3. März 2025
Nachhaltige Vergütung ist schon längst kein rein aktienrechtliches oder branchenrechtliches Spezialthema mehr etwa für Banken, Hedgefonds oder Versicherungsinstitute. Vielmehr sollte nachhaltige Vergütung – nicht zuletzt wegen der bis 7. Juni 2026 umzusetzenden Entgelttransparenzrichtlinie 2023/970/EU – schon jetzt ein integraler Bestandteil einer diskriminierungsfreien Unternehmenskultur sein.
Prominente Gerichtsentscheidungen, aber auch die zunehmende Zahl an Fachtagungen zeigen immer wieder den großen Handlungsbedarf in allen Teilen der deutschen und europäischen Unternehmen auf. Dabei geht es weit mehr als um reine Diskriminierung: Sozialversicherungsrechtlich entgeht statistisch jede Stunde der deutschen Rentenversicherung ein zweistelliger Millionenbetrag, wenn man den bereinigten Gender Pay Gap bezogen auf den Durchschnittsverdienst zugrunde legt. Ist das Entgeltsystem eines Unternehmens diskriminierungsanfällig oder intransparent, sinkt dessen Attraktivität im Wettbewerb um die besten Köpfe. Gerade die Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Entgelttransparenzrichtlinie machen deutlich, dass zukünftig ein starker Fokus auf der richtig begründeten und juristisch geprüften Vergütungsentscheidung liegen wird.
Die Umsetzung der Richtlinie kann sehr komplex sein – mitunter fehlen Vergütungsdaten oder Stellenbeschreibungen sind nicht abgrenzbar oder inkorrekt. Selbst eine gut aufgestellte HR-Abteilung kann hier schnell an die Grenzen des Leistbaren gelangen. Umso wichtiger ist ein nach Art des Unternehmens abgestufter Projektplan, der die verschiedenen Aspekte der Entgelttransparenzrichtlinie abbildet.
Im Nachfolgenden gehen wir auf fünf „Workstreams“ der Richtline ein und geben Hinweise auf typische To Do’s. Wie gut Ihr Unternehmen auf die Entgelttransparenzrichtlinie vorbereitet ist, kann mit unserem Fair Pay Check-Tool geprüft werden. In den nächsten Wochen werden wir auch immer wieder über wichtige Aspekte der Entgelttransparenz – auch aus den Perspektiven ausgewählter europäischer Länder – berichten.
Die Entgelttransparenzrichtlinie zwingt zur Offenlegung des Gender Pay Gaps. Was alles unter Comp&Benefits fällt, ist nicht immer einfach zu entscheiden. Nicht immer sind alle Vergütungsbestandteile in den Systemen dokumentiert. Die Richtlinie zwingt zu einem Vergleich jedes einzelnen Vergütungsbestandteils. Ein Gesamtvergleich ist unzulässig. Selbst wenn alle Daten im Unternehmen verfügbar sind – die Frage, welche Vergütungsbestandteile vergleichbar sind oder unterschiedlich sind, ist rechtlich zu bewerten. Zudem muss die Datenlage mit der jeweiligen Tätigkeit abgeglichen werden – die Job-Profile sind dabei genau in den Blick zu nehmen und gegebenenfalls zu schärfen. Bisweilen können auch Tätigkeitsbeschreibungen diskriminierungsanfällig sein, weshalb ein sorgfältiger juristischer Blick jenseits eines vernünftigen Job-Gradings notwendig wird. Vorsicht ist geboten, wenn Unternehmen sich zum Beispiel nur auf die Stellenarchitektur ohne juristische Prüfung konzentrieren. Wenn die Tätigkeiten nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind, kann keine fundierte Aussage zum Equal Pay getroffen werden.
To Do: Unternehmen müssen sich Gehaltsunterschiede im Betrieb bewusst machen. Die Datenlage muss möglichst schnell aufbereitet werden. Rechtlich ist zu fragen, welche Vergütungsbestandteile getrennt werden müssen oder welche zusammengefasst werden können.
Die Entgelttransparenzrichtlinie macht eine juristische Bewertung der gegebenenfalls historisch gewachsenen Vergütungssysteme notwendig. Wenn es noch kein ausdifferenziertes Vergütungssystem gibt, sondern die Vergütung etwa frei festgelegt wird, besteht dringender Handlungsbedarf. Nach Art. 4 Abs. 1 der Entgelttransparenzrichtlinie müssen Entgeltstrukturen so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern (soweit vorhanden) vereinbarter Kriterien beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden.
Es gibt dabei Gestaltungsspielräume, etwa bei der Bewertung der Gleichwertigkeit der Arbeit oder bei der Gruppenbildung. Die Bewertung muss die umfangreiche Europarechtliche Rechtsprechung in den Blick nehmen. Mitunter kann sich die Bewertung – wie die Tesco-Entscheidung zeigt – über die juristische Grenze des Unternehmens hinaus auf den Konzern erstrecken. Soll zum Beispiel die Vergütungshöhe mittels eines Punktesystems ermittelt werden, welches etwa die Qualifikation, die Berufserfahrung oder bestimmte Arbeitsbedingungen in den Blick nimmt, so muss zuvor geprüft werden, ob die Kriterien wirklich für die Tätigkeit entscheidend sind. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, dass zum Beispiel der akademische Abschluss bei einer reinen Sales-Tätigkeit kein geeignetes Kriterium ist. Landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung fordert auch auf, dass das Verhältnis der Bewertungskriterien untereinander schlüssig sein muss – also vereinfacht gesprochen, wie stark die Berufserfahrung etwa gegenüber der Qualifikation gewichtet wird. Bei der Bearbeitung dieses Workstreams muss beachtet werden, dass sehr schnell im Unternehmen eine Neiddebatte entstehen kann.
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass bei Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarung kein Handlungsbedarf besteht. Die Entgelttransparenzrichtlinie fordert Arbeitgeber auf, die jeweiligen Eingruppierungslogiken unter den Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen (Beschreibung der Entgeltgruppen, Merkmale für die Eingruppierung) auf Diskriminierungsfreiheit zu überprüfen. Aus unserer Praxis sind uns etliche Beispiele bekannt, wo die Eingruppierungslogik so nicht funktioniert, etwa weil die Bandbreiten zu hoch sind. Klassische Bewertungskriterien, die auch weiterhin zulässig sind, sind etwa Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und besondere Arbeitsbedingungen. Im Einzelfall können auch weitere Faktoren herangezogen werden. Tarifverträge, welche – wie häufig – nur summarisch die Arbeitsbewertung vollziehen, reichen nicht aus. Nur bei einer analytischen Arbeitsbewertung kann hier ein höheres Maß an Compliance erreicht werden. Oftmals wenig transparent sind gerade die Vergütungsregelungen für (echte) AT-Angestellte oder Leitende Angestellte.
Um eine Neiddebatte zu vermeiden, sollte überlegt werden, mit welcher Personengruppe angefangen wird. Stehen zum Beispiel Tarifverhandlungen an, könnte bei den Tarifmitarbeitern (etwa über eine Stichprobe) ein Gefühl für Nachbesserungsbedarf bei der diskriminierungsfreien Vergütung erzeugt werden. Bei Bonus- und Zielvereinbarungen, die traditionell im 1. Quartal anstehen, müsste auch gefragt werden, welche harten Faktoren zugrunde gelegt werden können – möglicherweise bedarf es gerade bei den persönlichen Zielen einer Feinjustierung, um Diskriminierung zu vermeiden.
To Do: Die ordnungsgemäße Begründung für Unterschiede ist eines der wichtigsten Elemente der Entgelttransparenz. Unternehmen müssen ihr Grading- oder Eingruppierungssystem juristisch bewerten (lassen) und auf Konsistenz prüfen. Dabei muss die tatsächliche mit der vorgesehenen Tätigkeit abgeglichen werden. Bestehende Entgeltstrukturen müssen daher auf Anpassungsbedarf geprüft werden. Sodann muss gegebenenfalls mit der Arbeitnehmervertretung eine Nachbesserung/Neujustierung des bisherigen Systems verhandelt werden.
Die Entgelttransparenzrichtlinie fordert in Zusammenhang mit dem AGG auf, den gesamten Bewerbungs- und Beförderungsprozess diskriminierungsfrei auszugestalten. So darf zum Beispiel nicht mehr nach der derzeitigen oder ehemaligen Vergütung gefragt werden (Art. 5 Abs. 2 Entgelttransparenzrichtlinie). Zudem müssen Arbeitgeber Bewerber bereits im Vorfeld über das Einstiegsgehalt/dessen Spanne sowie über eventuell anwendbare Bestimmungen eines Tarifvertrags informieren. Besondere Relevanz hat das Thema, soweit künstliche Intelligenz im Bewerberverfahren zum Einsatz kommt: Bei Einsatz dieser Hochrisikosysteme müssen die strengen Anforderungen der KI-Verordnung berücksichtigt werden. Wegen des Prinzips menschlicher Letztentscheidung muss die mitunter komplexe Auswahlentscheidung auch in den Grundzügen nachvollzogen werden. Hierbei müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Stellenausschreibungen und Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral sind. Ein kleines Detail sind hierbei Arbeitsverträge, die mitunter unwirksame Geheimhaltungsklauseln über das Gehalt verwenden.
To Do: Unternehmen müssen die Neutralität des gesamten Bewerbungs- und Beförderungsverfahren sicherstellen, nicht nur bezüglich der Stellenbeschreibung, sondern auch über Schulungen der beteiligten Mitarbeiter. Wie und was man auch datenschutzrechtlich für den Nachweis der Ordnungsgemäßheit des Bewerberprozesses dokumentieren sollte, muss definiert werden. Oft müssen Einstellungsgrundsätze in einer Policy dokumentiert werden.
Dieser Workstream ist mit Workstream 1 verknüpft. Nach der Richtlinie sind Unternehmen mit über 50 Arbeitnehmern verpflichtet, diese in leicht zugänglicher Weise über die Kriterien für die Festlegung des Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung zu informieren. Auch wenn Kleinunternehmen ausgenommen werden können, dürften diese gerade wegen des Marktdrucks um die besten Köpfe ebenfalls zumindest Grundinformationen zur Verfügung stellen. Größere Unternehmen (ab 100 Arbeitnehmer) sind verpflichtet, die zuständigen Stellen (Behörden, Gleichbehandlungsstellen, Arbeitnehmervertretung) und Arbeitnehmer über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und den Anteil der Arbeitnehmer zu informieren, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten. Die Informations-, Berichts-, Erörterungs- und Bereitstellungspflichten werden zunehmen. Die Richtlinie möchte über Schadensersatzverpflichtungen, eine Umkehr der Beweislast, vergaberechtliche Einschränkungen und Sanktionen eine effiziente Durchsetzung der Entgelttransparenz erreichen.
To Do: Unternehmen müssen entsprechende Prozesse zur Generierung der Daten für das Reporting einrichten. Soll das Reporting über einen Dienstleister erfolgen, sollte bei der Auswahl genau geprüft werden, ob der Dienstleister die Anforderungen der Entgelttransparenzrichtlinie überhaupt erfüllen kann. Zudem müssen auch die oft sensiblen Gehaltsdaten ordnungsgemäß transferiert werden. Da die Berichte regelmäßig erfolgen, kann aber mit Standardisierung (etwa Unterrichtungsschreiben an Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertretungen) gearbeitet werden.
Um Vergütungs-Compliance zu gewährleisten, sollten die damit verbundenen Pflichten delegiert werden. Das Delegationsmodell muss dabei so ausgestaltet sein, dass der Delegationsempfänger ordnungsgemäß befähigt und auch handlungsfähig ist, um etwa Missstände abzustellen.
Unabhängig davon besteht Handlungsbedarf, wenn bei einem Arbeitgeber mit mehr als 100 Arbeitnehmern ein Entgeltgefälle von mindestens 5 % besteht. Kann dieses nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden oder ist dieses nicht innerhalb von sechs Monaten zu beheben, müssen Arbeitgeber mit den Arbeitnehmervertretungen zusammenarbeiten, um diskriminierende Entgeltunterschiede festzustellen, zu korrigieren und zu verhindern. Dieses Joint Pay Assessment erfordert die zuvor beschriebene Analyse der Gehälter der verschiedenen Arbeitnehmergruppen und der Gründe für die Ungleichheit. Zudem müssen Maßnahmen zur Beseitigung der vermuteten Diskriminierung definiert und auf deren Wirksamkeit überprüft werden. Hierüber muss dann berichtet werden. Zur Klarstellung: Das Europarecht verbietet auch eine Ungleichbehandlung bei einem Gender Pay Gap unter 5%. Ein geringeres Entgelt im Vergleich zur anderen Geschlechtsgruppe impliziert in aller Regel eine vom Arbeitgeber zu rechtfertigende geschlechtsbasierte Entgeltdiskriminierung (jüngst sehen Teile der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung diese Kausalitätsvermutung kritischer).
To Do: Es ist anzunehmen, dass zukünftig eine erhöhte Entgeltsensibilität besteht. Die Delegation ist damit ein zentraler Bestandteil. Zudem sollte der Prozess für das Joint Pay Assessment mit der Arbeitnehmervertretung so definiert werden, dass es nicht plötzlich zu signifikanten Budget-Problemen kommt. Eine Regelungsabrede oder gegebenenfalls eine Betriebsvereinbarung kann diese Defense-Linie absichern.
Die Entgelttransparenzrichtlinie muss ins jeweilige nationale Recht umgesetzt werden. Wir werden zeitnah über den Umsetzungsstand berichten. Selbst wenn der Nationalgesetzgeber nicht tätig wird, besteht Einigkeit, dass die detaillierten Regelungen der Richtlinie nach Verstreichen der Umsetzungsfrist Geltung haben dürften. Schon jetzt sind folgende Berichtspflichten absehbar, die bei der IT-Prozess-Implementierung und der Budgetierung zu berücksichtigen sein werden:
Wir informieren gerne über Umsetzungsprojekte und die damit verbundenen Herausforderungen für IT, HR und Management.
von Yasmin Miriam Rösener und Prof. Dr. Michael Johannes Pils
von Dr. Axel Frhr. von dem Bussche, LL.M. (L.S.E.), CIPP/E und Prof. Dr. Michael Johannes Pils