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7. März 2022

Sperrt die VOB/B die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens?

  • Briefing

Wie der BGH mit Beschluss vom 26. Januar 2022 (VII ZB 19/21) entschieden hat, soll die Schiedsgutachtenabrede in § 18 Abs. 4 VOB/B einer vorherigen oder parallelen Durchführung eines auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützten selbstständigen Beweisverfahrens entgegenstehen. (#Schiedsgutachtenabrede, #VOB/B, #Beweisverfahren). Jedenfalls wenn und soweit sich das Beweisthema des beabsichtigten Beweisverfahrens mit dem gegenständlichen Anwendungsbereich der Schiedsgutachtenabrede deckt. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B bezieht sich auf Meinungsverschiedenheiten über die Eigenschaft von Stoffen und Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfungsverfahren bestehen. (#Materialfehler).

Damit wollte der BGH das umstrittene Verhältnis zwischen der Schiedsgutachtenabrede und einem selbstständigen Beweisverfahren klären. Dennoch wirft diese Entscheidung weitere Fragen auf.

Sachverhalt

In dem vom BGH entschiedenen Fall beauftragte die Antragstellerin (Auftraggeberin) die Antragsgegnerin (Auftragnehmerin) mit der Neuerrichtung einer Autobahnbrücke. In dem Bauvertrag wurden u.a. die VOB/B einbezogen. Am 16. April 2020 beantragte die Auftragnehmerin die Einleitung einer Schiedsuntersuchung über die von der Auftraggeberin erhobenen Rügen an Stahlbauteilen bei einer staatlich anerkannten Prüfstelle. Unter dem 27. April 2020 beantragte die Auftraggeberin die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens beim Landgericht Köln in Bezug auf die Feststellung von Mängeln an den Stahlbauteilen.

Das LG Köln wies den Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens zurück. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde vor dem OLG Köln scheiterte ebenfalls.

Entscheidung des BGH

Der BGH hat nun die Rechtsbeschwerde der Auftraggeberin ebenfalls zurückgewiesen.
Nach Ansicht des BGH ist der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens unzulässig, weil aufgrund der vorrangigen Schiedsgutachtervereinbarung nach § 18 Abs. 4 VOB/B kein rechtliches Interesse an den Feststellungen besteht, die Gegenstand der beantragten Begutachtung durch einen Sachverständigen sein sollen. Die vorherige oder parallele Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens sei unzulässig, soweit der Gegenstand der Schiedsabrede reicht, jedenfalls sofern der Gegner die Einrede der Schiedsgutachtenabrede erhebt. Denn durch die Vereinbarung einer Schiedsgutachtenabrede im Bauvertrag bringen die Parteien ihren Willen zum Ausdruck, bei entstehenden Auseinandersetzungen ein Schiedsgutachten zu wünschen und über das gleiche Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung einleiten zu wollen.

Zur Begründung führt der BGH an:

  • Fehlen des rechtlichen Interesses an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens aufgrund des Vorrangs der vertraglichen Vereinbarung des § 18 Abs. 4 VOB/B.
  • Die grundsätzliche Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede dient der Vermeidung doppelter Begutachtung in derselben Angelegenheit; es wäre nicht nachvollziehbar, wenn staatliche Gerichte bemüht werden sollen, obwohl sich die Vertragsparteien auf ein außergerichtliches Verfahren über den gleichen Beweisgegenstand geeinigt haben.
  • Vorrang der vertraglichen Vereinbarung, unabhängig davon, ob die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen durch ein selbstständiges Beweisverfahren gleichermaßen gewahrt wären.
  • Keine Rechtsunsicherheit infolge drohender Verjährung, da das Verfahren nach § 18 Abs. 4 VOB/B die Verjährung als ein vereinbartes Begutachtungsverfahren im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB hemmt.

Die Auffassung des BGH, nach der die Vertragsparteien durch Vereinbarung der Schiedsgutachtenabrede des § 18 Abs. 4 VOB/B zum Ausdruck bringen, bei entstehenden Auseinandersetzungen vorrangig und ausschließlich ein Schiedsgutachten zu wünschen, überzeugt nur bedingt. Diese Auffassung dürfte zumindest auf solche Fälle zutreffen, in denen die eine Vertragspartei „nach vorheriger Benachrichtigung der anderen Vertragspartei die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich anerkannte Materialprüfungsstelle vornehmen lässt“, wie dies in § 18 Absatz 4 VOB/B aufgeführt ist. Unklar ist jedoch, ob diese Schiedsgutachtenabrede auch dann Vorrang hat, wenn sich keine Partei darauf beruft. Denn gemäß § 18 Abs. 4 VOB/B „kann jede Vertragspartei die materialtechnische Untersuchung durch eine (…) Materialprüfungsstelle vornehmen lassen“. Die Parteien sind damit im Einzelfall nicht gezwungen ihre Meinungsverschiedenheiten hierüber klären zu lassen. Im Gegensatz hierzu wird bei anderweitig vereinbarten Schiedsgutachtenklauseln die Überprüfung als verbindliche Regel vereinbart („Bestehen … Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien darüber, ob und welche Mängel vorhanden sind, ist … durch einen … Sachverständigen zu entscheiden.“). Ob diese Verbindlichkeit ohne Weiteres auf die unverbindlich formulierte Regelung des § 18 Abs. 4 VOB/B übertragen werden kann, ist zumindest fraglich.

Dies bleibt auch bei der vorzitierten Entscheidung des BGH weiterhin unklar. Denn im dort zu entscheidenden Fall stellte sich diese Frage nicht, da sich eine Partei jedenfalls auf die Schiedsgutachterklausel des § 18 Absatz 4 VOB/B ausdrücklich berufen hatte.
Ob die Vereinbarung einer unverbindlichen Schiedsgutachtenabrede auch dann Vorrang vor einem selbständigen Beweisverfahren hätte, wenn sich keine Partei darauf beruft, bleibt daher weiterhin offen.

Nach unserer Auffassung müsste in einem solchen Fall das selbstständige Beweisverfahren grundsätzlich weiter zulässig sein. Denn ihm steht zumindest keine in jeden Fall verbindliche Schiedsgutachtenabrede entgegen. Nach Ansicht des BGH wäre ein eingeleitetes Beweisverfahren allerdings dann zu unterbrechen bzw. zurückzuweisen, wenn sich eine Partei auf die Schiedsgutachterabrede beruft. Daher erscheint es nach unserer Auffassung sinnvoll, vorab zwischen den Parteien zu klären, ob die Einleitung einer Schiedsuntersuchung oder – z.B. aufgrund weiterer zu klärender Fragen - die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens erfolgen soll. Im Streitfalle wäre die Schiedsuntersuchung vorzuziehen, da ansonsten die Unterbrechung und Zurückweisung des selbständigen Beweisverfahrens droht.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die Schiedsgutachtenabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B nur auf die darin enthaltenen Fallgruppen bezieht, wie z.B. auf Meinungsverschiedenheiten über die Eigenschaft von Stoffen (#Materialmängel), nicht hingegen auch auf die Feststellung übriger Baumängel.

Auf den Punkt gebracht bedeutet dies:

  • Wenn sich der Antragsgegner vor oder während der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens auf die Einrede der Schiedsgutachtenabrede beruft, dann greift nach dem gegenständlichen Beschluss des BGH infolge der Privatautonomie der Vorrang bzw. die Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede, mit der Folge, dass das selbstständige Beweisverfahren als unzulässig zurückzuweisen ist.
  • Wenn das Prüfungsverfahren nach § 18 Abs. 4 VOB/B bereits durchgeführt wurde, ist ein selbstständiges Beweisverfahren ebenfalls unzulässig, da die Parteien gemäß § 18 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 VOB/B an die Feststellungen der Materialprüfungsstelle gebunden sind. Grund hierfür ist die Vermeidung doppelter Begutachtung derselben Sache sowie das Fehlen rechtlichen Interesses nach § 485 Abs. 2 ZPO. Denn durch das Prüfungsergebnis der Materialprüfungsstelle kann bereits ein Rechtsstreit vermieden werden.
  • Die Frage, ob das selbstständige Beweisverfahren zulässig bleibt, wenn sich die Parteien nicht auf die Schiedsgutachtervereinbarung des § 18 Absatz 4 VOB/B berufen, hat der BGH in seinem Beschluss offengelassen. Dies dürfte nach unserer Ansicht zwar zu bejahen sein. Sofern keine Einigung zwischen den Parteien über das durchzuführende Verfahren getroffen werden kann, wäre aber die Schiedsuntersuchung vorzuziehen.
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