5. Mai 2022
Bereits im Juni des vergangenen Jahres hatten wir einen Leitfaden zum Umgang mit Materialkostenerhöhungen und Lieferverzögerungen veröffentlicht. Denn explodierende Baukosten und Verzögerungen bei Materiallieferungen hatten die Baubranche bereits im letzten Jahr stark beeinträchtigt.
Statt der erwarteten Entspannung, haben sich die Probleme seitdem noch verschärft. Die weiter anhaltende COVID-19 Pandemie sowie der Angriffskrieg auf die Ukraine und damit verbundene weltweit verhängte Sanktionen gegen Russland haben zu weiteren Preissteigerungen geführt. So kommt ein erheblicher Anteil der Baustoffe aus der Ukraine, Russland und Belarus: ca. 30% des Baustahls, 40% des Roheisens, 25% Nickel und 75% Titan. Einhergehend erfolgte auch ein erheblicher Anstieg der Kosten für Kraftstoffe und Energie.
Durch den vermehrten Zusammenbruch von Lieferketten steigen Rohstoff- und Materialknappheit rapide weiter an und damit auch die Preise. Die Kosten für Stahl, Beton, Holz u.v.m. variieren täglich, wenn nicht sogar stündlich. Diese unvorhersehbaren Preisschwankungen führen mittlerweile zu einem fast unkalkulierbaren Preisrisiko. Auftragnehmer können bestimmte Baustoffe oft nur noch teuer erwerben, was für teilweise existenzbedrohende Probleme sorgt. Um diesen zu begegnen, versuchen Bauunternehmen Preisanstiege und Beschaffungsprobleme an die Auftraggeber weitergeben. Aufgrund der schwierigen Kalkulationsmöglichkeiten beschränken viele Auftragnehmer ihre Angebotsfrist zudem nur noch auf wenige Tage oder unterbreiten ihre Angebote gleich freibleibend.
Vor all dem stellt sich die Frage, wie mit diesen weiteren Problemen rechtlich umzugehen ist.
Mit Datum vom 25. März 2022 hat das neue Bundesministerium für Wohnen, Bauwesen und Stadtentwicklung (BMWSB) einen Erlass veröffentlicht, der die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in neue und bestehende Verträge verbindlich vorschreibt und regelt.
Der Erlass erfolgte als Reaktion auf die aktuellen Lieferengpässe und Preissteigerungen bestimmter Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs und ist für die Vergabe öffentlicher Aufträge bindend. Die darin enthaltenen Sonderregelungen sollen den Auswirkungen für laufende und kommende Bundesbaumaßnahmen für die Produktgruppen wie Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte, Epoxidharze, Holz u.a. entgegenwirken. Die Regelungen sind zunächst bis zum 30. Juni 2022 befristet.
Dementsprechend sind in laufenden Vergabeverfahren, bei denen die Angebote noch nicht geöffnet wurden, Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen, Ausführungsfristen an die aktuelle Situation anzupassen und die Angebotsfrist ggf. zu verlängern. Nach erfolgter Angebotsöffnung ist das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurück zu versetzen, um nachträglich Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.
Für bestehende Verträge hat das Bundesministerium einen Fall höherer Gewalt bzw. ein anderes nicht abwendbares Ereignis im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1c) VOB/B bejaht, wenn die Materialien aus den genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert, durch das Unternehmen beschaffbar sind. Als Rechtsfolge wird die Ausführungsfrist um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zuzüglich eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten verlängert. Dadurch sollen weder Schadens- oder Entschädigungsansprüche gegen das Unternehmen entstehen noch soll der Auftraggeber gegenüber Folgegewerken in Annahmeverzug geraten, wenn sich deren Leistung in der Folge verschieben muss.
Darüber hinaus hat das Bundesministerium für öffentliche Projekte die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB mit folgender Begründung grundsätzlich anerkannt:
Sofern im Einzelfall eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bejaht werden kann, habe das Unternehmen einen Anspruch auf Anpassung der Preise für die betroffenen Positionen, welche wiederum „nach den Umständen des Einzelfalls“ festzusetzen sind. Ausweislich des Erlasses sei jedenfalls eine Verpflichtung zur Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten durch den Auftraggeber regelmäßig als unangemessen anzusehen.
Zunächst stellt sich die Frage, ob der oben dargestellte Erlass des BMWSB für Öffentliche Bauvorhaben auch auf solche der Privaten Wirtschaft übertragen werden kann.
Dies ist zu verneinen, da der Erlass ausdrücklich nur Bindungswirkung für die Vergabe öffentlicher Aufträge entfaltet.
Ein eigener Anspruch auf Preisanpassung ergibt sich für Verträge der Privaten Wirtschaft daraus nicht.
Maßgebend für mögliche Preisanpassungen in Verträgen zwischen Privaten ist vielmehr die gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung. Bereits in unserem Juni-Newsletter 2021 hatten wir darauf hingewiesen, dass die Preiskalkulation für Baumaterialien grundsätzlich in den Risikobereich des Auftragnehmers fällt. Er trägt zudem regelmäßig das Beschaffungsrisiko, also das Risiko, die für die Herstellung des Werks erforderlichen Baustoffe rechtzeitig zu beschaffen. In diesem Zusammenhang hat er alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um seine Leistungspflichten aus dem Vertrag zu erfüllen. Im Zweifel hat er auch andere Lieferanten anzufragen. Dadurch mitunter entstehende erhebliche Mehrkosten gehen zu seinen Lasten.
Für bestehende Verträge stellt sich die Frage, ob dem Auftragnehmer aufgrund dieser Risikoverteilung (a) einen Anspruch auf Preisanpassung und/oder (b) einen Anspruch auf Fristverlängerung zustehen kann.
Haben die Parteien in bereits bestehenden Verträgen keine Regelung zur Anpassung der Vertragspreise, wie z.B. eine Stoffpreisgleitklausel vorgesehen, bleibt der Auftragnehmer aufgrund der oben dargestellten gesetzlichen Risikoverteilung grundsätzlich auf den steigenden Kosten sitzen; er hat damit i.d.R. keine Möglichkeit, einen Ausgleich für die Preissteigerung vom Auftraggeber zu erhalten. Einen Anspruch auf Preisanpassung gibt es grundsätzlich nicht.
Enthält der Vertrag dagegen eine entsprechende Regelung zur Preisanpassung, geschieht auch dies nicht etwa automatisch. Vielmehr hat der Auftragnehmer das Vorliegen der vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für diese Anpassung darzulegen und zu beweisen sowie auf dieser Grundlage die Preisanpassung gegenüber dem Auftraggeber geltend zu machen.
Wie schon in unserem Newsletter des letzten Jahres erwähnt, ist beim Eintritt unvorhersehbarer Ereignisse im Zusammenhang mit bereits geschlossenen Verträgen die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht zu ziehen. Dies hätte zur Folge, dass
dem Auftragnehmer ein Recht zur Anpassung eines bereits geschlossenen Vertrags im Hinblick auf die vereinbarten Preise zustünde.
Von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB ist auszugehen,
wenn sich bestimmte Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss durch unvorhersehbare Ereignisse so schwerwiegend verändert haben, dass die Parteien unter diesen Voraussetzungen den Vertrag nicht oder nur in veränderter Form geschlossen hätten.
Hinzukommen muss, dass zumindest einem der Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Zwar dürfte der Krieg in der Ukraine tatsächlich ein solch unvorhersehbares Ereignis als Ursache der bestehenden Preis- und Lieferproblematik darstellen, das grundsätzlich geeignet ist, die Geschäftsgrundlage eines Vertrages zu stören.
Ob dies aber die Grenze der Unzumutbarkeit für einen der Vertragspartner überschreitet, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurde seitens der Gerichte die Annahme eines unvorhergesehenen Ereignisses i.S.v. § 313 zwar grundsätzlich bejaht. Dennoch wurde im Hinblick auf die Frage eines daraus folgenden Preisanpassungsanspruchs ausdrücklich auf die Zumutbarkeit und Interessenabwägung im Einzelfall verwiesen.
Für die Annahme eines Falls des § 313 BGB kommt es daher entscheidend darauf an, ob dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der oben erwähnten gesetzlichen Risikoverteilung für Preiskalkulation und Beschaffung von Baumaterialien, das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann oder nicht.
In diesem Zusammenhang ist allerdings auch die Situation des Auftraggebers zu berücksichtigen, der bei seiner Finanzierung mit den vereinbarten Preisen kalkuliert hat und höhere Baukosten im Zweifelsfall nicht finanzieren kann.
Dies wird für jenen Einzelfall gesondert zu beurteilen sein, so dass sich an dieser Stelle keine Prognose abgeben lässt.
Auch ein Anspruch auf Verlängerung der Vertragsfristen kann sich nur aus einer bereits im Vertrag getroffenen entsprechenden Vereinbarung ergeben.
Die VOB/B enthält eine solche Vereinbarung, auf die sich die Vertragsparteien berufen können, falls diese wirksam in den Vertrag einbezogen wurde. Danach gilt Folgendes:
Nach § 6 Absatz 2 Nr.1 c) VOB/B können Ausführungsfristen verlängert werden, soweit eine Behinderung durch „höhere Gewalt“ oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht ist. Ob die Corona Pandemie oder der Krieg in der Ukraine die Annahme eines Falls höherer Gewalt rechtfertigen, ist auf den Einzelfall bezogen zu klären. Von höherer Gewalt wird man allenfalls dann ausgehen können, wenn das jeweilige Material tatsächlich nicht lieferbar ist.
Die Materialknappheit darf jedoch nicht auf eine mangelhafte Planung oder unzureichende Bestellung zurückzuführen sein. Außerdem dürften die fehlenden Materialien auch nicht zu einem höheren Preis – was dem Auftragnehmer aufgrund seiner Risikozuweisung zumutbar wäre – zu beschaffen sein. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung fallen selbst exorbitante Preissteigerungen zur rechtzeitigen Beschaffung der Materialien in die Risikosphäre des Auftragnehmers.
Selbst wenn ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, hat der Auftragnehmer die Behinderung nach § 6 Absatz 1 VOB/B gegenüber dem Auftragnehmer anzuzeigen und die Auswirkung auf den Bauablauf konkret nachweisen.
Bei zukünftig abzuschließenden Verträgen dürfte die Aufnahme entsprechender Preisgleitklauseln Sach- und Interessengerecht sein. Sinnvoll erscheint es, insoweit zumindest die oben dargestellten Grundsätze des Erlasses vom 25. März 2022 des BMWSB zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund gilt es bei dem Entwurf einer solchen Klausel Folgendes zu beachten:
Bei der individuellen Gestaltung von Preisgleitklauseln ist daher Kreativität gefragt, um den unterschiedlichen Interessen einerseits und der gesetzlichen Risikoverteilung andererseits gerecht zu werden.
Derartige Klauseln sind zudem so zu formulieren, dass sie nicht an den Hürden der AGB-Prüfung, insbesondere des § 309 Nr.1 BGB bei Verbraucherverträgen bzw. § 307 BGB bei Unternehmerverträgen, scheitern.
Es empfiehlt sich daher, entsprechende Klauseln im Rahmen einer eingehenden und auf den Einzelfall bezogenen rechtsanwaltlichen Beratung entwerfen zu lassen.
Gerne unterstützen wir Sie dabei.
von Christine Weyand und Sidney Flaig
von Christine Weyand und Sidney Flaig
von Christine Weyand