Autor

Dr. Friedrich Goecke

Salary Partner

Read More
Autor

Dr. Friedrich Goecke

Salary Partner

Read More

6. September 2018

Dem Arbeitgeber mal so richtig die Meinung sagen!

Zur Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Schmähkritik.


I. Einleitung

Laut einer aktuellen Umfrage des Portals „statista“ ist ein „Freundschaftliches Arbeitsklima“ noch vor der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, der „Arbeitsplatzsicherheit“ oder der „Vergütung“ für Studenten das wichtigste Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers. Ein solches Arbeitsklima wird der Arbeitnehmer aus der hier besprochenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2018 (1 BvR 1149/17) seinem Arbeitgeber wohl nicht bescheinigen. Nach einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung holte er zum verbalen Rundumschlag gegen diesen aus. Hierin sahen die Arbeitsgerichte eine Schmähkritik, die zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigte – das Bundesverfassungsgericht hingegen nicht.

II. Sachverhalt

Der Arbeitnehmer hatte zunächst in einer Betriebsratswahl ein Mandat erlangt, die Arbeitgeberin stellte ihn jedoch – nachdem die Nichtigkeit der Wahl festgestellt worden war – aus hiervon unabhängigen Gründen von seiner Arbeitsleistung frei und kündigte das seit mehreren Jahren bestehende Arbeitsverhältnis. Daraufhin ließ der Arbeitnehmer im Betrieb ein Schreiben ausgeben. Darin warf er einem namentlich benannten Betriebsleiter unter anderem vor, Beschäftigte „wie Zitronen auszupressen“, Alte, Kranke und „Verschlissene“ gegenüber Gesunden und Jungen oder auch Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte gegenüber der Stammbelegschaft „auszuspielen“. Überhaupt werde mit den Hoffnungen von entliehenen oder befristet Beschäftigten „brutal gespielt“. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, ein zweites Mal. Nachdem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zwar nicht die außerordentliche, wohl aber die ordentliche Kündigung für wirksam erachtet hatten, zog der Arbeitnehmer vor das Bundesverfassungsgericht und rügte eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit.

III. Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht befasste sich ausführlich mit der verfassungsrechtlichen Bewertung des vom Beschwerdeführer verfassten „Brandschreibens“ im Lichte der Meinungsfreiheit. Das Schreiben habe das Landesarbeitsgericht zu Unrecht als unzulässige Schmähkritik bewertet, befanden die Karlsruher Richter.

Eine Schmähung sei eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Wesentliches Merkmal der Schmähung sei eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Allein in dem sinngemäßen Vorwurf an einen Vorgesetzten, ein „Ausbeuter“ zu sein, liege keine Schmähkritik, denn, so betont das Gericht, sachbezogene Auseinandersetzungen dürften vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit durchaus scharf geführt werden. Das Bundesverfassungsgericht erkannte für jeden der Angriffspunkte einen (jedenfalls potentiellen) Sachbezug: Die Rücksichtslosigkeit gegenüber prekär beschäftigten Mitarbeitern sei etwa im Kontext einer Diskussion über die betriebliche Übernahmepraxis ebendieser Mitarbeiter kritisiert worden und der Vorwurf, Mitarbeiter würden „wie Zitronen ausgepresst“, sei möglicherweise vor dem Hintergrund der Kaffeepreise am betrieblichen Getränkeautomaten gefallen. Ferner fehle ein Sachbezug auch nicht deshalb, weil sich der Beschwerdeführer hier nach Nichtigkeit der Betriebsratswahl keiner informationsbedürftigen „Wählerschaft“ habe gegenübersehen können. Vielmehr sei zu berücksichtigen, ob die Kritik von Beschäftigten geäußert werde, die sich für einen Betriebsrat zur Wahl stellten oder als Mitglieder des Gremiums tätig geworden seien. Schließlich sei auch die Aussage, der Arbeitgeber habe mit bestimmten Hoffnungen „brutal gespielt“, zugunsten der Meinungsfreiheit nicht zwingend als Charakterisierung des Verhaltens einer Person zu werten, sondern lasse sich auch als Verweis auf eine als schmerzhaft erlebte Enttäuschung der Betroffenen verstehen. Jedenfalls seien die Arbeitsgerichte in einem Kündigungsschutzverfahren gehalten, derartige mögliche Deutungen grundrechtsschützend zu berücksichtigen.

Im Ergebnis half dies alles dem betroffenen Arbeitnehmer wenig. Das Landesarbeitsgericht hatte sich nämlich argumentativ eine Hintertür offengelassen: Die Äußerung des Arbeitnehmers, selbst wenn sie keine Schmähkritik sei, habe zumindest erheblich ehrenrührig gewirkt und – wie vom Arbeitnehmer geplant – in der bereits aufgeheizten betrieblichen Situation für eine massive Störung des Betriebsfriedens gesorgt. Da ein solches Verhalten gegenüber der Arbeitgeberin nicht zumutbar sei, sei die Kündigung auch unabhängig von dem Charakter der Aussagen als Schmähkritik wirksam. Diese Bewertung, so das Bundesverfassungsgericht, sei auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit vertretbar.

IV. Praxistipp

Der Arbeitgeber muss Schmähungen seines Arbeitnehmers nicht hinnehmen. Sobald aber der verbale Angriff einen möglichen Sachbezug vorweist, spielt in der kündigungsrechtlichen Bewertung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eine entscheidende Rolle. Ob der Beschwerdeführer hier die Bewertung, Mitarbeiter würden „wie Zitronen ausgepresst“, tatsächlich vor dem Hintergrund hoher Kaffeepreise fand, mag man bezweifeln. Sofern eine dahingehende Auslegung möglich ist, muss der Arbeitnehmer nicht fürchten, seine Aussage werde als Schmähung gewertet. Der vorliegende Fall sollte aber auch den Arbeitnehmer zur Vorsicht mahnen: Die Kündigung war trotz der verfassungsrechtlich fehlerhaften Bewertung seiner Aussagen rechtmäßig: Neben dem (kassierten) Vorwurf, der Arbeitnehmer habe Schmähkritik geübt, stand auch der Vorwurf im Raum, der Arbeitnehmer habe durch ehrenrührige Äußerungen planmäßig den Betriebsfrieden massiv gestört. Auf diesen Vorwurf konnte die Kündigung – auch vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit – gestützt werden.

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Employment, Pensions & Mobility

Gendern im Rechtsverkehr – der kurze Weg von der falschen Anrede zum Schadensersatz

26. Januar 2024
Briefing

von Dr. Katrin Gratzfeld und Dr. Friedrich Goecke

Klicken Sie hier für Details
Employment, Pensions & Mobility

Der Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung und was er (in seiner jetzigen Form) bedeutet

Der Gesetzesentwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Wir beantworten erste Fragen.

25. April 2023
Briefing

von mehreren Autoren

Klicken Sie hier für Details
Employment, Pensions & Mobility

Die Betriebsratswahl aus Arbeitgebersicht

Neues und Überraschendes für die Wahlen 2022

27. Januar 2022
In-depth analysis

von Dr. Friedrich Goecke

Klicken Sie hier für Details