28. Januar 2020

Der neue Deutsche Corporate Governance Kodex – Neues Gewand, neuer Inhalt

Nachdem die Novellierung des Kodex bereits im Mai 2019 durch die Kodexkommission verbindlich beschlossen wurde, wird die Neufassung nach Inkrafttreten des ARUG II nun auch für die Praxis relevant. Der neue Kodex (DCGK 2019) wurde beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 23. Januar 2020 eingereicht und wird voraussichtlich Anfang Februar im Bundesanzeiger veröffentlicht, womit der DCGK 2019 für alle künftigen turnusmäßigen Entsprechenserklärungen gilt.


Konsultationsverfahren hat sich bewährt

Vor Betrachtung von Form und Inhalt des DCGK 2019 kann man festhalten, dass sich das von der Kodexkommission erstmals zur Vorgängerfassung vom 7. Februar 2017 (DCGK 2017) angewandte Konsultationsverfahren bewährt hat. Diverse Stellungnahmen wurden im Rahmen dieses Verfahrens eingereicht und bei der finalen Fassung des DCGK 2019 auch berücksichtigt. Dies betrifft insbesondere die Streichung des ursprünglich vorgesehenen sog. „Apply and Explain“-Ansatz, wonach Emittenten nicht nur bei Abweichung von Empfehlungen die Nichtbefolgung zu begründen haben (comply or explain), sondern auch dargestellt werden sollte, wie die eingehaltenen Empfehlungen befolgt werden. Der entsprechende Passus hatte nach erheblich negativen Reaktionen keinen Eingang in die finale Fassung des DCGK 2019 gefunden. Das Konsultationsverfahren hat mit diesem und anderen Beispielen gezeigt, dass die Kodexkommission durchaus offen für den Dialog mit Emittenten ist.

Strukturelle Änderungen – die neue Form des DCGK

Der DCGK 2019 zeigt sich insgesamt in neuem Gewand. Im Interesse der Lesbarkeit erfolgt die Gliederung nunmehr nach Aufgabenbereichen: (A) Leitung und Überwachung, (B) Besetzung des Vorstands, (C) Zusammensetzung des Aufsichtsrats, (D) Arbeitsweise des Aufsichtsrats, (E) Interessenkonflikte, (F) Transparenz und externe Berichterstattung, (G) Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat. Die neue Struktur soll damit auch die Klarheit und Verständlichkeit des Kodex verbessern. Dazu trägt sicher bei, dass Empfehlungen nunmehr nummeriert und vom übrigen Kodex abgesetzt sind.

Inhaltliche Änderungen – Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit im Aufsichtsrat

Inhaltlich hat sich die Kommission auf im Wesentlichen zwei Themenschwerpunkte fokussiert: die Vorstandsvergütung und die Unabhängigkeit im Aufsichtsrat. Während das Thema Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern durchaus einer Präzisierung bedurfte, fragt es sich vor dem Hintergrund der umfassenden gesetzlichen Neuregelungen durch ARUG II, warum zusätzliche Empfehlungen zur Vorstandsvergütung in die Neufassung aufgenommen wurden. Hier wäre es sicher konsequent gewesen, das Thema als abschließend vom Gesetzgeber geregelt zu behandeln und nicht durch neue, zusätzliche Anforderungen die ohnehin komplexe Gesetzeslage noch um einen separaten Aspekt zu erweitern. Im Einzelnen:

Empfehlung für Beschränkung von Aufsichtsratsmandaten

Der DCGK 2019 empfiehlt, dass Aufsichtsratsmitglieder künftig maximal fünf Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen wahrnehmen sollen, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt (C.4 DCGK 2019). Amtierende Vorstandsmitglieder börsennotierter Unternehmen sollen insgesamt maximal zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen und darüber hinaus überhaupt keinen Aufsichtsratsvorsitz (C.5 DCGK 2019). Der DCGK 2019 verschärft damit deutlich die gesetzlichen Vorgaben des § 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG, der eine Höchstgrenze von 10 Aufsichtsratsmandaten vorsieht. Die bisherige Empfehlung, wonach sich der Aufsichtsrat für seine Vorschläge zur Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder bei den jeweiligen Kandidaten vergewissern soll, dass diese den zu erwartenden Zeitaufwand aufbringen können, entfällt (vgl. Ziff. 5.4.1 Abs. 5 DCGK 2017). Die Formulierung von starren Vorgaben erscheint in Zeiten zunehmender Anforderungen an das Aufsichtsratsmandat folgerichtig – wer kann schon im Aufsichtsrat 10 verschiedener Gesellschaften das volle Spektrum der Organpflichten abdecken? Zudem findet sich auch in der neuen Empfehlung eine Konzernklausel, sodass keine rein konzerninternen Mandate mitgezählt werden. Die Kehrseite liegt auf der Hand: es bleibt kein Raum für die Berücksichtigung des Arbeitsanfalls beim konkreten Aufsichtsratsmitglied bzw. dem einzelnen Mandat (große vs. kleine Gesellschaften, Ausschussvorsitze, Krisen- und Sondersituationen).

Unabhängigkeit von Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Konkretisierung der Anforderungen an die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Empfehlungen für die Unabhängigkeit beziehen sich nunmehr ausdrücklich nur auf Anteilseignervertreter, eine zu begrüßende Klarstellung. Diesbezüglich heißt es, dass dem Aufsichtsrat auf Anteilseignerseite eine nach deren Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören sollen, wobei die Eigentümerstruktur zu berücksichtigen ist (C.6 Abs. 1 DCGK 2019). Damit ist klar, dass auch weiterhin das Aufsichtsratsgremium selbst darüber befindet, was eine „angemessene“ Anzahl unabhängiger Mitglieder in der konkreten Situation der Gesellschaft bedeutet.

Wesentlich kontroverser und problematischer ist vor diesem Hintergrund die neue Empfehlung in C.7 DCGK 2019. Demnach soll die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder unabhängig von der Gesellschaft und dem Vorstand sein. Zwar obliegt die Beurteilung der Unabhängigkeit auch hier wieder zuvorderst dem Aufsichtsratsgremium. Allerdings liefert der Kodex selbst eine Unabhängigkeitsdefinition. Als unabhängig gilt, wer „in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“. Bereits aus Perspektive des Aktiengesetzes ist einem nach dieser Definition abhängigen Aufsichtsratsmitglied dringend zum Rücktritt von seinem Amt zu raten – wer Gefahr läuft, in einen dauerhaften, wesentlichen Interessenkonflikt zu geraten, sollte nicht Mitglied des Aufsichtsrats einer börsennotierten Aktiengesellschaft sein.

Der DCGK 2019 gibt zudem insgesamt vier Indikatoren vor, die aus Sicht der Kommission fehlende Unabhängigkeit vermuten lassen. Bei Vorliegen von einem dieser Indikatoren ist indes noch nicht die fehlende Unabhängigkeit belegt, vielmehr muss der Aufsichtsrat (bei mitbestimmten Gesellschaften nur die Anteilseignervertreter) sich mit diesem Indikator auseinandersetzen und für den Fall, dass weiterhin die Unabhängigkeit angenommen wird, eine Begründung hierfür in die Erklärung zur Unternehmensführung aufnehmen (Empfehlung C.8 DCGK 2019). Bemerkenswert ist auch, dass eine Zugehörigkeitsdauer von mehr als 12 Jahren nunmehr die Abhängigkeit von der Gesellschaft indiziert. Der DCGK 2019 verzichtet insoweit zwar auf eine Empfehlung zur Höchstdauer eines Aufsichtsratsmandats, macht eine sehr lange andauernde Zugehörigkeit allerdings zu einem unabhängigkeitsschädlichen Kriterium. Insgesamt bietet diese „Empfehlungstrias“ C.6 bis C.8 einigen Diskussionsstoff und im Ergebnis wohl leider auch Störpotential, etwa für Anfechtungskläger. Es bleibt hierbei zu hoffen, dass die Justiz wie bislang die Einschätzungshoheit des Aufsichtsrats hochhält und diese nicht durch volle juristische Überprüfbarkeit aushöhlt.

Vorstandsvergütung

Wer die Hoffnung hegte, der DCGK 2019 würde im Lichte der allumfassenden Neuregelung durch das ARUG II das Thema Vorstandsvergütung umschiffen und dies den Gesetzgeber abschließend regeln lassen, sieht sich getäuscht. Dabei hätten gute Argumente dafür gesprochen, dass Aufsichtsrat und Hauptversammlung im Zusammenspiel mit den umfassenden Informationspflichten zum Vergütungssystem in der Lage sein werden, für die konkrete Gesellschaft ein „passendes“ und guter Corporate-Governance entsprechendes System der Vorstandsvergütung zu finden.

Neben bekannten Empfehlungen, die fortgelten (etwa das Abfindungs-Cap, G.13 DCGK 2019), modifiziert bzw. spezifiziert der neue Kodex also auch die neu eingefügten gesetzlichen Regelungen des ARUG II. Insbesondere das Thema Ziel- und Maximalvergütung für jedes einzelne Vorstandsmitglied sowie der Üblichkeitsvergleich (G.3 und G.4) wird von Empfehlungen abgedeckt, die nunmehr neben den gesetzlichen Neuerungen zu berücksichtigen sind.

Vereinfachung der Berichterstattung über Corporate Governance beschlossen

Zum inhaltlichen Schluss gibt es dann doch noch eine begrüßenswerte Neuerung: Der Corporate Governance-Bericht (Ziff. 3.10 DCGK 2017) entfällt ersatzlos. Zentrales Berichtselement zur Corporate Governance ist damit die Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289f HGB.

Zu guter Letzt: Wann und in welchen Fällen ist eine neue Entsprechenserklärung erforderlich?

Viele Emittenten haben noch Ende des Jahres 2019 oder zu Beginn des Jahres 2020 unter Geltung des DCGK 2017 ihre letzte turnusmäßige Entsprechenserklärung abgegeben. Das Inkrafttreten des DCGK 2019 löst keine unterjährige Erklärungs- bzw. Aktualisierungspflicht aus. Erstmals relevant werden die Empfehlungen des DCGK 2019 daher für die meisten Emittenten erst bei Abgabe der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung. Den Emittenten bleibt es natürlich unbenommen, sich auch unterjährig bereits zum neuen DCGK 2019 durch eine vollständig neue Entsprechenserklärung zu verhalten.

Besonderheiten gelten, wenn sich Emittenten dazu entschließen, von der abgegebenen jährlichen Entsprechenserklärung abzuweichen. Maßgeblich für die Frage, ob eine Abweichung vorliegt ist noch die Altfassung des DCGK. Eine etwa erforderliche Abweichungserklärung muss sich ebenfalls noch auf die zum Erklärungszeitpunkt gültige Fassung beziehen, wobei vorsorglich auch auf die Neuregelung des DCGK 2019 eingegangen werden sollte. Dies ist etwa dann zu beachten, wenn der Wegfall des Corporate Governance-Berichts durch den neuen Kodex bereits im Rahmen des Jahresabschlusses 2019 berücksichtigt werden soll: Hat ein Emittent erklärt, der Empfehlung aus Ziff. 3.10 DCGK 2017 entsprechen zu wollen und erstattet aufgrund des Wegfalls der Empfehlung im neuen DCGK 2019 keinen Corporate Governance-Bericht mehr, liegt hierin eine Abweichung von der turnusmäßigen Entsprechenserklärung, die eine Abweichungserklärung erforderlich macht.

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