26. November 2020
Das Landesarbeitsgericht Köln hatte jüngst in zwei Parallelverfahren (25.8.2020 – 9 Ta 98/20 und 9 Ta 217/19) zu entscheiden, ob Telefonsexdienstleisterinnen, also Mitarbeiterinnen einer Sexhotline, als Arbeitnehmerinnen einzustufen sind. Die beiden Entscheidungen, die anschaulich die Abgrenzung zwischen freiem Dienstnehmer und Arbeitnehmer aufzeigen, ermöglichen zugleich einen Blick auf die ungewöhnlichen Arbeitsumstände dieser Branche.
Die Klägerinnen arbeiteten als (vermeintlich) freiberufliche Telefonsexdienstleisterinnen bei der 24h-Sexhotline der Beklagten. Unter mehreren Rufnummern waren dort Frauen für Kunden an der Hotline für Telefonsex zu erreichen. Die Infrastruktur hierfür (Räumlichkeiten, Telefon, PC, Website) stellte die Beklagte zur Verfügung. Die Klägerinnen mussten sich lediglich rechtzeitig in einen Schichtplan eintragen und zur vereinbarten Zeit in dem zugeteilten Raum bei der Beklagten einfinden. Für die Telefonkabine bezahlten sie eine Miete von EUR 50,00 pro Monat.
Die Vorgaben des Hotline-Anbieters waren dabei ungewöhnlich strikt: Privatgespräche oder auch nur persönliche Gegenstände während der Dienstzeit waren nicht erlaubt. Die Räume wurden videoüberwacht, die Anrufe mitgeschnitten. Eingehende und ausgehende Briefe und Pakete wurden durchsucht. Selbst Toilettengänge waren nur nach Voranmeldung möglich. Verstöße gegen Verhaltensregeln wurden finanziell sanktioniert.
Außerhalb der Dienstzeit war es den Klägerinnen untersagt, zu Kunden Kontakt aufzunehmen. Es sollte nicht überraschen, dass die Anrufer über die Identitäten der Frauen getäuscht wurden. Die auf der Website angegebenen Namen und Fotos stammten aus einer Datenbank der Beklagten, aus der die Damen ihre Wunschidentität vorab auswählten. Der Hotline-Anbieter übernahm sodann vollständig die Abrechnung gegenüber den Anrufern, auch wenn die Vertragsbeziehung nur zwischen dem Kunden und der Dienstleisterin zustande kommen sollte.
Nach Ende des „Dienstverhältnisses“ begehrten die Telefonistinnen beim Arbeitsgericht unter anderem die Feststellung, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hatte. Während das Arbeitsgericht die Arbeitnehmereigenschaft verneinte, kam das angerufene Landesarbeitsgericht zu einem anderen Schluss.
Das Landesarbeitsgericht Köln entschied, dass die Telefonsexdienstleisterinnen Arbeitnehmerinnen waren. Nach der Definition des Arbeitsvertrags in § 611a BGB ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. Das Landesarbeitsgericht stellte maßgeblich darauf ab, dass die für das Arbeitsverhältnis typische persönliche Abhängigkeit bereits aus der Eingliederung in eine fremde betriebliche Arbeitsstruktur und der damit verbundenen Fremdbestimmtheit der Tätigkeit ergeben kann. Im vorliegenden Fall war das Gericht der Ansicht, dass die Klägerinnen so in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert waren und ihr Verhalten und der geschuldete Leistungsinhalt derart gesteuert und kontrolliert wurde, dass sie in einer Weise ihrer Selbständigkeit beraubt waren, die über die mögliche Einflussnahme in einem freien Dienstverhältnis hinausgeht. Das Vorliegen konkreter Einzelanweisungen (z.B. zum Inhalt der Gespräche mit den Anrufern) war dann überflüssig.
Für eine Arbeitnehmereigenschaft sprachen unter anderem:
Demgegenüber konnten die steuerrechtliche Handhabung und die gewisse arbeitszeitliche Flexibilität, die die Telefonsexdienstleisterinnen durch ihre freie Wahl der Schichten hatten, nicht überwiegen. Eine vollständige Arbeitszeitsouveränität hatten die Klägerinnen durch den Schichtplan, in den sie sich verbindlich eintragen mussten, ohnehin nicht. Es überwogen daher die Umstände, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprachen.
Die Differenzierung zwischen Arbeitnehmer und selbständigem Dienstleister ist nicht nur für die Anwendbarkeit von arbeitsrechtlichen Normen, wie dem Kündigungsschutzrecht, von Belang. Gerade im Hinblick auf die Sozialversicherungspflicht von Beschäftigten entfaltet die Abgrenzung, die von Sozialgerichten sehr ähnlich vorgenommen wird, ihre Sprengkraft. Die versäumte Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen birgt für Unternehmen ein erhebliches finanzielles Risiko, wenn Sozialversicherungsträger plötzlich hohe Nachforderungen stellen. Die vorgestellten Urteile des Landesarbeitsgerichts Köln fügen sich dabei in die zunehmend strenge Betrachtungsweise deutscher Gerichte und Behörden. Eine sorgfältige arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Prüfung vor dem Einsatz von Freiberuflern, Freelancern, Beratern oder Honorarkräften ist daher ein Muss – in jeder Branche. Dies gilt namentlich auch für Tätigkeiten über Internet- und Social Media Plattformen. Die durch das Internet ermöglichte Anonymisierung schützt vor dem Zugriff des Arbeitsrechts nicht.
von mehreren Autoren
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