19. November 2020

Newsletter Technology - November 2020 – 2 von 4 Insights

Das neunte „Nein“ – Ein Update zum NetzDG

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Erst acht Mal in der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte hat ein Bundespräsident die Ausfertigung eines Gesetzes verweigert, weil er es für verfassungswidrig hielt. Dem stehen tausende ausgefertigte Gesetze gegenüber. So selten es ist, dass ein Gesetzesvorhaben ernsthafte verfassungsrechtliche Zweifel auslöst; beim „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ (BT-Drucks. 19/17741 und 19/20163) war es der Fall. Nach mehrwöchiger Prüfung entschied Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich, dass er das Gesetz, mit welchem insbesondere das NetzDG, das TMG und das BKAG geändert werden sollen, nicht unterzeichnen werde. Insbesondere die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages hatten in einem Gutachten zuvor dessen Verfassungskonformität in Frage gestellt.

Zum Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

Rechtsextreme Angriffe erschütterten im Jahr 2019 Politik und Gesellschaft. Als Treiber des Hasses waren schnell das Internet und soziale Medien als Orte der „zunehmende[n] Verrohung der Kommunikation“ ausgemacht. Noch zum Jahresende 2019 legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz seinen Referentenentwurf zum Gesetzespaket vor. Der Entwurf enthält weitreichende Verschärfungen des bisherigen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes („NetzDG“), des Telemediengesetzes („TMG“) und Änderungen des Bundeskriminalamtgesetzes („BKAG“). Zur intensiveren und effektiveren Bekämpfung von Hasskriminalität nimmt er Anbieter sozialer Netzwerke verstärkt in die Pflicht.

Zu den zentralen geplanten Änderungen des Gesetzes zählen:

  • Pflicht zur Meldung und Übermittlung von Nutzerinhalten (etwa Texte, Kommentare, Videos) an das Bundeskriminalamt (BKA) als „Zentralstelle“ (§ 3a NetzDG-Entwurf)
  • Übermittlung von Bestands- und Nutzerdaten (auch anhand einer dynamischen IP-Adresse ermittelte Bestandsdaten), sowie Zugangsdaten (Passwörter, E-Mail-Adressen) an Sicherheitsbehörden (§§ 15a,15b TMG-Entwurf)
  • Abrufrecht der entsprechenden Daten durch das BKA (§ 10, 10a BKAG-Entwurf).

Kritik am Gesetzentwurf

Die Zweifel am Gesetzespaket kommen nicht überraschend. Schon von Beginn an wirkte die Reform des NetzDG eher politisch motiviert als juristisch durchdacht. Von der Presse als Gesetz bezeichnet, das „Daten sammelt, statt Hass zu verhindern“ begegnet das Gesetzespaket umfassenden europa- sowie verfassungsrechtlichen Bedenken:

  • Zu kritisieren ist die weitreichende Übermittlungspflicht von Daten, ohne dass dieser eine hoheitliche Prüfung oder Anordnung zugrunde liegt. Diese Pflicht steht nicht nur in Widerspruch zu den Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, sondern ist auch mit Blick auf die Meinungsfreiheit bedenklich.
  • Gerade mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Mai 2020 (1 BvR 1873/13 und 1 BvR 2618/13) zur Bestandsdatenauskunft wurden verfassungsrechtliche Bedenken laut. Das BVerfG betont darin die Sensibilität eines Datentransfers. Zulässig sei dieser nur, wenn er sich durch Abruf und Übermittlung von Daten vollziehe, jeweils basierend auf verfassungskonformen Ermächtigungsgrundlagen. Dieses „Doppeltür-Modell“ des BVerfG ist verfassungsrechtlich etabliert. Das Gesetzespaket berücksichtigt dies indes nicht.

Ausblick

Das Bundespräsidialamt ist einen ungewöhnlichen Weg gegangen und hat die Ausfertigung des Gesetzes aufgrund der Bedenken zunächst nur ausgesetzt. Die Bundesregierung arbeitet nun „mit Nachdruck“ an einem Anpassungsgesetz, um rechtliche Bedenken auszuräumen. Das Anpassungsgesetz soll „zeitnah“ verabschiedet werden, wie aus einer Antwort der Bundesregierung (BT-Drucks. 19/23867) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorgeht. Eine Frist für die Ausfertigung eines Gesetzes durch den Bundespräsidenten sieht Art. 82 GG nicht vor. Wann und wie die Reform den NetzDG kommt, ist ungewiss.

In dieser Serie

Informationstechnologie

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19. November 2020

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von Dr. Tim Jonathan Schwarz

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