21. April 2023
Der EuGH beschäftigte sich in seinem Urteil vom 19. Januar 2023 (Az.: C-495/21, C-496/21) mit der Einordung von Produkten als Arzneimittel oder Medizinprodukte. Produkte können weder unter beide Kategorien fallen noch bestehen überhaupt dieselben Anforderungen an diese.
Diesem Urteil vorausgehend waren vier Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgericht in zwei ähnlichen Sachverhalten:
Dabei hatten zwei deutsche Unternehmen Nasentropfen als Medizinprodukte in Verkehr gebracht.
Eines der Produkte wurde beworben mit der Wirkung der Pflege gereizter Nasenschleimhäute und Regenerierung dieser während des Schnupfens, während das andere Produkt mit Aussagen über die Wirkung zur Reinigung und Drainage der mit Schleim und Sekreten gefüllten Nasenhöhlen beworben wurde, wobei es hierbei zu starken Sekretabfluss kommen konnte.
In beiden Fällen beanstandete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte das Inverkehrbringen dieser Nasentropfen als Arzneimittel ohne Zulassung, weil es sich bei den Nasentropfen jeweils um „Funktionsarzneimittel“ handele. Hiergegen wendeten sich die Unternehmen in den ersten beiden Instanzen erfolglos.
Zur 4. Vorlagefrage:
„Art. 2 Abs. 2 der RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die RL 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht nur auf „Funktionsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83 in geänderter Fassung, sondern auch auf „Präsentationsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie anwendbar ist.“
Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83 regelt, dass diese Richtlinie in Zweifelsfällen über die Einordnung als Arzneimittel oder als Erzeugnis Anwendung findet. Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83 unterscheidet dabei in seinem Wortlaut nicht zwischen „Präsentationsarzneimittel“ und „Funktionsarzneimittel“, weshalb die Norm auf beide Arten von Arzneimitteln anwendbar sei. In Abgrenzung zu „Funktionsarzneimitteln“ die infolge ihrer pharmakologischen, immunologischen und metabolischen Wirkung auf den Menschen als Arzneimittel einzuordnen sind, zeichnen sich „Präsentationsarzneimittel“ dadurch aus, dass eine solche Wirkung gerade nicht festgestellt ist, aber durch die Präsentation des Mittels suggeriert wird. Ein Ausschluss von Präsentationsarzneimitteln aus dem Anwendungsbereich würde nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechen, der mittles dieser Vorschrift Rechtssicherheit hinsichtlich der Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln schaffen wollte. Keine Anwendung finden soll die Richtlinie ausweislich des 7. Erwägungsgrundes, wenn „ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik oder kosmetische Mittel“ fällt. Dafür müssten jedoch die Voraussetzungen der jeweiligen Definition eindeutig erfüllt sein. Ist unsicher, ob ein Produkt als Medizinprodukt einzuordnen ist, unterläge dieses der RL 2001/83.
Zur 2. und 3. Vorlagefrage:
„Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der RL 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die RL 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 geänderten Fassung und Art. 1 Nr. 2 der RL 2001/83 in der durch die RL 2004/27 geänderten Fassung sind wie folgt auszulegen: Ist die Hauptwirkungsweise eines Erzeugnisses nicht wissenschaftlich festgestellt, kann dieses Erzeugnis weder unter die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ im Sinne der RL 93/42 in der durch die RL 2007/47 geänderten Fassung noch unter die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ im Sinne der RL 2001/83 in der durch die RL 2004/27 geänderten Fassung fallen. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne der RL 2001/83 in der durch die RL 2007/47 geänderten Fassung erfüllt sind.“
Zusammengefasst stelle sich hierbei die Frage, ob ein Produkt als Medizinprodukt oder als Arzneimittel einzuordnen sei, wenn nicht wissenschaftlich festgestellt ist, welche Art von Hauptwirkung vorliegt. Für eine Einordnung als Medizinprodukt müsse der Hersteller gem. Art. 3 und 4 der RL 93/42 nachweisen, dass keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung bestünde, vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a RL 93/42. Kann dieser Nachweis wissenschaftlich nicht geführt werden, könne das Produkt nicht als Medizinprodukt eingeordnet werden. Auch könne jedoch bei Fehlen verfügbarer wissenschaftlicher Erkenntnis ein Produkt nicht unter die Definition eines „Funktionsarzneimittels“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b der RL 2001/83 fallen, da diese eine festgestellte pharmakologische, immunologische und metabolische Wirkung voraussetze.
Zuletzt könnten solche Produkte jedoch als „Präsentationsarzneimittel“ eingeordnet werden, wenn diese als Mittel mit Eigenschaften „zur Heilung oder Verhütung“ bestimmt und empfohlen seien und so der Eindruck der Ähnlichkeit mit „klassischen“ Arzneimitteln entstünde. Dies sei im Einzelfall zu beurteilen.
Zur 1. Vorlagefrage:
Der EuGH beantwortet die erste Vorlagefrage infolge der Beantwortung der übrigen Fragen nicht. Dies ist im Hinblick auf die ungeklärte Rechtslage hinsichtlich solcher Grenzprodukte bedauerlich, jedoch infolge der bereits beantworteten Frage nicht mehr entscheidungserheblich. Hierzu bleibt abzuwarten, ob der EuGH erneut mit dieser Thematik beschäftigt wird.
Dieses Urteil des EuGH zeigt auf, dass Grenzprodukte regelmäßig als Arzneimittel einzuordnen sein werden, da es Kraft Natur der Sache oftmals an einer wissenschaftlichen Feststellung der Abwesenheit pharmakologischer, immunologischer und metabolischer Wirkungen fehlen wird. Insoweit ist den Herstellern solcher Produkte zu empfehlen, zu prüfen, ob solche Grenzprodukte als Medizinprodukt in Verkehr gebracht wurden und ob die Nachweis der Abwesenheit solcher Wirkungen tatsächlich geführt werden kann.
von Dr. Manja Epping
von Dr. Manja Epping