kultiviertes Fleisch ist daher bislang noch nicht vollständig schlachtfrei. Die Forschung an synthetischen Nährmedien schreitet jedoch voran, und das Unternehmen Mosa Meat hat bereits erklärt, kultiviertes Fleisch ohne den Einsatz von FKS produzieren zu können.
Lebensmittelverordnung über den Marktzugang von kultiviertem Fleisch: Novel-Food-Verordnung
Die Vorschriften im Vereinigten Königreich und in der EU sind sich sehr ähnlich. Das liegt daran, dass kultiviertes Fleisch in der EU unter die Novel-Food-Verordnung fällt. Diese Verordnung bildet auch die Rechtsgrundlage für die Vermarktung und Verwendung neuartiger Lebensmittel im Vereinigten Königreich. Dort ist die Food Standards Agency (FSA) für die Lebensmittelsicherheit und die Regulierung neuartiger Lebensmittel zuständig. Erst vor wenigen Wochen hat die FSA ein neues Programm ins Leben gerufen, bei dem Start-ups, die im Sektor kultivierter Fleischtechnologien tätig sind, mit Wissenschaftlern, Regulierungsexperten sowie akademischen Einrichtungen zusammenarbeiten. Ziel dieses neuen Projekts es, den Zulassungsprozess für kultiviertes Fleisch zu überarbeiten und zu beschleunigen.
Da kultiviertes Fleisch vor 1997 in der EU nicht konsumiert wurde, wird es als „neuartiges Lebensmittel“ eingestuft und unterliegt der Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel-Food-Verordnung). Daher muss kultiviertes Fleisch eine Reihe von Kriterien erfüllen, um in der EU vermarktet werden zu können. Das neuartige Lebensmittel muss von der Europäischen Kommission zugelassen werden. Das Unternehmen, das das Produkt in den Verkehr bringen möchte, muss dafür ein Dossier gemäß den Leitlinien für neuartige Lebensmittel einreichen. Anschließend führt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Risikobewertung durch, um sicherzustellen, dass das Produkt für den menschlichen Verzehr unbedenklich ist. Um nachzuweisen, dass das neuartige Lebensmittel kein Sicherheitsrisiko für die menschliche Gesundheit darstellt, müssen fundierte wissenschaftliche Daten vorgelegt werden. Der Antragssteller muss das neuartige Lebensmittel detailliert beschreiben und umfassende Informationen über den Herstellungsprozess, die Zusammensetzung und die vorgesehene Verwendung vorlegen. Nach Abschluss der Überprüfung wird über die Marktzulassung entschieden. Bei positiver Entscheidung wird das Produkt in die sogenannte Unionsliste der neuartigen Lebensmittel aufgenommen.
Ein französisches Start-up ist das erste Unternehmen, das im Jahr 2024 bei der EFSA einen Antrag auf Zulassung eines Fleischersatzes aus Zellkulturen gestellt hat. Das Zulassungsverfahren nach der Novel-Food-Verordnung ist ein gründliches Verfahren, das voraussichtlich mindestens 18 Monate in Anspruch nehmen wird. Daher kann es noch immer einige Zeit dauern, bis eine mögliche Genehmigung erteilt wird. Derzeit führen mehrere andere Unternehmen erste Gespräche mit der EFSA. Bislang wurde allerdings noch kein Produkt aus kultiviertem Fleisch zugelassen.
Seit Februar 2025 ist im Vereinigten Königreich allerdings bereits Hundefutter und anderes Fleischfutter für Haustiere auf dem Markt erhältlich, das nicht aus „echtem“ Fleisch sondern aus kultivierten Hühnerzellen hergestellt wird. Im August 2024 hatten die britischen Behörden das weltweit erste Produkt dieser Art zugelassen. Damit ist das Vereinigte Königreich das erste Land in Europa, das kultiviertes Fleisch offiziell für das Inverkehrbringen genehmigt hat. Zur Herstellung dieses Produkts wird zunächst eine kleine Zellprobe aus einem Hühnerei entnommen und anschließend im Labor mit Vitaminen und Aminosäuren kultiviert. Die Zellen wachsen dann in einem Behälter heran, der solchen ähnelt, in denen Bier fermentiert wird. Das Ergebnis des Herstellungsprozesses ist eine Pasteten-artige Masse.
Die Positionen einiger Mitgliedstaaten der EU
Trotz der harmonisierten Regelung im EU-Lebensmittelrecht sind die politischen Positionen in den einzelnen Mitgliedstaaten weitaus fragmentierter. Die Mitgliedstaaten der EU vertreten teilweise sehr unterschiedliche Standpunkte zu Laborfleisch. Ohne die Zulassung als neuartiges Lebensmittel durch die EFSA darf kultiviertes Fleisch allerdings nicht auf dem EU-Markt in den Verkehr gebracht werden. Politischer Widerstand einzelner Mitgliedstaaten könnte somit eine Gefahr für die Zulassung als neuartiges Lebensmittel darstellen.
Deutschland nimmt in dieser Frage eine neutrale Haltung ein und möchte die Entwicklung von kultiviertem Fleisch weiter beobachten.
Allerdings sorgte ein anderes europäisches Land für in diesem Zusammenhang für Schlagzeilen: Italien war das erste europäische Land, das die Herstellung, Vermarktung und den Verkauf von kultiviertem Fleisch gesetzlich verboten hat. Die italienische Regierung hat dieses Gesetz jedoch verabschiedet, bevor die EU-Kommission oder andere Mitgliedstaaten die Auswirkungen des Vorhabens bewerten konnten, obwohl innerhalb der Union Einwände erhoben wurden. Da das Gesetz der italienischen Regierung erst nach seiner Verabschiedung im Parlament in das TRIS-Verfahren eingebracht wurde, sah sich die Kommission gezwungen, das Verfahren unter dem Hinweis einzustellen, dass gegen das Verfahren verstoßen wurde und dass nationale Gerichte das Gesetz für nicht vollstreckbar erklären könnten. Die Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Gesetzes gehen dabei aber über rein verfahrensrechtliche Fragen hinaus. So könnte das Gesetz insbesondere auch gegen das EU-Vorsorgeprinzip und gegen die italienische Verfassung verstoßen.
Im Gegensatz hierzu stellen die Niederlande vor allem die Chancen des Laborfleisches heraus. Kultiviertes Fleisch kann dort unter kontrollierten Bedingungen auch verkostet werden.
Ausblick
Seit der Vorstellung des ersten kultivierten Fleisch-Burger-Patties im Jahr 2013 hat sich in diesem Bereich viel getan. Kürzlich wurde bekannt gegeben, dass Forschende der Universität Tokio das bislang größte im Labor gezüchtete Fleischstück hergestellt haben. Technologische Entwicklungen werden für weitere Fortschritte entscheidend sein. Es ist und bleibt Aufgabe der Regierungen und der EU, diese Entwicklung rechtlich zu unterstützen und dadurch einen geeigneten regulatorischen Rahmen zu schaffen. Unabhängig von den gesetzlichen Anforderungen wird aber letztendlich die Akzeptanz der Verbraucher über den Erfolg oder Misserfolg von kultiviertem Fleisch entscheiden.