18. März 2019

Corporate & Capital Markets Monthly: Aktuelles zur Hauptversammlung

Der BGH hat in seiner Leitsatzentscheidung vom 9. Oktober 2018 (Az.: II ZR 78/17) zu zwei umstrittenen und höchstrichterlich bislang ungeklärten Fragen des Aktienrechts Stellung genommen. Im konkreten Fall ging es um die Zulassung von Aktionären, die sich verspätet, d.h. nach Ablauf der 6-tägigen Anmeldefrist, zur Hauptversammlung angemeldet haben sowie um die Folgen einer Abweichung des Vorschlags zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern von der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG zu den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“).

1. Sachverhalt

Der Entscheidung lag eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage verschiedener Aktionäre gegen einen Beschluss zur Wahl von zwei Aufsichtsratsmitgliedern zugrunde. Neben den beiden Kandidaten der Verwaltung wurde von Seiten der Aktionäre ein dritter Kandidat zur Wahl vorgeschlagen. In einem ersten Wahlgang wurde einer der Kandidaten der Verwaltung und der Kandidat der Aktionäre zur Wahl gestellt, wobei der Verwaltungskandidat mehr Ja-Stimmen erhielt. In einem zweiten Wahlgang wurde der zweite Verwaltungskandidat mit der erforderlichen Mehrheit gewählt. Nach Abweisung der Klage und Zurückweisung der klägerischen Berufung hatte die Revision der Kläger Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Sachverhaltsfeststellung.

(a) Zulassung von Aktionären trotz verspäteter Anmeldung

Die Einladung zur Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft enthielt als Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts die übliche Angabe, dass nach der Satzung nur diejenigen Aktionäre hierzu berechtigt sind, die sich innerhalb einer Frist von mindestens sechs Tagen vor der Hauptversammlung anmelden und der Gesellschaft einen Nachweis ihres Anteilsbesitzes übermitteln. Mehrere Aktionäre meldeten sich erst nach Ablauf der Frist zur Hauptversammlung an, wurden jedoch von der Gesellschaft zur Hauptversammlung zugelassen. Der BGH hat dieses Vorgehen als nicht rechtens erachtet und die Sache mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe die erforderlichen Feststellungen zur Kausalität der unzulässigerweise durch die verspäteten Aktionäre abgegebenen Stimmen für die gefassten Beschlüsse durch die unberechtigte Zulassung noch nicht getroffen.

(b) Verstoß des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats gegen den DCGK

Als einer der Tagesordnungspunkte war die Neuwahl von zwei Mitgliedern des Aufsichtsrats vorgesehen. Der Aufsichtsrat schlug K und einen weiteren Kandidaten zur Wahl vor. In der Einladung wurde darauf hingewiesen, dass K bei vier Aktiengesellschaften Mitglied des Aufsichtsrats und bei drei davon Aufsichtsratsvorsitzender sei sowie Verwaltungsratsvorsitzender einer börsennotierten Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts. Nach ihrer Entsprechenserklärung entsprach die Beklagte den Empfehlungen in Ziffer 5.4.5 des DCGK, wonach derjenige, der dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder in Aufsichtsgremien von konzernexternen Gesellschaften wahrnehmen soll, die vergleichbare Anforderungen stellen. Nach Auffassung des BGH war die Wahl von K zum Aufsichtsratsmitglied nicht wegen eines Verstoßes gegen die Entsprechenserklärung anfechtbar. Auch gegen das in zwei Abstimmungsgängen erfolgte Wahlverfahren bestanden keine Bedenken.

2. Entscheidung

(a) Zulassung von Aktionären trotz verspäteter Anmeldung

Nach Auffassung des BGH ist der Wahlbeschluss des Aufsichtsrats wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar. Die Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist zur Stimmrechtsausübung verstieße gegen das Gleichbehandlungsgebot für Aktionäre. Der BGH hat dabei offengelassen, ob ein Aktionär, der die in der Einladung zur Hauptversammlung genannte Anmelde- oder Nachweisfrist versäumt hat, grundsätzlich nicht nachträglich zugelassen werden darf oder ob die Gesellschaft einseitig auf die Einhaltung der gesetzlichen Fristen verzichten kann. Wenn jedoch – wie im vorliegenden Fall – die Einladung ausdrücklich darauf hinweist, dass sich der Aktionär innerhalb der Anmeldefrist anmelden und den Nachweis erbringen muss, verstößt die Gesellschaft bei Zulassung von nachträglich angemeldeten Aktionären gegen den aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG). Andere nicht ordnungsgemäß angemeldete Aktionäre würden aufgrund der Gestaltung der Einladung erst gar nicht Zutritt zur Hauptversammlung verlangen, da nicht erkennbar gewesen sei, dass die Gesellschaft auf die Einhaltung der Frist verzichten würde.

(b) Verstoß des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats gegen den DCGK

Eine Abweichung des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats von den Empfehlungen des DCGK beeinflusst nach Auffassung des BGH nicht die Wirksamkeit der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung. Das Abweichen von Anregungen oder Empfehlungen des DCGK selbst ist kein Verstoß gegen Gesetz oder Satzung. Ein zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen führender Gesetzesverstoß kann vorliegen, wenn die Entsprechenserklärung in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig ist oder bei einer später eintretenden Abweichung nicht umgehend berichtigt wird. Nach einer Rechtsauffassung ist der Wahlvorschlag des Aufsichtsrats bereits nichtig, wenn es bei vorschlagsgemäßer Wahl in der Hauptversammlung zu einer bisher nicht erklärten Abweichung vom DCGK kommen würde. Die Gegenauffassung, der sich nunmehr auch der BGH angeschlossen hat, trennt eine etwaige Pflicht zur Aktualisierung der Entsprechenserklärung rechtlich von der Wirksamkeit der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag. Vor Annahme der Wahl durch den Kandidaten verstoße die Gesellschaft noch nicht gegen die Kodex-Empfehlung. Somit bestünde im Moment der Beschlussfassung des Aufsichtsrats auch noch keine Aktualisierungspflicht, da die Abweichung noch nicht eingetreten sei. Gegen eine Aktualisierungspflicht im Moment des Wahlbeschlusses des Aufsichtsrats spreche zudem, dass neben dem Aufsichtsrat auch der Vorstand diese Erklärung abzugeben hätte. Ein für die Wahlentscheidung der Hauptversammlung relevanter Verstoß gegen Informationspflichten liege ebenfalls nicht vor.

3. Praxishinweis

Ist die Einladung zur Hauptversammlung aufgrund des satzungsmäßig geltenden Fristenregimes geeignet, Aktionäre davon abzuhalten, sich nach Fristablauf noch anzumelden (was bei den praxisüblichen Formulierungen regelmäßig der Fall ist), so benachteiligt die Zulassung einzelner verspätet angemeldeter Aktionäre diejenigen, die sich an die Vorgaben der Einladung halten. Der BGH hat in seiner Urteilsbegründung jedoch erkennen lassen, dass Aktiengesellschaften die Anmelde- und Nachweisfristen in der Einladung, und somit regelmäßig auch in der Satzung, offener gestalten können. Zu denken wäre hier an eine Soll-Vorschrift oder einen Vorbehalt, wonach sich die Gesellschaft eine nachträgliche Zulassung von verspäteten Aktionären vorbehält. Dies könnte zwar Aktionären entgegenkommen, die sich z.B. aufgrund eines Versehens ihrer Depotbank nicht rechtzeitig anmelden konnten. Aus organisatorischen Gründen erscheint eine solche Lockerung jedoch für Publikumsgesellschaften nicht empfehlenswert, da die Person und Anzahl der Teilnehmer nicht mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf für die Gesellschaften ersichtlich wären. Hinzu kommt, dass viele Satzungen eine Verkürzung der Anmelde- und Nachweisfrist zulassen, was die Zeitspanne für die Anmeldung zu Gunsten der Aktionäre ausdehnen würde. Versäumnisse der einzelnen Depotbank verbleiben grundsätzlich in der Risikosphäre des betroffenen Aktionärs und vermögen eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht zu rechtfertigen. Will ein Aktionär möglichst hohe Sicherheit hinsichtlich einer fristgemäßen Anmeldung erhalten - zu denken ist hier vor allem an einen Großaktionär - ist es in aller Regel zumutbar, die Anmeldung in enger Abstimmung mit der Depotbank vorzunehmen oder direkt unter Beifügung des Aktionärsnachweises bei der Gesellschaft unter den in der Einladung angegebenen Kontaktinformationen zu adressieren und die Gesellschaft um Bestätigung des Erhalts zu bitten.

Mit seiner zweiten Leitsatzentscheidung ging es dem BGH darum, die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen Abweichungen eines Wahlvorschlags des Aufsichtsrats von den Kodex-Empfehlungen einzuschränken. In Folge kann der Aufsichtsrat wirksam einen Wahlvorschlag unterbreiten und die Hauptversammlung einen wirksamen Wahlbeschluss fassen, obwohl der Wahlvorschlag im Widerspruch zur Entsprechenserklärung der Gesellschaft steht. Dies ist aus Sicht der börsennotierten Unternehmen zu begrüßen und trägt zu einer deutlichen Erhöhung der Rechtssicherheit bei. In der Vergangenheit wurden Klagen gegen Wahlbeschlüsse immer wieder mit mutmaßlichen Verstößen gegen die Empfehlungen des DCGK begründet, von denen die betroffene Gesellschaft keine Abweichung erklärt hat. Dies führte in den entsprechenden Verfahren dazu, dass ein zum Teil langwieriger Streit über das Verständnis und die Auslegung einzelner Empfehlungen entstand (z.B. Neutralitätsanforderungen, Mitgliedschaften in anderen Gremien, Übereinstimmung des Wahlvorschlags mit den Zielen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats) und aus Gründen der Rechtssicherheit entweder die Wahl wiederholt oder aber das betroffene Aufsichtsratsmitglied nach vorsorglicher Amtsniederlegung gerichtlich bestellt wurde. Im letzteren Fall übertrug sich dann der Streit aus dem Anfechtungsverfahren oftmals auch in das Antragsverfahren nach § 104 AktG. Diese Belastungen für die Gesellschaften dürften in Zukunft durch die Rechtsprechung des BGH deutlich zurückgehen. Gleichzeitig betont der BGH aber erneut, dass ein Entlastungsbeschluss anfechtbar sein soll, wenn die Entsprechenserklärung in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig ist oder bei späterem Eintritt nicht umgehend berichtigt wird. Von dem Mehr an Rechtssicherheit für die Aufsichtsratswahl ungeachtet könnte sich damit der Aufsichtsrat im Rahmen des Entlastungsbeschlusses in der darauffolgenden Hauptversammlung dennoch mit der Frage konfrontiert sehen, ob eine bewusst herbeigeführte Abweichung von der Entsprechenserklärung einen nicht unwesentlichen Punkt betraf.

 

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