Von Befugniserweiterungen für Pflegefachpersonen über Verfahrenserleichterungen für DiPA bis hin zu innovativen Wohnformen im Alter
Eine optimierte Nutzung der bestehenden strukturellen, personellen und finanziellen Ressourcen im Pflegebereich – das verspricht der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pflegekompetenz (Pflegekompetenzgesetz – PKG), den das Bundesministeriums für Gesundheit kürzlich vorgelegt hat.
Welche wesentlichen Änderungen der Referentenentwurf konkret vorsieht und welche Auswirkungen damit für Pflegefachpersonen, Pflegeeinrichtungen aber auch DiPA-Hersteller verbunden sind, stellen wir im Folgenden vor.
Erweiterte Kompetenzen für Pflegefachpersonen
Die Kompetenzen von Pflegefachpersonen, die dem Gesetz zufolge künftig nicht mehr als „Pflegefachkräfte“ bezeichnet werden, sollen stärker als bislang genutzt werden. Bislang ist ihre Rolle überwiegend unterstützender und ärztlich angeleiteter Natur. Das PKG soll es ihnen nun ermöglichen, – abgestuft nach ihrer jeweiligen Qualifikation< – selbstständig mehr (erweiterte) heilkundliche Tätigkeiten zu übernehmen. Dies betrifft etwa die Bereiche der diabetischen Stoffwechsellage, die Wundversorgung und die Behandlung von Demenz. Darüber hinaus sollen Pflegefachpersonen (Pflege-)Hilfsmittel verbindlich empfehlen können. Auf diese Weise soll zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in Zeiten des demografischen Wandels beigetragen und die ärztlichen Kapazitäten in der Pflege entlastet werden. Eine neu zu errichtende zentrale Vertretung der Pflegeberufe auf Bundesebene soll dem Gesetzesentwurf zur Folge eine systematische und umfassende Beschreibung der Aufgaben erstellen, die die Pflegefachpersonen übernehmen können und sollen. Angesichts der veränderten Aufgabenzuordnungen und Qualifikationsunterschieden bei den beruflich Pflegenden sollen Pflegeeinrichtungen zur Entwicklung von Delegationskonzepten verpflichtet werden, um Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der an der Pflege Beteiligten klar zu regeln. Sie sollen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bis Ende 2025 einen Katalog "erweiterter heilkundlicher Leistungen" vereinbaren.
Die Kompetenzerweiterung für Pflegefachpersonen ist nach Auffassung der Verfasserinnen eine längst überfällige und begrüßenswerte Entwicklung, die in anderen Ländern erfolgreich praktiziert wird.
Digitale Pflegeanwendungen
Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) sollen u.a. Versorgungslücken niedrigschwellig schließen. Doch die Komplexität des Anerkennungsverfahren hat dazu geführt, dass bis heute noch keine einzige DiPA in das Verzeichnis aufgenommen wurde und ein flächendeckender Einsatz in der Praxis bislang nicht stattfindet. Um der Etablierung der DiPA auf die Sprünge zu helfen, sollen die Regelungen über den Leistungsanspruch und die Anerkennung von DiPA vereinfacht werden. Unter anderem sieht der Gesetzesentwurf vor nach dem Vorbild der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) eine Möglichkeit für die Erprobung von DiPA zu schaffen. Zugleich soll es im Rahmen der Erprobungsphase möglich sein, die erforderlichen Wirksamkeitsnachweise zu erbringen. Dies würde einen großen zeitlichen und finanziellen Hemmschuh in der DiPA-Zulassung beseitigen. Denn bislang ist es so, dass der dem Zweck der DiPA entsprechende pflegerische Nutzen vorrangig durch vergleichende Studien, alternativ neben retrospektiven Studien auch prospektive Studien (beispielsweise beim Mangel geeigneter Daten) nachzuweisen ist. Diese Studien sollen nach bisheriger Rechtslage zu alldem in Deutschland durchgeführt worden sein. Ist das nicht der Fall, muss die Übertragbarkeit auf den Deutschen Versorgungskontext nachgewiesen werden. Die Nachweisführung nunmehr in die Erprobungsphase ziehen zu können, dürfte ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein.
Außerdem sollen DiPA für pflegende Angehörige nunmehr auch dann zulässig sein, wenn durch ihren Einsatz eine entlastende Wirkung für die Pflegeperson oder ein stabilisierender Effekt für die häusliche Versorgungssituation zu erwarten ist. Eine Anknüpfung an die Pflegebedürftigkeit soll dann nicht mehr erforderlich sein. Ob die vorgesehenen Vereinfachungen genügen, um der DiPA den Weg in die Praxis tatsächlich zu ebnen, bleibt gleichwohl fraglich.
Innovative gemeinschaftliche Wohnformen
Neuerungen sind auch für den Bereich der innovativen Wohn- und Versorgungsformen vorgesehen. Im Jahre 2012 wurden mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) bereits wegweisende Regelungen für die Förderung ambulanter Wohngruppen geschaffen. Mit dem Referentenentwurf soll nun der Leistungsumfang für Pflegebedürftige in gemeinschaftlichen Wohnformen erweitert und die finanzielle Unterstützung ausgebaut werden. Die im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen sollen angesichts der Vielseitigkeit der Wohnkonzepte und -formen außerdem eine flexiblere Kombination von ambulanten und stationären Leistungen ermöglichen. Insbesondere soll für zugelassene ambulante Pflegeeinrichtungen die Option geschaffen werden, im Rahmen sektorenübergreifender Verträge die pflegerische Versorgung für konkrete gemeinschaftliche Wohnformen zu übernehmen. Zur Förderung neuer gemeinschaftlicher Wohnprojekte soll schließlich eine Anschubfinanzierung eingeführt werden, um den Aufbau entsprechender Einrichtungen zu erleichtern.
Die Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen ist in jedem Fall ein wichtiger und sinnvoller Aspekt des PKG und die geplanten Regelungen sind grundsätzlich auch geeignet, um mehr Pflegebedürftigen die Teilhabe an derartigen Wohnprojekten zu ermöglichen. Es bleibt allerdings unklar, ob insbesondere die finanzielle Unterstützung ausreichend ist, um den tatsächlich bestehenden Bedarf zu decken.
Schnellere Vergütungsvereinbarungen
Der Referentenentwurf sieht außerdem eine Anpassung der bestehenden Vergütungsvereinbarungen für die Pflege vor. Die Rahmenbedingungen sollen so angepasst werden, dass Verhandlungen zwischen Pflegeeinrichtungen und Kostenträgern schneller zu Ergebnissen führen. Zudem sollen Rahmenverträge für (erweiterte) heilkundliche Leistungen von Pflegefachpersonen ausgearbeitet werden, um deren Vergütung systematisch zu regeln. So würde es den Pflegeeinrichtungen erleichtert, erweiterte Leistungen durch Pflegefachpersonen in den Verhandlungen zu berücksichtigen. Ziel der Anpassungen ist es, bürokratische Hürden abzubauen und die Verhandlungsdauer zu verkürzen, sodass Pflegeeinrichtungen schneller zu den notwendigen finanziellen Mitteln gelangen und die Versorgung aufrechterhalten werden kann.
Hier bleibt zu hoffen, dass die beschleunigten Vergütungsprozesse in der Praxis nicht durch andere bürokratische Hürden ausgebremst werden. Andernfalls liefe die den Pflegeeinrichtungen versprochene – und dringend notwendige – Liquiditätssicherung ins Leere.
Fazit – und wie geht es weiter?
Die steigende Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland stellt die Pflege in Deutschland vor große Herausforderungen. Auf den ersten Blick stellt das PKG sinnvolle Weichen, um diesen Herausforderungen künftig begegnen zu können. Insbesondere scheint der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer verbesserten Nutzung der im Pflegebereich zur Verfügung stehenden Ressourcen erkannt zu haben. Allerdings wird erst die Zeit zeigen, ob die geplanten Neuerungen die versprochenen Verbesserungspotentiale im Einzelnen tatsächlich zur Entfaltung bringen.
Die Verbände sind aufgerufen, bis zum 30. September Stellung zu nehmen. Die Anhörung ist für den 2. Oktober 2024 geplant.
Wir behalten das weitere Gesetzgebungsverfahren im Blick und stehen Ihnen für Rückfragen und Diskussionen gerne zur Verfügung. Sprechen Sie uns gerne an!