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Dr. Sebastian Beyer, LL.M. (Auckland)

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25. März 2020

Corona-Pandemie: Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung und zahlreichen weiteren Erleichterungen verabschiedet

Inhalt:

  1. Online-Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung
  2. Virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz
  3. Verkürzung von Fristen
  4. Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn
  5. Verlängerung der Frist für die Durchführung der Hauptversammlung
  6. Zustimmung des Aufsichtsrats / Erleichterte Beschlussvoraussetzungen
  7. Einschränkung der Anfechtungsgründe
  8. Ausblick

 

Hauptversammlungen börsennotierter und anderer Gesellschaften mit großem Aktionärskreis galten jüngst als praktisch undurchführbar – zu groß war das Risiko der Verbreitung des Coronavirus. Behördliche Verbotsverfügungen häuften sich, die Unternehmen waren zur Verlegung der Aktionärstreffen gezwungen. Wichtigen Strukturmaßnahmen und der Ausschüttung von Dividenden drohte eine erhebliche Verzögerung.

Bundestag und Bundesrat haben diese Woche das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verabschiedet. Es soll insbesondere Herausforderungen und Unsicherheiten bei Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen begegnen. Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen sollten sich mit den Neuerungen auseinandersetzen, die im Folgenden beleuchtet werden sollen.

1. Online-Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung

Der Gesetzgeber eröffnet zunächst die bereits bestehenden Möglichkeiten der Online-Teilnahme und der Nutzung elektronischer Kommunikationswege auch für diejenigen Gesellschaften, die bislang keine entsprechende Ermächtigung in der Satzung vorgesehen haben. So werden

  • die Online-Teilnahme,
  • die Online-Briefwahl,
  • die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern im Wege der Videokonferenz sowie
  • die Übertragung der Hauptversammlung im Internet

ausdrücklich auch dann ermöglicht, wenn eine Satzungs- bzw. Geschäftsordnungsermächtigung nicht besteht.

Damit der Vorstand hierbei die gebotene Abstimmung mit dem Aufsichtsrat sucht, bedürfen diese Maßnahmen jeweils der Aufsichtsratszustimmung. Auch hier liefert der Gesetzgeber die passenden Erleichterungen für die Beschlussfassungen (siehe Abschnitt 6).

2. Virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz

Herzstück des Gesetzes ist sodann die „Virtuelle Hauptversammlung“ – es ermöglicht erstmalig die Durchführung einer Hauptversammlung gänzlich ohne die physische Präsenz der Aktionäre am Versammlungsort. Obwohl es insoweit keinen klassischen Versammlungsort gibt, sollten mindestens Versammlungsleiter und der die Niederschrift aufnehmende Notar an einem Ort zusammenkommen. Auch der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft sollte aus organisatorischen Gründen physisch vor Ort sein.

Vorgesehen ist, dass der Vorstand eine solche Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre beschließen kann, soweit

  • eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung erfolgt, 
  • die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
  • den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und
  • Aktionäre, die ihr Stimmrecht elektronisch ausgeübt haben, elektronisch bis zum Ende der Versammlung Widerspruch einlegen können.

 

Im Einzelnen:

2.1 Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung

Die Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung ist bei vielen, vor allem größeren Gesellschaften in den zurückliegenden Jahren bereits gut erprobt worden, beschränkt sich im Regelfall allerdings auf die Übertragung der Rede des Vorstands und die Berichterstattung des Aufsichtsrats. Zum Teil erfolgte auch die Übertragung der Generaldebatte, wobei die Gesellschaften hierbei insbesondere datenschutzrechtlichen Aspekten besondere Aufmerksamkeit schenken mussten. Anders als in der Praxis bislang üblich, muss für die virtuelle Hauptversammlung die Übertragung der gesamten Hauptversammlung organisiert werden. Hierfür bietet es sich zunächst an, die bewährten Instrumente zu nutzen und für die gesamte Hauptversammlung auszubauen.

Aufgrund des Fortfalls der Generaldebatte in der klassischen Form sind auch wesentliche Entschärfungen der datenschutzrechtlichen Fragen zu erwarten, da etwa keine namentliche Erwähnung und bildliche Übertragung von Rednern oder Fragestellern zu erwarten ist. Zudem stellt der Gesetzgeber in der Begründung des Entwurfs klar, dass die Gesellschaft nicht für eine ungestörte Übertragung und einen reibungslosen Empfang bei jedem Aktionär einstehen muss. Dies dürfte Anfechtungsrisiken in diesem Bereich ähnlich dem bereits bestehenden Anfechtungsausschluss in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG erheblich reduzieren, wenn nicht ausschließen.

2.2 Elektronische Stimmrechtsausübung und Vollmachtserteilung

Zur Stimmrechtsausübung hat der Vorstand zunächst die Möglichkeit der Vollmachtserteilung anzubieten. Hierfür bietet sich der Einsatz des von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreters an, dessen Bevollmächtigung bis zum Ende der Generaldebatte per elektronischer Weisung ermöglicht werden sollte. Sodann kann der Vorstand entscheiden, entweder die elektronische Briefwahl oder ein anderes Verfahren der elektronischen Stimmabgabe, etwa über ein eingerichtetes Aktionärsportal mit Abstimmungsfunktion, vorzusehen. Praktisch wird es sich hierbei empfehlen, zunächst diejenigen Instrumente zu nutzen, auf die die Gesellschaft bereits in der Vergangenheit zurückgegriffen hat, wie dies einige Gesellschaft etwa für die elektronische Briefwahl umgesetzt hatten. Technisch noch nicht etabliert und ggf. auch aufwendiger ist dagegen die Integration von Abstimmflächen bspw. im Aktionärsportal, die dann wohl auch bis zum Ende des Abstimmvorgangs offengehalten werden müssten.

2.3 Insbesondere: Ausübung des Fragerechts, Auskunftspflichten des Vorstands

Sehr weitreichend fallen die Erleichterungen hinsichtlich des Fragerechts der Aktionäre aus. Während das Rederecht der Aktionäre bei der virtuellen Hauptversammlung insgesamt entfällt, wird das Fragerecht erheblich eingeschränkt. Spiegelbildlich gibt es erhebliche Erleichterungen bei der Auskunftspflicht des Vorstands. Nach der gesetzlichen Regelung soll den Aktionären eine Möglichkeit zur elektronischen Fragestellung gegeben werden, wobei die Gesellschaft vorsehen kann, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung einzureichen sind. Für die Fristberechnung dürfte § 121 Abs. 7 AktG Anwendung finden, wonach der Tag der Hauptversammlung nicht mitzuzählen ist. Dagegen fehlt es an einer Regelung, wonach der Tag des Zugangs ebenfalls nicht einzuberechnen ist. Folglich kann der Vorstand vorsehen, dass Fragen etwa vorab per E-Mail oder ein Aktionärsportal einzureichen sind. Vorsorglich sollte als Frist der Zugang am zweiten Tag vor dem Tag der Versammlung vorgesehen werden.

Die Verpflichtung zur Beantwortung der Fragen ist erheblich eingeschränkt. Die Beantwortung erfolgt nach „pflichtgemäßem, freiem Ermessen“ des Vorstands. Nach der Gesetzesbegründung hat der Aktionär ausdrücklich kein Recht auf eine Antwort. Insoweit verweist der Gesetzgeber auf eine zu erwartende Flut von Fragen und will ganz offenkundig dem Vorstand durch einen weiten Beurteilungsspielraum Werkzeuge an die Hand geben, mit dieser – realen oder nur vermuteten – Flut umzugehen. Ganz praktisch kann der Vorstand Fragen zusammenfassen, in erster Linie Aktionärsvereinigungen oder institutionelle Aktionäre bei der Beantwortung bevorzugen oder generell sein Ermessen in Richtung einer Nichtbeantwortung ausüben. Es gibt keine Beschränkung auf die in § 131 Abs. 3 AktG geregelten Auskunftsverweigerungsgründe.

Inwieweit das Ermessen „frei“ oder „pflichtgemäß“ ausgeübt werden muss, erscheint derzeit noch offen. Rechtlich sind beide Begriffe unterschiedlich besetzt: ein freies Ermessen ermöglicht eine noch weitergehende Auswahl von Fragen und Erteilung von Antworten als dies bei pflichtgemäßem Ermessen der Fall ist. In Anbetracht des Umstands, dass die Gesetzesbegründung auf das pflichtgemäße Ermessen abstellt, sollte bei der Auswahl und Beantwortung von Fragen neben dem Aspekt der Effizienz auch immer die Abwägung zwischen Aktionärs- und Gesellschaftsinteresse im Sinne einer sachlich begründbaren Entscheidung erfolgen. Eine klare Regelung wäre jedenfalls wünschenswert gewesen, auf Grundlage des Gesetzes hat der Vorstand jedenfalls einen weiten Ermessensspielraum, mit dem er verantwortungsbewusst, aber durchaus „mutig“ umgehen kann.

Die elektronisch gestellten bzw. eingereichten Fragen sind dann nach Ausübung des vorstehenden Ermessens in der Hauptversammlung zu beantworten. Eine interessante Möglichkeit spricht die Gesetzesbegründung hierbei noch an: Werden Fragen vorab, etwa im Rahmen eines FAQ-Katalogs beantwortet, müssen diese nicht (noch einmal) in der Hauptversammlung beantwortet werden. Insoweit dürfte sich die Zugänglichmachung eines solchen FAQ-Katalogs mit den „klassischen“ oder sonst zu erwartenden Aktionärsfragen bereits aus dem Aspekt der rechtlichen Absicherung heraus anbieten.

2.4 Widerspruch zur Niederschrift

Schließlich muss den nicht physisch teilnehmenden Aktionären, die ihr Stimmrecht auf einem der vom Vorstand eröffneten elektronischen Wege ausgeübt haben, ein Recht zum Widerspruch zur Niederschrift eingeräumt werden. Dabei muss den Aktionären ein Weg zur elektronischen Einreichung des Widerspruchs eröffnet werden. Praktisch dürfte sich hierfür die Einrichtung einer speziellen E-Mail-Adresse anbieten. Da der Notar Widersprüche wahrnehmen und protokollieren muss, ist sicherzustellen, dass ihm der Zugang zu den Widerspruchs-E-Mails ermöglicht wird.

Da auch bei der virtuellen Hauptversammlung das Widerspruchsrecht mit Beendigung der Hauptversammlung erlischt, sollten auch bei der Erreichbarkeit der E-Mail-Adresse entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Weniger ratsam für die Widerspruchsmöglichkeit scheint indes die Einrichtung eines „Widerspruchs-Buttons“ etwa im Aktionärsportal. Eine allzu leichte „Einladung zum Widerspruch“ durch simplen Klick dürfte zu einem sprunghaften Anstieg so erklärter Widersprüche und damit ggf. zu einer erheblichen Unsicherheit bei der Umsetzung der Beschlüsse führen.

Nicht nur, aber insbesondere in Bezug auf die Ermöglichung des elektronischen Widerspruchs sollten die Gesellschaften, die die virtuelle Hauptversammlung nutzen wollen, frühzeitig mit dem die Niederschrift aufnehmenden Notar in Kontakt treten, um in Betracht kommende Umsetzungsmöglichkeiten abzustimmen.

2.5 Gegenanträge und Anträge zur Geschäftsordnung auf der Hauptversammlung?

Nicht geregelt wird im Gesetz der Umgang mit Antragsrechten von Aktionären. Insbesondere bleibt unklar, ob und inwieweit Gegenanträge überhaupt auf einer virtuellen Hauptversammlung gestellt werden können.

Die Gesetzesbegründung geht offenbar davon aus, dass alle Antragsrechte „in“ der Hauptversammlung entfallen, sofern lediglich elektronische Briefwahl und Stimmrechtsvollmacht vorgesehen wird. Sofern andere Formen der elektronischen Teilnahme genutzt werden, „kann“ es entsprechende Antragsrechte geben. Ob hieraus der Schluss gezogen werden muss, dass bei einer virtuellen Hauptversammlung Gegenantragsrechte insgesamt entfallen sollen, erscheint offen.

Ein praktisches Problem stellt sich bei der Behandlung von Anträgen von Aktionären nach § 126 AktG. Solche sind grundsätzlich in der Hauptversammlung erneut zu stellen. Je nach konkreter Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung kann der Aktionär mangels Kommunikationsweg diesen Antrag nicht formal stellen. Ob und inwieweit somit das Gegenantragsrecht der Aktionäre in der Versammlungsform der virtuellen Hauptversammlung überhaupt noch besteht, muss im Ergebnis als offen bezeichnet werden. Nach Auswertung der Gesetzesbegründung erscheint es jedoch naheliegend, dass auch Antragsrechte in dieser Form der Hauptversammlung suspendiert sind.

3. Verkürzung von Fristen

Weiterhin wird durch den Entwurf das Fristenregime des AktG erheblich flexibilisiert. Generell kann der Vorstand entscheiden, die Fristen wie nachfolgend dargestellt zu verkürzen. Wird die Einberufungsfrist verkürzt, folgen die übrigen Fristen entsprechend. Wichtig dabei ist, dass es sich um eine Verkürzungsmöglichkeit handelt, von der individuell Gebrauch gemacht werden kann.

  • Die Einberufungsfrist kann auf 21 Tage verkürzt werden, ohne dass die Anmeldefrist hierbei verlängernd zu berücksichtigen ist.
  • Der Nachweisstichtag (Record Date) muss sich im Falle der Verkürzung auf den Beginn des zwölften Tages vor der Versammlung beziehen und muss bei Inhaberaktien der Gesellschaft bis spätestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen.
  • Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AktG an Intermediäre und Aktionäre bzw. Aktionärsvereinigungen müssen im Falle der Verkürzung der Einberufungsfrist spätestens zu Beginn des zwölften Tages vor der Hauptversammlung erfolgen.
  • Tagesordnungsergänzungsverlangen müssen bei der Verkürzung der Einberufungsfrist mindestens 14 Tage vor der Versammlung der Gesellschaft zugehen.

Ob eine Verkürzung der Einberufungsfrist und damit ggf. ein Mehr an Flexibilität sinnvoll ist, muss im individuellen Fall geprüft werden. Dabei sollte insbesondere bedacht werden, ob der entsprechende Informationsfluss zwischen Anmeldestellen und Intermediären in Zeiten der Corona-Krise sichergestellt werden kann oder ob sich in Anbetracht dessen nicht die Beibehaltung des klassischen Fristenregimes empfiehlt.

4. Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn

Das Gesetz sieht ferner vor, dass der Vorstand abweichend von § 59 Abs. 1 AktG auch ohne Satzungsermächtigung einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zahlen kann. Die Regelung soll der vielfach geäußerten Befürchtung entgegenwirken, dass es bei der Dividende wegen des Erfordernisses eines Hauptversammlungsbeschlusses zu Verzögerungen kommt, weil die Hauptversammlung verschoben wird. Ein solcher Beschluss ist für Abschlagszahlungen nicht erforderlich.

Zunächst ist festzuhalten, dass lediglich die Ermächtigung in der Satzung für entbehrlich erklärt wird. Die abschlagsspezifischen Beschränkungen nach § 59 Abs. 2 AktG gelten indes weiterhin, d.h. dass

  • als Abschlag höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses nach Abzug des nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellenden Betrags gezahlt werden darf und
  • der Abschlag die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns nicht übersteigen darf.

Je nach Höhe der von der Verwaltung vorgeschlagenen Dividende dürfen die Aktionäre also zunächst ggf. nur eine „Dividende light“ erhalten. Die Zustimmung des Aufsichtsrats war stets erforderlich (§ 59 Abs. 3 AktG); nunmehr kann die Beschlussfassung aber unter erleichterten Voraussetzungen stattfinden (siehe Abschnitt 6).

Abschlagszahlungen hatten bislang keine nennenswerte praktische Relevanz. Zahlreiche Gesellschaften verzichteten auf eine entsprechende Satzungsermächtigung, da Aufwand für die Gesellschaft und Nutzen für die Aktionäre, die ja ohnehin routinemäßig über die Dividende beschließen (konnten), oftmals für unverhältnismäßig erachtet wurden. Hinzu kamen die genannten Beschränkungen. Diese bestehen weiterhin, doch könnten die aktuellen Einschränkungen betreffend Vorbereitung und Durchführung einer termingerechten Hauptversammlung das Instrument der Abschlagszahlung attraktiver erscheinen lassen.

Vorstand und Aufsichtsrat sollten die einschlägigen Optionen bei entsprechendem Anlass zumindest erwägen, zumal auf Aktionärsseite eine gewisse Erwartungshaltung bestehen kann. Dabei sind aber Haftungsrisiken im Blick zu behalten, denn die Verwaltung kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn sie den Aktionären überhöhte Abschlagszahlungen leistet.

5. Verlängerung der Frist für die Durchführung der Hauptversammlung

Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien muss nicht mehr innerhalb der ersten acht Monate eines Geschäftsjahres, sondern nur vor Geschäftsjahresende stattfinden.

Diese Regelung verschafft den betreffenden Gesellschaften zunächst Zeit und erhöht ihre Planungssicherheit. Sie basiert offenbar auf der Erwartung, dass die Corona-Pandemie in absehbarer Zeit abklingt und Hauptversammlungen ab September 2020 wieder als Präsenzveranstaltungen plan- und durchführbar sein werden. Doch auch Gesellschaften, die erwägen, eine virtuelle Hauptversammlung durchzuführen, können von der Fristverlängerung profitieren, wenn sie zunächst erste Erfahrungen mit dieser Option oder die Entwicklung entsprechender technischer Voraussetzungen abwarten möchten.

Gesellschaften in der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) steht diese Möglichkeit nicht offen. Sie müssen – wie bisher – die Hauptversammlung innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres durchführen. Dies mag überraschen, da diese Unternehmen ohnehin eine kürzere Durchführungsfrist haben. Die Hauptversammlung einer SE muss nach EU-Recht aber zwingend innerhalb von sechs Monaten nach Geschäftsjahresende stattfinden. Hierüber kann sich der nationale Gesetzgeber – auch in außergewöhnlichen Krisenzeiten – mangels entsprechender Gesetzgebungskompetenz nicht hinwegsetzen.

Die Einschränkung betrifft allein aus DAX, MDAX und SDAX über 30 Emittenten. Sie und alle übrigen Publikumsgesellschaften in der Rechtsform einer SE und ihre Aktionäre verdienen zweifellos denselben Schutz wie Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien und deren Aktionäre. Eine zeitnahe Reaktion aus Brüssel wäre also äußerst wünschenswert.

Über ein Ausnutzen der verlängerten Frist entscheidet der als für die Einberufung zuständiges Organ nach pflichtgemäßem Ermessen mit Zustimmung des Aufsichtsrats (siehe Abschnitt 6). Ein Zwangsgeldverfahren gemäß § 407 Abs. 1 AktG soll dann ebenso ausgeschlossen sein wie eine Schadensersatzhaftung des Vorstands. Dies nach der Gesetzesbegründung aber wohl nur, wenn die Verschiebung über die ursprüngliche Frist hinaus aufgrund der Auswirkungen der Pandemie erfolgt. Aus dem Gesetzestext ergibt sich eine solche Einschränkung allerdings nicht ausdrücklich.

6. Zustimmung des Aufsichtsrats / Erleichterte Beschlussvoraussetzungen

Die vorgenannten Erleichterungen werden von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht. Nach der Gesetzesbegründung soll dies einen möglichen Missbrauch weitestgehend verhindern und die Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats gewährleisten. Teilweise war dies auch nach bisheriger Rechtslage vorgesehen.

Der Aufsichtsrat entscheidet – wie sonst auch – durch Beschluss. Damit das Gremium den Zustimmungsbeschluss zeitnah und mit geringem Vorbereitungsaufwand fassen kann, sieht das Gesetz vor, dass er abweichend von § 108 Abs. 4 AktG unabhängig von entsprechenden Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelungen ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise beschließen kann. Unter letztgenanntem werden auch Videokonferenzen oder Beschlussfassungen per E-Mail oder gar Whatsapp verstanden, wobei stets auf eine sorgfältige Dokumentation zu achten ist. Nicht abbedungen ist – vorbehaltlich einer anderslautenden Regelung in Satzung oder Geschäftsordnung – das Recht der Aufsichtsratsmitglieder, einer solchen Form der Beschlussfassung zu widersprechen; seine Ausübung dürfte in der aktuellen Zeit indes nur in seltenen Fällen pflichtgemäß sein.

7. Einschränkung der Anfechtungsgründe

Die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses kann nicht gestützt werden auf

  • Verletzungen von § 118 Abs. 1 Satz 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 AktG oder
  • Verletzungen der Bestimmungen zur virtuellen Hauptversammlung einschließlich des eingeschränkten Auskunftsrechts (siehe Abschnitt 2).

Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass die entsprechenden Erleichterungen von den Gesellschaften aus Sorge vor Anfechtungsklagen nicht in Anspruch genommen werden. Hierzu gehört auch, dass Verletzungen der eingeschränkten Auskunftspflicht keine Anfechtungsmöglichkeit begründen. Etwas anders gilt nur in dem – praktisch äußerst seltenen – Fall, dass der Gesellschaft Vorsatz nachzuweisen ist. Bei dem Anfechtungsausschluss nach § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG bleibt es weiterhin.

Die Bestimmungen nach § 118 Abs. 1 Satz 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2 AktG wurden durch das ARUG II eingefügt; sie sind erst auf Hauptversammlungen, die nach dem 3. September 2020 einberufen werden, anwendbar. Der Gesetzgeber wollte jedoch gewährleisten, dass auch für den Fall einer Hauptversammlung, die danach einberufen wird, eine Anfechtung nicht auf fahrlässige Verletzungen dieser Bestimmungen gestützt werden kann.

Der Gesetzgeber geht damit einen weiteren begrüßenswerten Schritt gegen missbräuchliche Anfechtungsklagen. Gesellschaften, die sich für eine virtuelle Hauptversammlung entscheiden und die hiermit verbundenen Herausforderungen auf sich nehmen, kommen damit zugleich Aktionären entgegen, die – wenn auch aus guten Gründen – daran interessiert sind, dass die Terminierung nicht weiter aufgeschoben wird und die Versammlung nicht erst kurz vor Geschäftsjahresende stattfindet. Es wäre nicht sachgerecht, wenn sie dann mit erhöhten Anfechtungsrisiken rechnen und in der Konsequenz von einer Inanspruchnahme der Erleichterungen absehen oder sich mit entsprechenden Anfechtungsklagen auseinandersetzen müssten. Schließlich kann das Gesetz seinen Zweck nur dann erfüllen, wenn die Unternehmen beschlossene Maßnahmen – nicht zuletzt die Gewinnausschüttung – zeitnah und rechtssicher umsetzen können.

8. Ausblick

Es steht zu erwarten, dass viele Gesellschaften in der derzeitigen Situation von den Erleichterungen des Gesetzes für ihre Hauptversammlung 2020 Gebrauch machen werden. Termingerechte Aktionärstreffen liegen sowohl im Interesse der Unternehmen als auch der Aktionäre. Die hiermit verbundenen Beschränkungen der Aktionärsrechte sind dabei erheblich, weswegen die jetzige Krisengesetzgebung allenfalls in Teilen als „Feldversuch“ für eine allgemeingültige Regelung der virtuellen Hauptversammlung ohne physische Präsenz herangezogen werden kann. Eine Herausforderung liegt auch in der praktischen Umsetzung der neuen Möglichkeiten: Vorteile haben die Gesellschaften, die bereits in der Vergangenheit die Möglichkeiten elektronischer Aktionärsbeteiligungen erprobt und genutzt haben. Alle anderen sollten den technischen Möglichkeiten nunmehr aufgeschlossen gegenüberstehen.

Für die aktuelle Krise stellen die Erleichterungen jedoch sicherlich nützliche Instrumente dar, um die Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften in einem geordneten Rahmen rechtssicher abwickeln zu können. Sie erweisen dem deutschen Kapitalmarkt und seinen Teilnehmern damit einen wichtigen Dienst.

Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen

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