25. Juli 2025
Das E-Commerce-Recht unterliegt dynamischen Änderungen, die Online-Anbieter vor neue Herausforderungen bei Barrierefreiheit, Preisgestaltung und Verbraucherschutz stellen. Seit Juni 2025 erzwingt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umfassende Anpassungen, während neue Urteile die Regeln für Rabattaktionen deutlich verschärfen. Zukünftige Vorhaben wie der Digital Fairness Act und ein verpflichtender Widerrufsbutton deuten auf eine weitere Verschärfung der regulatorischen Anforderungen hin.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie (European Accessibility Act – EAA) in deutsches Recht um. Seit dem 28. Juni 2025 sind Unternehmen nach dem BFSG verpflichtet, bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefrei auszugestalten. Im eCommerce betrifft das insbesondere alle Online-Shops, Buchungs- und Immobilienportale und vergleichbare digitale Angebote, sofern diese auf den Abschluss von Verträgen mit Verbrauchern abzielen. Damit fällt ein Großteil der Online-Handelsplattformen sowie Hersteller und Händlerinnen, die online direkt an Verbraucherinnen verkaufen, in den Anwendungsbereich des BFSG.
Konkret bedeutet das: Websites, mobile Apps, digitale Kundenkommunikation (z. B. Chat- und Kontaktformulare), Zahlungsprozesse sowie elektronische Vertragsabschlüsse müssen barrierefrei nutzbar sein. Soweit noch nicht geschehen, sollten Unternehmen schnellstens erforderliche Anpassungen vornehmen, um Abmahnrisiken zu beseitigen. Es drohen auch aufsichtsbehördliche Maßnahmen, wobei die Herangehensweise der Aufsichtsbehörde noch unklar ist. Wenn ein eigenes Angebot noch nicht den Vorgaben des BFSG genügt, besteht jedenfalls die bußgeldbewährte Pflicht, dies der zuständigen Aufsichtsbehörde mitzuteilen.
Zur Herstellung von Compliance erforderlich sind insbesondere eine Barreirefreiheitserklärung und die Einhaltung einschlägiger Standards wie der EN 301 549 (neueste Version wird im Sommer 2026 erwartet) sowie Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2. Empfehlenswert ist es zudem, Barrierefreiheit frühzeitig in Entwicklungsprozesse zu integrieren („Accessibility by Design“) und interne Zuständigkeiten klar zu definieren, um Haftungs- und Reputationsrisiken zu minimieren.
Weitere Informationen zur zuständigen Marktüberwachungsbehörde, Ausnahmen und konkreten Barrierefreiheitsanforderungen nach dem BFSG können Sie auch in unserem Beitrag nachlesen sowie in unserer Podcastfolge oder unserem Webinar (englisch) zum BFSG erfahren.
Seit dem 20. Juli 2025 ist die OS-Plattform der EU endgültig abgeschaltet. Online-Händler sollten nun alle Links und Hinweise auf die OS-Plattform von ihren Websites entfernen.
Zweck der Plattform war es, das Vertrauen in den EU-Binnenmarkt und damit den grenzüberschreitenden Online-Handel stärken, indem sie Verbrauchern und Online-Händlern eine zentrale Anlaufstelle zur Einleitung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens für Konflikte bei Online-Käufen bot.
Näheres zu den Hintergründen und einen Ausblick auf mögliche Neuerungen schildern wir hier.
Verstöße gegen die Preisangabenverordnung (PAngV) bergen bekanntermaßen stets ein Abmahnrisiko. Mit der PAngV setzt Deutschland diverse EU-Richtlinien um. Seit Mai 2022 gilt eine neue Fassung.
Ende September 2024 hatte der Europäische Gerichtshof Vorgaben gemacht, wie die „30-Tage-Tiefstpreis“-Regel, anzuwenden ist (Urteil vom 26.September 2024, C-330/23). Diese schreibt vor, wie Händler den Vergleichspreis für einen Rabatt angeben müssen und wie Rabatte zu berechnen sind.
Zusammengefasst gilt Folgendes:
Das bedeutet, dass jede Rabattaktion einen neuen, niedrigeren Referenzpreis für die Zukunft setzt und so nachfolgende Aktionen erschwert.
Nun hat der BGH, welcher den EuGH im o.g. Verfahren zur Auslegung von Art. 6a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 98/6/EG vorbefasst hatte, im zugrunde liegenden Verfahren (I ZR 183/24) mündlich verhandelt. Ein Urteil ergeht voraussichtlich am 9. Oktober 2025 und wird mehr Klarheit bringen, welche konkreten Rabattpreisgestaltungen als (un)zulässig anzusehen sind.
EU-Verbraucher sollen im digitalen Raum besser geschützt werden. Dafür kündigte die europäische Kommission bereits Ende 2024 den Digital Fairness Act an. Hintergründe sowie Informationen zu dem geplanten Vorhaben haben wir bereits in diesem Beitrag zusammengefasst. Zwar ist ein konkreter Entwurf erst für 2026 zu erwarten, doch seit dem 17. Juli 2025 läuft nun eine öffentliche Konsultation. Bürger sowie Interessenvertreter sollen damit die Möglichkeit erhalten, bis zum 9. Oktober 2025 ihre Einschätzungen und Empfehlungen einzubringen und so den Gesetzgebungsprozess aktiv mitzugestalten.
Im Mittelpunkt der Konsultation steht die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken im digitalen Raum, insbesondere im Zusammenhang mit Dark Patterns, irreführendem Influencer-Marketing, sogenannten „Addictive Designs“, also bewusst gestalteten Elementen, die Nutzerinnen und Nutzer zu längerem Verweilen oder häufigerer Nutzung verleiten, sowie unlauteren Personalisierungspraktiken. Zudem soll die Konsultation dazu beitragen, einen fairen Wettbewerb für Online-Händler zu gewährleisten und die Durchsetzung der Regelungen durch die zuständigen Behörden erleichtern.
Parallel zur Konsultation hat die Kommission zudem eine Studie in Auftrag gegeben, die die Folgenabschätzung (Impact Assessment) zum künftigen Digital Fairness Act unterstützen soll. In einer solchen Folgenabschätzung wird geprüft, ob ein Tätigwerden der EU erforderlich ist und welche Auswirkungen mögliche Regelungsansätze hätten.
Pressemitteilungen zufolge bezieht sich die Studie unter anderem ebenfalls auf Dark Patterns und Addictive Designs sowie auf Funktionen in Videospielen, Preisgestaltungstaktiken, das Verhalten von Influencern und auf digitale Verträge. Konkret untersucht werden etwa:
Auch in Deutschland kommt dem Schutz von Verbrauchern vor unlauteren Geschäftspraktiken im Internet eine zentrale Bedeutung zu. Gerichte befassen sich zunehmend mit manipulativen Gestaltungen, insbesondere im Kontext von Online-Käufen. So etwa das Landgericht Berlin in einer Entscheidung vom 11. Februar 2025 (Az. 15 O 287/24, nicht rechtskräftig) zu aggressiven geschäftlichen Handlungen im Sinne des § 4a UWG. Das Gericht sah in dem Fall eine unzulässige Beeinflussung von Verbrauchern durch die konkrete Ausgestaltung der Webseite, die Notwendigkeit, weitere Angebote zweifach wegzuklicken, den verwendeten Wortlaut sowie die Auslösung von Zeitdruck beim Nutzer.
Die zunehmende regulatorische Aufmerksamkeit und die verstärkte Auseinandersetzung der Gerichte zeigen: Der Handlungsdruck steigt. Die geplanten Regelungen könnten weitreichende Veränderungen mit sich bringen. Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen – von E-Commerce über Gaming bis hin zu Social Media – müssen sich auf deutlich strengere Anforderungen einstellen. Für sie ist es daher ratsam, die Entwicklungen im Blick zu behalten und ihre Online-Angebote frühzeitig zu überprüfen.
Die EU-Kommission hat am 14. Juli 2025 Leitlinien zum Online-Schutz von Minderjährigen veröffentlicht. Sie konkretisieren die Anforderungen aus Artikel 28 Abs. 1 des Digital Services Act (DSA) und sollen die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen in digitalen Umgebungen verbessern. Die Leitlinien wurden im Rahmen eines breit angelegten Verfahrens erarbeitet, das eine öffentliche Konsultation, Stakeholder-Workshops im Oktober 2024 und Juni 2025 sowie die Zusammenarbeit mit weiteren Experten umfasste. Die Kommission wird die Leitlinien künftig als Maßstab zur Bewertung der DSA-Compliance heranziehen. Auch wenn sie rechtlich nicht bindend sind, werden sie eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung des DSA durch die nationalen Regulierungsbehörden spielen.
Die Leitlinien benennen konkrete Maßnahmen, die Plattformen ergreifen sollten, um Minderjährige vor Risiken wie schädigenden Inhalten, Cybermobbing, Suchtverhalten, Grooming und unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen. Die Empfehlungen gelten für alle Online-Plattformen, die Minderjährigen zugänglich sind, mit Ausnahme von Klein- und Kleinstunternehmen.
Konkrete Maßnahmen umfassen unter anderem:
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Methoden zur Altersüberprüfung, wobei insbesondere zwischen Altersschätzung und Altersverifizierung unterschieden wird. Die Leitlinien geben vor, dass Anbieter in diesem Zusammenhang ausschließlich Verfahren einsetzen sollten, die zuverlässig, genau, diskriminierungsfrei und möglichst nicht-invasiv sind. Zudem wird empfohlen, altersdifferenzierte Schutzmaßnahmen gezielt dort anzuwenden, wo konkrete Risiken für Minderjährige bestehen, anstatt den gesamten Dienst altersbedingt einzuschränken.
Im Zusammenhang mit technischen Lösungen, wird darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission aktuell eine Altersverifizierungslösung testet. Diese soll Altersprüfungen schon vor der Einführung des European Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) erleichtern, die bis 2026 geplant ist. Die Lösung soll als Referenz für ein konformes, gerätebasiertes Verfahren dienen.
Die Leitlinien stellen einen wichtigen Schritt zur Konkretisierung der Anforderungen aus Artikel 28 Abs. 1 des DSA dar. Sie zeigen auf, welche konkreten Schutzmaßnahmen von Online-Plattformen erwartet werden, um die Online-Sicherheit von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Auch wenn die Befolgung der Leitlinien formal nicht zwingend ist, kommt ihnen in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu – sowohl für eine Risikobewertung durch die Anbieter selbst als auch für die Aufsicht durch die nationalen Behörden. Anbieter sollten frühzeitig prüfen, inwieweit ihre Dienste Minderjährigen zugänglich sind, und ob die bestehenden Schutzmaßnahmen den Anforderungen des DSA gerecht werden.
In absehbarer Zukunft wird ein elektronischer Widerrufsfunktion für alle Fernabsatzverträge verpflichtend, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen werden. Die Einführung des verpflichtenden Widerrufs-Buttons wird durch eine Richtlinie der EU vorgeschrieben. Umgesetzt werden soll dies mit einer Änderung des Verbrauchervertrags- und Versicherungsvertragsrechts. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat das Bundesministerium der Justiz am 9. Juli 2025 vorgelegt. Das Gesetz wird Teil einer umfassenderen Gesetzgebung sein, die weitreichende Änderungen im E-Commerce vorsieht.
Online-Händler*innen werden sicherstellen müssen, dass Verbraucher einen Vertrag ebenso einfach widerrufen können, wie sie ihn abschließen. Die Widerrufs-Funktion muss ständig verfügbar, leicht zugänglich und eindeutig beschriftet sein, zum Beispiel mit "Vertrag widerrufen".
Diese Maßnahme zielt direkt darauf ab, sogenannte "Dark Patterns" zu unterbinden, die den Widerruf von Verträgen erschweren und somit den Verbraucherschutz erhöhen. Online-Händler*innen sind daher angehalten, ihre Benutzeroberflächen entsprechend anzupassen und sicherzustellen, dass der Widerrufs-Button den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Sobald der Gesetzesentwurf verabschiedet ist, werden Online-Händler*innen verpflichtet sein, die neuen Regelungen umzusetzen. Unternehmen sollten bereits jetzt mit den Vorbereitungen beginnen, um die Anforderungen fristgerecht erfüllen zu können.
Die aktuellen Entwicklungen im E-Commerce-Recht zeichnen ein klares Bild: Die regulatorische Dichte nimmt signifikant zu, und der Fokus verschiebt sich unverkennbar in Richtung eines umfassenden, proaktiven Verbraucherschutzes. Von der verpflichtenden barrierefreien Gestaltung nach dem BFSG über die durch Gerichte verschärften Transparenzgebote bei der Preisgestaltung bis hin zu den neuen DSA-Leitlinien zum Jugendschutz zieht sich die Stärkung der Nutzerrechte wie ein roter Faden durch alle Neuerungen. Diese Maßnahmen betreffen den gesamten Lebenszyklus eines digitalen Angebots – vom Design der Benutzeroberfläche über die Marketingstrategie bis hin zur Vereinfachung der Vertragsbeendigung.
Der Ausblick bestätigt diesen unumkehrbaren Trend. Mit dem geplanten Digital Fairness Act und der Einführung des verpflichtenden Widerrufsbuttons stehen bereits die nächsten weitreichenden Vorhaben in den Startlöchern. Diese zielen direkt darauf ab, manipulative Designs ("Dark Patterns") und unfaire Praktiken weiter einzudämmen. Für Unternehmen im digitalen Raum bedeutet dies, dass eine rein reaktive Haltung nicht mehr genügt. Eine strategische, vorausschauende Integration von Compliance-Anforderungen ("Accessibility & Fairness by Design") ist kein optionales Extra mehr, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, um empfindliche Bußgelder, kostspielige Abmahnverfahren und erhebliche Reputationsschäden zu vermeiden und die eigene Zukunftsfähigkeit im Markt zu sichern.
von Dr. Paul Voigt, Lic. en Derecho, CIPP/E und Alexander Schmalenberger, LL.B.