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15. November 2023

EU-Gerichtshof fällt wegweisendes Urteil im Scania-Fall zu Fahrzeugdaten

  • Briefing

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. November 2023 in der Rechtssache C‑319/22 (Gesamtverband Autoteile-Handel e. V. ./. Scania CV AB) erneut die Datenüberlassungspflichten der Automobilindustrie gegenüber unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern wie Werkstätten, Ersatzteilhändlern und Herausgebern technischer Informationen bestätigt, siehe bereits hier. Im Mittelpunkt stand diesmal die Klage des Gesamtverbandes Autoteile-Handel (GVA) gegen den Lkw-Hersteller Scania auf Zugang zu Reparatur- und Wartungsdaten.

Hintergrund des Falles

Der GVA, der deutsche Branchenverband des freien Kfz-Teilehandels, hatte sich darüber beschwert, dass Scania die für die Fahrzeugreparatur und -wartung erforderlichen Informationen lediglich über einen manuellen Zugang auf seiner Webseite zugänglich macht. Auf dieser Website können anhand allgemeiner Fahrzeuginformationen wie Modell, Motorisierung oder Baujahr recherchiert werden. Alternativ kann mit Hilfe der letzten sieben Ziffern der Fahrzeug‑Identifizierungsnummer (im Folgenden: VIN) nach einem bestimmten Fahrzeug gesucht werden. Die Ergebnisse dieser Suchen können nur ausgedruckt oder als PDF‑Datei auf dem Computer gespeichert werden, was eine automatisierte Verarbeitung dieser Daten ausschließt. Lediglich Suchergebnisse zu Ersatzteilinformationen im Gegensatz zu Reparatur- und Wartungsinformationen können als XML-Datei gespeichert werden. Die VIN, mit Hilfe derer gesucht werden kann, stellt Scania unabhängigen Wirtschaftsakteuren nicht zur Verfügung.

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand erneut die Frage, welche Informationen in welcher Form zur Verfügung gestellt werden müssen. Weitere Kernfrage des Rechtsstreits betraf den Zugang zur VIN und deren Rolle als potenziell personenbezogene Daten im Rahmen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), insbesondere ob eine datenschutzrechtliche Rechtsgrundlage zur Übermittlung der VIN an unabhängige Akteure vorliegt.

Das Urteil des Gerichtshofs

Der Gerichtshof entschied, dass Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2018/858 (Typgenehmigungsverordnung) die Fahrzeughersteller verpflichtet, Zugang zu maschinenlesbaren und elektronischen Datensätzen nicht nur für Ersatzteilinformationen, sondern auch für Reparatur- und Wartungsinformationen zu gewähren. Eine manuelle Abfragemöglichkeit ist nicht ausreichend. Auch darf nicht erst eine Konvertierung der Daten erforderlich sein, um sie in einer Softwareumgebung nutzen zu können. Unabhängige Wirtschaftsbeteiligte müssen in der Lage sein, technische Informationen aus dem Format zu extrahieren, in dem die Hersteller ihnen die erforderlichen Daten zur Verfügung stellen, und diese Daten unmittelbar nach ihrer Erfassung für die Weiterverwendung zu speichern. PDF-Dateien werden dieser Anforderung nicht gerecht. Eine Datenbankschnittstelle, die eine maschinengesteuerte Abfrage ermöglicht, muss jedoch nicht vorgehalten werden.

Die Datenbanken, die die Fahrzeughersteller vorhalten, müssen umfassend durchsuchbar sein. Die Suche muss nicht nur nach der VIN, sondern auch nach den vorgesehenen "zusätzlichen Merkmalen", z. B. Radstand, Motorleistung oder Ausstattungsvariante, möglich sein.

Weiter befasste sich der EuGH mit der Frage, ob die Ersatzteiledatenbank auch die VIN enthalten muss. An dieser Stelle setze sich der Gerichtshof mit der Frage auseinander, ob die VIN ein personenbezogenes Datum ist und wenn ja, ob dieses vom Hersteller ohne weiteres mit den unabhängigen Wirtschaftsakteuren geteilt werden darf. Nach Auffassung des Gerichts stellt die VIN als bloßer alphanumerischer Code kein personenbezogenes Datum dar. Diese Bewertung kann sich aber ändern, wenn auch die Zulassungsbescheinigung vorliegt und dort eine natürliche Person eingetragen ist. Wenn die unabhängigen Wirtschaftsakteuren mit Hilfe weitere Informationen die VIN einer natürlichen Person zuordnen können, stellt die VIN für diese und mittelbar auch für die Fahrzeughersteller ein personenbezogenes Datum dar. Die Datenschutz-Grundverordnung steht der Pflicht zur Herausgabe dieser Daten jedoch nicht entgegen. Denn die Informationszugangsverschaffungspflicht nach Art. 61 der Verordnung 2018/858 stellt eine rechtliche Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO dar.

Bedeutung für den Markt

Diese Entscheidung bringt weitere Klarheit zum Umfang und zur Art und Weise wie Fahrzeughersteller unabhängigen Wirtschaftsakteure wie Reparaturwerkstätten und Ersatzteilhändler Zugang zu Reparatur- und Wartungs- sowie Ersatzteilinformationen bereitstellen müssen.

Weitere Folgen der Entscheidung

Das Urteil erleichtert es unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern ihre Leistungen anzubieten. Soweit das Gericht keine Pflicht zur Bereithaltung einer Schnittstelle anerkannt hat, könnte sich diese Pflicht trotzdem bald ergeben. Die Kommission will am 29. November 2023 einen Gesetzesvorschlag zu Mobilitätsdaten vorlegen, der auch den Automotive Aftermarkt adressiert.

Wenn aber die Datenzugangsrechte nach der Typgenehmigungsverordnung eine rechtliche Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO darstellen, dann kann dieser Umstand auch den Zugang unter dem Data Act erleichtern, da eine Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung vorliegt.

Schlussbemerkung

Mit diesem Urteil bestätigt der Europäische Gerichtshof seine Haltung zur Zugänglichkeit von Fahrzeugdaten unter Berücksichtigung sowohl der Anforderungen des Datenschutzes als auch der Bedürfnisse der unabhängigen Akteure im Automobilsektor. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entscheidung auf die zukünftigen Beziehungen zwischen Fahrzeugherstellern und unabhängigen Dienstleistern auswirken wird.

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