Bald jährt sich das Inkrafttreten der Biozid-Durchführungsverordnung, die seit dem 1. Januar 2025 in Deutschland verschärfte Vorgaben für die Abgabe von Biozid-Produkten mit sich brachte. Kernpunkte sind das Selbstbedienungsverbot für bestimmte Produktarten sowie die Pflicht zu Sachkunde, Käuferprüfung und einem Abgabegespräch. Ziel: Gesundheit, Tier und Umwelt schützen. Die Regeln basieren u. a. auf §§ 10–13 ChemBiozidDV und sind seit Jahresbeginn verbindlich.
Betroffene Produktarten und Beschränkungen
Die Abgabebeschränkungen betreffen spezifische Biozid-Produktarten gemäß Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012:
a) Absolute Selbstbedienungsverbote (§ 10 Abs. 1 ChemBiozidDV):
- Produktart 14 (Rodentizide): Produkte zur Bekämpfung von Mäusen, Ratten und anderen Nagetieren durch andere Mittel als Fernhaltung oder Köderung
- Produktart 18 (Insektizide, Akarizide): Produkte zur Bekämpfung von Arthropoden (Insekten, Spinnentiere und Schalentiere) durch andere Mittel als Fernhaltung oder Köderung
- Produktart 21 (Antifouling-Produkte): Produkte zur Bekämpfung des Wachstums und der Ansiedlung von bewuchsbildenden Organismen an Wasserfahrzeugen und anderen im Wasser eingesetzten Bauten
Diese dürfen nicht mehr frei zugänglich angeboten werden.
b) Eingeschränkte Selbstbedienungsverbote mit Abgabepflicht (§ 10 Abs. 2):
- Produktart 7 (Beschichtungsschutzmittel): Produkte zum Schutz von Beschichtungen gegen mikrobielle Schädigung oder Algenwachstum
- Produktart 8 (Holzschutzmittel): Produkte zum Schutz von Holz gegen holzzerstörende Organismen
- Produktart 10 (Schutzmittel für Baumaterialien): Produkte zum Schutz von Mauerwerk und anderen Baumaterialien gegen Schadmikroorganismen und Algen
Hier zusätzlich Pflicht zum Abgabegespräch.
Ausnahmen
Diese Beschränkungen gelten nicht für Produkte mit vereinfachter Zulassung oder berufliche Verwender mit Nachweis.
Ein Abgabegespräch nach § 10 Abs. 2 ist nicht erforderlich, wenn der abgebenden Person bekannt ist oder der Erwerber ihr durch Vorlage geeigneter Unterlagen glaubhaft macht, dass die Anwendung des Biozid-Produkts in Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Erwerbers erfolgt.
Pflichten für Händler und Vertreiber
- Sachkunde der abgebenden Person (§ 13): Die das Biozid-Produkt abgebende Person muss über besondere Sachkunde verfügen. Diese umfasst fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten, die erforderlich sind, um die Biozid-Produkte bestimmungsgemäß und fachgerecht verwenden zu können. Die Sachkunde ist durch entsprechende Schulungen und Nachweise zu belegen.
- Käuferprüfung (§ 11 Abs. 2 Nr. 1): Zusätzlich muss der Händler überprüfen, ob der Erwerber zu der in der Zulassung genannten Verwenderkategorie gehört und die Biozid-Produkte in bestimmungsgemäßer und sachgerechter Weise verwenden will
- Abgabegespräch (§ 11 Abs. 2 Nr. 2): Vor der Abgabe muss ein umfassendes Abgabegespräch mit dem Kunden geführt werden. Dieses Gespräch muss gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 2 ChemBiozidDV folgende Inhalte umfassen:
- Mögliche präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Schadorganismen sowie alternative Maßnahmen mit geringem Risiko
- Die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung des Biozid-Produkts gemäß der Gebrauchsanweisung
- Die mit der Verwendung verbundenen Risiken und mögliche Risikominderungsmaßnahmen
- Die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen beim bestimmungsgemäßen Gebrauch
- Die sachgerechte Lagerung und ordnungsgemäße Entsorgung
Besonderheiten im Online-Handel (§ 12 ChemBiozidDV)
Erfolgt die Abgabe im Online-Handel oder sonst im Versandwege, gelten § 10 Absatz 2 und § 11 Absatz 2 (Käuferprüfung und Abgabegespräch) mit der Maßgabe, dass durch technische oder organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist, dass vor Abschluss des Kaufvertrages über das Biozid-Produkt
- die Einhaltung der Voraussetzungen des § 11 Absatz 2 Nummer 1 durch eine nach § 13 sachkundige Person überprüft wird und
- ein fernmündliches oder ein per Videoübertragung geführtes Abgabegespräch nach § 11 Absatz 2 Nummer 2 durch eine nach § 13 sachkundige Person nachweisbar erfolgt.
Der Online-Vertrieb steht damit vor besonderen Herausforderungen: Das Abgabegespräch muss vor Abschluss des Vertrages stattfinden – es reicht nicht, lediglich eine Produktbeschreibung mit Sicherheitshinweisen und Entsorgungsinfos bereit zu stellen. Stattdessen ist ein direkter Informations-/Austausch erforderlich, z. B. per Telefon oder Video-Call, mit dokumentierbarem Nachweis. Eine rein aufgezeichnete Video-Beratung, die ohne Live-Interaktion bereitgestellt wird, genügt nicht.
Onlinehändler müssen technische Schnittstellen oder Gateways im Checkout-Prozess implementieren: Der Kauf darf erst erfolgen, wenn das Gespräch durchgeführt und dokumentiert wurde. Viele Anbieter haben deshalb betroffene Produktarten aus dem Online-Sortiment genommen oder auf B2B-Vertrieb umgestellt.
Sanktionen und Vollzugspraxis
Verstöße gegen die Abgabepflichten können erhebliche Folgen haben: Bußgelder bis zu 50.000 Euro, Rückruf- und Vertriebsuntersagungen sowie wettbewerbsrechtliche Abmahnungen – insbesondere im E-Commerce, wenn kein dokumentiertes Abgabegespräch vorlag.
Empfehlungen für die Praxis
- Sortimentsanalyse: Klassifizieren Sie Ihre Produktarten nach der Anhang V-Liste.
- Online-Prozesse: Implementieren Sie einen digitalen Gesprächs-Workflow mit Sachkunde, Käuferprüfung und Dokumentation.
- Ausnahmen nutzen: Berufliche Verwender mit Nachweis können das Gespräch umgehen – prüfen Sie dies.
- Schulungs- und Nachweiswesen: Sachkunde-Nachweise dokumentieren und aktuell halten.
- Vertrags- und Plattformanpassung: Liefer-/Vertriebs- und Plattformverträge entsprechend gestalten.