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Dr. Gregor Staechelin

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23. Januar 2023

Verladen und Entladen von Transportgut – eine Haftungsfalle?

  • Briefing

Eine neuere Entscheidung des OLG Stuttgart (3 U 91/20 – Urteil vom 25. August 2021) gibt Anlass, sich mit den Pflichten der Parteien eines Frachtvertrages in Bezug auf die Verladung und Entladung des Transportgutes zu beschäftigen. Dies vor allem deshalb, weil hier das faktische Handeln der Beteiligten oft vom gesetzlichen Programm abweicht und sich daher teilweise überraschende Haftungsfolgen insbesondere für Versender ergeben.

Der Ausgangssachverhalt

Der oben bezeichneten Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, wie er sich tagtäglich so oder ähnlich abspielt. Der Fahrer eines Subunternehmers des beauftragten Frachtführers verlud einen elektrischen Schaltschrank, der während des Verladevorgangs zu Schaden kam. Es entstanden ein Güterschaden am Schaltschrank von EUR 20.530,00 sowie Gutachterkosten von EUR 606,20. Die Versicherung des Versenders (Klägerin) nahm daraufhin den Vertragspartner des Versenders als Fixkostenspediteur auf Schadenersatz in Regress. Eine ausdrückliche Absprache, wer die Verladung des Transportgutes vornehmen solle, hatten die Vertragsparteien ursprünglich nicht getroffen. Zu den im Einzelnen streitigen Abstimmungen dazu seitens der vor Ort im Rahmen des Verladevorgangs involvierten Personen hat das Landgericht in erster Instanz Beweis erhoben.

Gesetzliche Grundregel

Nicht überall bekannt ist, dass das deutsche Handelsgesetzbuch (§ 412 Abs.1 HGB) ausdrücklich dem Versender (bzw. nach dem Wortlaut dem „Absender“) als dem Warenfachmann die Pflicht zuweist, das zu transportierende Gut zu laden, zu stauen und zu befestigen (verladen) und nach Ankunft am Bestimmungsort wieder zu entladen. Man nennt dies die beförderungssichere Verladung. Davon abweichend ist der Frachtführer für die sog. betriebssichere Verladung verantwortlich. Diesem Unterschied soll hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht weiter nachgegangen werden. Aus den Umständen oder der Verkehrssitte kann sich aber auch ergeben, dass der Versender nicht zur beförderungssicheren Verladung verpflichtet ist, sondern der Frachtführer, ebenso wie aus ausdrücklichen oder konkludenten Absprachen zwischen den Vertragsparteien, weil die Regelungen des § 412 Abs. 1 HGB disponibel sind.

Beginn der gesetzlichen Obhutshaftung

Entsprechend der gerade vorgestellten Pflichtenzuweisung beginnt die gesetzliche Obhutshaftung des Frachtführers nach § 425 Abs.1 HGB im gesetzlich vorgesehenen Normalfall auch erst mit dem abgeschlossen Verladevorgang, mit der „Übernahme zur Beförderung“. Die Übernahme setzt voraus, dass der Frachtführer selbst oder durch seine Gehilfen den Besitz an dem zu befördernden Gut erwirbt, der Versender also die Verfügungsgewalt aufgibt und der Frachtführer sie übernimmt, getragen von einem dahingehenden Willen im natürlichen Sinne (BGH I ZR 109/13 und I ZR 214/10).

Anders ist es, wenn die Parteien in Abweichung von § 412 Abs. 1 HGB ausdrücklich vereinbart haben, dass der Frachtführer das Gut auch zu verladen hat, der sich dies aus Verkehrssitte oder Handelsbrauch ergibt. Dann beginnt die Obhutshaftung bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Frachtführer oder sein Gehilfe das Gut zum Zwecke der Verladung in seine Obhut nimmt, also vor der Verladung.

Abweichende Praxis

Die tagtägliche Praxis im Transportwesen sieht jedoch häufig so aus, dass nicht der Versender, sondern der Fahrer des Frachtführers oder des von diesem eingesetzten Subunternehmers die Verladung tatsächlich durchführt, oft schlicht dergestalt, dass der Fahrer mit der Verladung der bereitgestellten Güter einfach mehr oder weniger eigenmächtig beginnt. Dies etwa, weil er Termindruck hat, seinen LKW als seinen Hoheitsbereich ansieht oder gegenüber dem Versender einen guten Service anbieten will. Die zuständigen Mitarbeiter des Versenders nehmen dies oft wortlos hin, ermöglichen und dulden dies jedenfalls oder mischen sich sogar mit Hinweisen oder Anweisungen ein. Daraus folgt dann aber im Zweifelsfalle, dass der Fahrer als Hilfsperson des Versenders tätig wird, unter dessen Anleitung und in dessen fortbestehenden Verantwortung für den Verladevorgang. Es findet also keine Vorverlegung des Beginns der Obhut statt und folglich wird keine Haftung des Frachtführers begründet für Schäden während des Verladevorgangs. Insoweit geht die Rechtsprechung auch davon aus, dass ein Fahrer in der Regel auch nicht bevollmächtigt ist, nachträglich und vor Ort eine von § 412 Abs. 1 HGB abweichende Vereinbarung mit dem Versender zu treffen (BGH I ZR 43/04), auch nicht konkludent.

Allerdings kann sich eine konkludente Vereinbarung der Zuständigkeit (und Haftung) des Frachtführers für den Verladevorgang ergeben, wenn das eingesetzte Transportfahrzeug gemäß vorheriger Absprache über besondere technische Einrichtungen verfügen soll, die nur der Frachtführer oder sein Subunternehmer bedienen kann/darf (überwiegend abgelehnt für eine Hebebühne). Ebenso kommt eine konkludente Abweichung von § 412 Abs. 1 HGB in Betracht, wenn der Frachtführer im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung wiederholt die Verladetätigkeit übernommen hat, egal ob gesondert vergütet oder nicht, und der Versender nach Treu und Glauben gemäß §§ 242, 157 BGB annehmen durfte, dass der Frachtführer weiter so verfahren würde (BGH I ZR 43/04).

Wie bereits erwähnt kann sich auch aus einer abweichenden Verkehrssitte die Zuständigkeit und mithin Haftung des Frachtführers für das Verladen ergeben. Dabei muss es sich um eine in einem bestimmten Gebiet in den beteiligten Kreisen über längere Zeit tatsächlich herausgebildete Übung handeln, wonach der Frachtführer die Verantwortung für die Verladung übernimmt. Das kommt etwa in Frage, wenn die Natur des Beförderungsmittels den Einsatz von fremdem Personal darin verbietet (zB in einem Flugzeug). Beweisbelastet für eine solche Verkehrssitte oder einen dahingehenden Handelsbrauch ist der Versender, der hierzu ein empirisches Gutachten der jeweiligen IHK vorlegen kann.

Beweisfälligkeit des Versenders

In dem obengenannten Verfahren vor dem OLG Stuttgart ist es der Klägerin nicht gelungen den Beweis dafür zu erbringen, dass eine der vorgenannten Ausnahmen von der Grundregel bestanden, der Fahrer des Subunternehmers des beklagten Frachtführers also für diesen in dessen Pflichtenkreis zu beladen hatte und mithin die Obhut bereits vor Beginn des Verladevorgangs auf die Beklagte (bzw. deren Subunternehmer) übergegangen war. Die Zeugenaussagen waren vielmehr widersprüchlich oder sprachen sogar dafür, dass der Fahrer des Frachtführers aus Gefälligkeit für den Versender tätig werden wollte. So bekundete ein Mitarbeiter des Versenders als Zeuge, er habe selbst an dem Verladevorgang mitgewirkt, indem er nach einem weiteren Hubwagen für weitere zu verladende Schaltschränke suchte und er habe dem Fahrer des Subunternehmers seine Unterstützung angeboten. Das OLG Stuttgart hat folglich die zulässige Berufung der Klägerin gegen das das klageabweisende erstinstanzliche Urteil für unbegründet erachtet und zurückgewiesen.

Praxishinweis

Die täglich gelebte Praxis ist zumeist nicht geeignet, klare Pflichtenkreise und Haftungen zu begründen, wenn Mitarbeiter des Versenders/Empfängers einerseits und solche des ausführenden Frachtführers andererseits einfach nur faktisch „zusammenarbeiten“. Dies umso mehr, als es über die oben diskutierten Konstellationen hinaus noch weitere Varianten gibt, etwa wenn der Versender oder der Empfänger gemäß § 418 HGB nachträgliche Weisungen erteilen oder der Frachtführer vor dem Verlade- oder Entladevorgang haftungsbeschränkende Erklärungen abgibt. Versender sollten sich daher über die gesetzliche Grundregel des § 412 Abs. 1 HGB im Klaren sein, auch betreffend die spätere Entladung beim Empfänger. Ver- und Entladung sind besonders schadensträchtige Vorgänge. Will der Versender selbst nicht das Schadensrisiko bei oder in Folge der Verladung tragen, so empfiehlt es sich, bereits bei Auftragserteilung entsprechende Vereinbarungen zu treffen, die abweichend von der Grundregel des § 412 Abs. 1 HGB dem Frachtführer die Pflicht für den Verlade- und Entladevorgang auferlegen. Werden dann Mitarbeiter des Versenders beim Ladevorgang tätig und führt dieser Vorgang zu einem Schaden, kann sich umgekehrt – nota bene - die Frage stellen, ob die Mitarbeiter des Versenders im Risikobereich des Frachtführers tätig geworden sind, oder das Eigenrisiko des Versenders mit der Folge eines Haftungsausschlusses für den Frachtführer durchgreift (§ 427 Abs. 1 Nr. 3 HGB).

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