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Sebastian Beyer

Dr. Sebastian Beyer, LL.M. (Auckland)

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4. April 2022

Aufsichtsarbeit zwischen gesetzlichen Anforderungen und Digitalisierung

  • Briefing

Der Weg in eine digitale Zukunft entwickelt sich, auch bereits vor der Corona-Pandemie, ständig weiter. Um – gerade auch im internationalen Vergleich – wettbewerbsfähig zu werden bzw. zu bleiben, müssen und wollen viele Unternehmen ihren digitalen Wandel beschleunigen. Dies lässt auch die Arbeit des Aufsichtsrats nicht unberührt. Während auf der einen Seite innovative Technologien zu neuen inhaltlichen Themen für den Aufsichtsrat führen (beispielhaft seien hier nur neue Geschäftsmodelle bzw. die Stichworte Künstliche Intelligenz, „Internet of Things“, „Big Data“ oder „Cyber-Security“ genannt), werden auf der anderen Seite auch Arbeitsweise und Arbeitsmittel des Aufsichtsrats digitaler. Beides zieht zwangsläufig eine Notwendigkeit erhöhten Sachverstands betreffend neuer Technologien unter Aufsichtsratsmitgliedern nach sich, damit diese ihre Rechte und Pflichten erfüllen können. Durch die Corona-Pandemie ist die Digitalisierung der Gremienarbeit des Aufsichtsrats noch weiter ins Licht gerückt. Dies hat nun auch die Politik zum Handeln bewogen.


Befragung zur Digitalisierung der Gremienarbeit durch das Statistische Bundesamt

Seit 2006 verfolgt die Bundesregierung systematisch die Themen der besseren Rechtsetzung und entwickelt diese konstant weiter. Das Referat Bessere Rechtsetzung, Geschäftsstelle Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt koordiniert diese Aktivitäten für die Bundesregierung. Gemeinsam mit den Bundesministerien arbeitet es daran, Gesetze praxistauglicher, wirksamer und nutzerorientierter zu machen. Das Referat Bessere Rechtsetzung, Geschäftsstelle Bürokratieabbau hat daher das Statistische Bundesamt beauftragt, Vorstände, Mitglieder und Organisationen verschiedener Gremien zu befragen, wie sich die Gremienarbeit vor und während der Corona-Pandemie gestaltete. Gleichzeitig bittet die Bundesregierung um Einschätzung, wie sich die Befragten mit den Erfahrungen aus den letzten Monaten zukünftige Abstimmungsprozesse vorstellen können. Im Fokus stehen dabei etwa Vor- und Nachteile digitaler Sitzungen und Auswirkungen auf den damit verbundenen Aufwand. Die bis zum 11. März 2022 online geführte Befragung umfasst 25 Fragen, die dazu beitragen sollen, Empfehlungen für die künftige Gremienarbeit zu entwickeln. Entsprechende rechtliche Gestaltungen sollen nach Abschluss des Projektes gemäß Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz vom Dezember 2020 vorangebracht werden. Die Ergebnisse der Befragung werden vom Statistischen Bundesamt ausgewertet und in anonymisierter und aggregierter Form veröffentlicht.


Bisherige Rechtslage 

(Digitale) Beschlussfassung des Aufsichtsrats

Beschlüsse des Aufsichtsrats werden grundsätzlich durch Abstimmungen in Sitzungen gefasst. Dabei lag dem historischen Gesetzgeber des AktG 1965 die Vorstellung zugrunde, dass dies – mangels anderer geeigneter Kommunikationsmöglichkeiten – im Regelfall die physische Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder erfordere. Beschlussfassungen des Aufsichtsrats können aber auch ohne Präsenz der Aufsichtsratsmitglieder getroffen werden (vgl. § 108 Abs. 4 AktG). Sie können schriftlich (insbesondere im Um-laufverfahren), fernmündlich oder in anderer vergleichbarer Form erfolgen. Sie müssen jedoch vorbehaltlich einer Regelung in der Satzung oder der Geschäftsordnung unter-bleiben, wenn auch nur ein Aufsichtsratsmitglied widerspricht. Vergleichbare Formen im Sinne des § 108 Abs. 4 AktG sind die Stimmabgabe per Telefax, per E-Mail, Messenger-Diensten (wie beispielsweise „Whatsapp“), aber auch die Beschlussfassung im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz mit Bildübertragung ist möglich. 
Umstritten ist, ob – angesichts des technischen Fortschritts – Videokonferenzen, die Zuschaltung einzelner Aufsichtsratsmitglieder per Videokonferenzen mit Bildübertragung als gleichwertig mit Präsenzsitzungen i.S.d. § 110 Abs. 3 AktG eingeordnet werden soll-ten. Dies hätte zur Folge, dass das Widerspruchsrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nach § 108 Abs. 4 AktG nicht bestünde. Auf Basis der derzeitigen Rechtslage ist für diese Fälle in der Praxis zu empfehlen, vorsorglich einen allseitigen Verzicht zu erklären oder alternativ das Widerspruchsrecht des einzelnen Mitglieds in der Satzung oder Geschäftsordnung auszuschließen.

Deutscher Corporate Governance Kodex

Der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019 („DCGK“) bzw. der Entwurf in der Fassung vom 21. Januar 2022 („DCGK-Entwurf“), der nach seinem Selbstverständnis Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften und international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung beschreibt, sieht in seiner Erläuterung in D.8 S. 2 HS. 1 vor, dass die Zuschaltung über eine Telefon- oder Videokonferenz ebenfalls als anrechenbare Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung gelte. 

Die Gleichsetzung von Telefon- und Videositzungen ist nicht selbstverständlich, da Erörterungen komplexer Themenstellung – anders als der reine Akt der Beschlussfassung (§ 108 AktG) – nach der Wahrnehmung Vieler – von der unmittelbaren Diskussion zwischen persönlich anwesenden Teilnehmern leben. 

Als Konkretisierung der Möglichkeit der Teilnahme über Telefon- und Videokonferenzen regt der DCGK in D.8 S. 2 HS. 2 an, dass diese Form der Teilnahme nicht die Regel sein sollte. 

Entsprechende Technik vorausgesetzt, können Videokonferenzen jedenfalls eine adäquate Alternative sein, um Präsenzsitzungen regelmäßiger zu ersetzen. Beispielsweise erscheint es denkbar, jede zweite oder dritte Sitzung des Gesamtgremiums oder eines Ausschusses ohne nennenswerte Minderungen der Kommunikationsqualität als Videokonferenz abzuhalten, sofern keine außergewöhnlichen Themen anstehen. Es kann somit erwägenswert sein, Videokonferenzen in geeigneten Situationen häufiger als nur ausnahmsweise durchzuführen und damit aus Gründen der Zeit- und Ressourcenökonomie mit guten Gründen von der Kodex-Anregung abzuweichen. Dies gilt gerade auch in Hinblick auf den ökologischen „Fußabdruck“ der ansonsten erforderlichen Reisen. Insbesondere bei international besetzten Gremien dürfte der Reiseaspekt – auch unabhängig von etwaigen Beschränkungen aufgrund der Pandemie – von erheblicher Bedeutung sein. Dies gilt umso mehr, da der DCGK selbst in seiner jetzigen Fassung in Präambel Abs. 2 S. 2 auf die wachsende Bedeutung von Umweltfaktoren für den Unternehmenserfolg hinweist. Der DCGK-Entwurf geht noch mit Präambel Abs. 2 S. 2 HS.2 und S.3 ein Stück weiter, indem er darauf hinweist, dass die Tätigkeiten des Unternehmens Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben und der Aufsichtsrat dies bei der Überwachung des Unternehmens zu berücksichtigen habe.  


Einschätzung

Im Gegensatz zur virtuellen Hauptversammlung, die zunächst ein coronabedingtes Provisorium darstellte, wurde die Arbeit des Aufsichtsrats bereits durch die Neufassung des § 108 Abs. 4 AktG mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung („NaStraG“) am 25. Januar 2002 erleichtert. Schon das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich („KontraG“), das am 1. Mai 1998 in Kraft trat, hatte die weiteren Verbesserungen der Arbeit des Aufsichtsrats als Zielsetzung. Dass sich der Gesetzgeber des NaStrG zusätzlich mit dem Aufsichtsrat beschäftigte, dürfte daran gelegen haben, dass im Rahmen der für notwendig erachteten Öffnung des Aktienrechts für neue Informationstechnologien eine Lockerung von Formanforderungen in Angriff genommen wurde. Neugefasst wurde daher auch die den Aufsichtsrat betreffende Verfahrensvorschrift des § 108 Abs. 4 AktG. Begründet wurden diese Änderungen seinerzeit u.a. damit, dass eine stärker internationale Besetzung deutscher Aufsichtsräte angesichts der internationalen Ausrichtung der Unternehmen wünschenswert sei, was zwangsläufig Videokonferenzen etc. erforderlich machen würde. Die Neufassung des § 108 Abs. 4 AktG solle es den Betroffenen ermöglichen, durch größere Satzungs- und Geschäftsordnungsautonomie auf die künftigen Bedürfnisse flexibel zu reagieren (vgl. vgl. BT-Drs. 14/4051, S. 12). 

Die Möglichkeit der virtuellen Gremiensitzungen und -beschlüsse entspricht der Realität und ist, nicht nur vor dem Hintergrund des Klimaschutzes und der gewünschten Internationalisierung der Gremienbesetzung, wichtig. Viele Aufsichtsräte sind international besetzt, so dass eine körperliche Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder die Arbeitsweise des Aufsichtsrats erschweren würde. Infolgedessen kann es durchaus erwägenswert sein, Videokonferenzen in geeigneten Situationen häufiger durchzuführen und damit aus Gründen der Zeit- und Ressourcenökonomie, aber auch in Hinblick auf den ökologischen „Fußabdruck“ der ansonsten erforderlichen Reisen von der Kodex-Anregung abzuweichen.

Wenn Deutschland weiterhin für internationale Investoren von Bedeutung sein möchte, ist eine flexible und klimafreundliche Regelung im Hinblick auf die Gremienarbeit von Aufsichtsräten unerlässlich. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und Digitalisierung stellt eine solche flexible Möglichkeit eine begrüßenswerte Entwicklung dar. Auch schon vor der Corona-Pandemie hatten Unternehmen die Aufgabe, ihre eigene und auch die Arbeit ihrer (auch international besetzten) Gremien, zukunftsfähiger zu gestalten. Der technologische Wandel, die zügig fortschreitende globale Digitalisierung und der zunehmende internationale Wettbewerb zwingen Unternehmen dazu, ihre Reaktionsfähigkeit und Flexibilität zu erhöhen. 

Während die Gesetzesbegründung zu § 108 Abs. 4 AktG noch davon ausging, dass die Präsenzsitzung auch künftig in der Regel – insbesondere bei den Ausschusssitzungen – vorzugswürdig sei, da der intensivere persönliche Austausch und der unmittelbare Eindruck etwa von den Ausführungen des Wirtschaftsprüfers nicht zu unterschätzen sei, zeigen die Praxis sowie der Nachhaltigkeitsgedanke, dass virtuelle Aufsichtsratssitzungen eine adäquate Alternative darstellen. Auch wenn es noch durchaus Stimmen gibt, die einen persönlichen Austausch im Rahmen von Gremiensitzungen in puncto Aussprache und Verhandlung als unerlässlich erachten, dürfte (und auch sollten) insbesondere im Hinblick auf den Klimaschutz und die verbesserte Technologie der Übertragungsmöglichkeiten virtuelle Gremiensitzungen die Regel darstellen. 

Selbst wenn man berücksichtigt, dass digitale Gremienarbeit die Gefahr birgt, dass vertrauliche Informationen und Daten unbeabsichtigt weitergegeben werden, dürften digitale Gremiensitzungen gegenüber Präsenzveranstaltungen vorzugswürdig sein. Dass Telefon- oder Videokonferenzen, in die sich Aufsichtsratsmitglieder womöglich von unterwegs über Mobiltelefone einwählen, erfahrungsgemäß (schon durch mehr oder weniger häufige Verbindungsprobleme) nicht als gleichwertige Kommunikationsalternative zum gemeinsamen Gedankenaustausch vor Ort darstellen, dürfte eher eine Frage der Organisation bzw. des verbesserten Netzausbaus darstellen, als ein noch vertretbares Argument in diesem Jahrhundert. Eine stärkere Digitalisierung der Gremienarbeit dürfte – bei allen Einschränkungen, die mit rein digitalen Sitzungen verbunden sind – aufgrund der damit verbundenen Steigerung der Effizienz und Spontanität (bspw. kurzfristige anberaumte (Sonder-) Sitzungen) der Aufsichtsratsarbeit und der gleichzeitigen Kostenersparnis im Interesse des Unternehmens sowie seiner Stakeholder sein.

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