Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 29. Juni 2023 entschieden, dass ein Rechtsanwalt wegen Beratungsfehlern zu Zahlungen nach Insolvenzreife gegenüber dem Geschäftsführer haften kann, auch wenn er das Unternehmen und nicht die/den Geschäftsführer persönlich berät (IX ZR 56/22, ZInsO 2023, 1642). Mit diesem Urteil legte der BGH fest, dass die Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsanwalts, der ein Unternehmen berät, auch Schutzwirkung für dessen formalen und faktischen Geschäftsführer entfalten kann. Juristisch ist dabei vom sogenannten „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ die Rede.
Hintergrund des BGH-Urteils war die Klage von Geschäftsführern gegen den Anwalt ihrer mittlerweile insolventen GmbH & Co. KG, da dieser sie nicht bzw. unzureichend auf ihre persönliche Haftung in Bezug auf Zahlungen nach Insolvenzreife hingewiesen hatte. Die Geschäftsführer wurden vom Insolvenzverwalter wegen unrechtmäßiger Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife in Anspruch genommen und mussten auf einen Vergleich hin Schadensersatz zahlen. In dem vom BGH nun zu entscheidenden Fall machten sie nun den Schadensersatz im Rahmen einer Klage gegenüber dem Anwalt bzw. seiner Haftpflichtversicherung geltend. Der BGH hob damit die Entscheidung der Vorinstanz (OLG Köln 03.03.2022 18 U 12/20) auf, mit der zuletzt ein Schadensersatzanspruch der Geschäftsleiter verneint wurde.
Begründung: BGH weitet Hinweis- und Warnpflicht für Rechtsberater aus
Der BGH bestätigte und weitete seine Rechtsprechung zu den Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus.
In Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter können auch Dritte einbezogen werden, wenn der Dritte in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen wird, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Dies bejaht der BGH dann, wenn
- der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt,
- ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich besteht,
- die Einbeziehung des Dritten dem Vertragsschuldner bekannt oder für ihn zumindest erkennbar ist und
- ein Bedürfnis für die Ausdehnung des Vertragsschutzes besteht (z.B. kein eigener Anspruch).
Aus Sicht des BGH hatte die Vorinstanz fehlerhaft die Einbeziehung in den Schutzbereich aufgrund der Qualität der Pflichtverletzung verneint und damit fehlerhaft die vom BGH aufgestellten Prüfungsvoraussetzungen verneint.
Kommentar: Das Urteil des BGH als neue Haftungsfalle für Rechtsberater und finanzielle Lösung für Geschäftsführer
Gerade in der Krise eines Unternehmens ist es für Geschäftsführer ratsam, sich zur eigenen Absicherung Rechtsberater zu suchen, die sie vor Fehlern und einer dadurch drohenden Haftung schützen. Ungeachtet dessen hat der BGH mit seinem Urteil nunmehr aber verdeutlicht, dass auch den Rechtsberater eines Unternehmens Pflichten gegenüber Geschäftsleitern treffen, obwohl diese gar keine direkten Vertragspartner sind. Damit entsteht eine Haftungsfalle für Rechtsberater, der sie sich bewusst sein müssen. Geschäftsleiter hingegen dürften sich über das Urteil freuen, präsentiert der BGH ihnen mit dieser Entscheidung die Haftpflichtversicherung des Rechtsanwalts, an der sie sich schadlos halten könnten.