Anmerkung zum Urteil des OLG München
Das OLG München hat in einer neueren Entscheidung (Urt. v. 22. Februar 2024 - 23 U 7165/21) die Anforderungen an die Erfüllung des dem Handelsvertreter nach Vertragsende zustehenden Ausgleichsanspruchs konkretisiert.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger war seit dem 1. Oktober 2015 als Versicherungsvertreter für die Beklagten tätig. Neben der Abschlussprovision für das Eigengeschäft erhielt der Kläger von den Beklagten eine Overheadprovision auf vermitteltes Neugeschäft der dem Kläger unterstellten Untervertreter sowie eine Bestandspflegeprovision für die Betreuung von Bestandsverträgen. Darüber hinaus verpflichteten sich die Beklagten, dem Kläger monatliche Vorschüsse auf die Overhead- und die Bestandspflegeprovision zu zahlen. Im November 2019 kündigten die Beklagten den Agenturvertrag mit dem Kläger. Gemäß der Abrechnung für den Monat November 2019 bestand zu Lasten des Klägers ein Unterverdienst aus den gezahlten Vorschüssen für die Overhead- und die Bestandspflegeprovision. Unter Berufung auf den zwischen den Parteien geschlossenen Agenturvertrag vertrat die Beklagte die Auffassung, der Ausgleichsanspruch des Klägers sei durch Aufrechnung mit dem Anspruch der Beklagten auf Provisionsrückforderungen wegen bestehenden Unterverdienstes weitgehend erloschen.
Dieser Rechtsansicht folgte das OLG München nicht. Nach Auffassung des 23. Zivilsenats ist eine Vertragsbestimmung, wonach ein Teil der dem Handelsvertreter zu zahlenden Vergütung auf einen künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, grundsätzlich gemäß § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB, § 134 BGB nichtig (so auch BGH NJW-RR 2016, 982). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könne allenfalls dann gelten, wenn es sich bei den entsprechenden Abschlagszahlungen um zusätzlich erbrachte Leistungen des Unternehmers gehandelt hätte, die nur dazu bestimmt gewesen wären, den künftigen Ausgleichsanspruch (teilweise) zu erfüllen. Da die gezahlten Abschläge in dem der Entscheidung zu Grunde gelegten Fall unstreitig einem anderen Zweck dienten, war diese Ausnahme hier zwar nicht einschlägig. Allerdings hat das OLG München damit klargestellt, dass ein Unternehmer dem Handelsvertreter grundsätzlich während der Vertragslaufzeit Abschläge auf einen künftigen Ausgleichsanspruch zahlen kann. Zum einen müssen diese Abschläge aber als solche bezeichnet werden. Und zum anderen müsste sich feststellen lassen, dass die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede nicht eine höhere Provision vereinbart hätten, als die Provision, die dem Handelsvertreter nach Abzug des Abschlags verbleib (vgl. Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/Löwisch, 4. Aufl. 2020, HGB § 89b Rn. 212). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Unternehmer.
Bedeutung für die Praxis:
Das OLG München hat mit seiner Entscheidung klargestellt, dass es dem Unternehmer möglich ist, einem Handelsvertreter auch während der Vertragslaufzeit Abschläge auf einen späteren Ausgleichsanspruch zu zahlen. Ob andere Obergerichte oder der BGH dem folgen werden, bleibt abzuwarten. Selbst wenn man dies unterstellt, dürfte die Wirksamkeit einer entsprechenden Anrechnungsabrede im konkreten Einzelfall aber entscheidend von der jeweiligen Vertragsgestaltung abhängen.