Autor

Alexander Devlin

Associate

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16. Juni 2023

EuGH-Generalanwalt Szpunar: Österreichisches Kommunikationsplattformen-Gesetz nicht mit europäischem Herkunftslandprinzip vereinbar

  • Briefing

Im Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Az. C-376/22 (Google Ireland Limited, Meta Platforms Ireland Limited, Tik Tok Technology Limited gegen Kommunikationsbehörde Austria (Komm Austria)) hat Generalanwalt am Gerichtshof Maciej Szpunar am 8. Juni 2023 seine Schlussanträge gestellt.

Er schlägt dem EuGH vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass EU-Mitgliedstaaten nur durch individuell-konkrete Maßnahmen vom Herkunftslandprinzip nach Art. 3 Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) eine Ausnahme machen können und den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus anderen Mitgliedstaaten nicht durch generell-abstrakte Regelungen beschränken dürfen.

Dem Vorabentscheidungsersuchen liegen verwaltungsrechtliche Klagen von Google, Meta Platforms und TikTok gegen Bescheide der Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) zugrunde. Diese hatte jeweils festgestellt, dass das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) auf die Unternehmen als Anbieter von Kommunikationsplattformen mit Sitz im Ausland anwendbar sei. Das KoPl-G ist, unabhängig vom Sitzland, auf alle Diensteanbieter, die Kommunikationsplattformen in Österreich anbieten, anwendbar. Es ist vergleichbar mit dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Das KoPl-G verpflichtet Anbieter von Kommunikationsplattformen, Melde- und Überprüfungsverfahren für angeblich rechtswidrige Inhalte einzurichten, Berichte über den Umgang mit solchen Meldungen zu veröffentlichen und einen verantwortlichen Beauftragten sowie einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen kann die KommAustria eine Geldstrafe verhängen.

Google, Meta Platforms und TikTok sind der Ansicht, dass die Verpflichtungen aus dem KoPl-G nicht auf sie anwendbar seien, da diese nicht mit dem in der E-Commerce-Richtlinie verankerten Herkunftslandprinzip vereinbar seien. Danach sind Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem des Mitgliedstaates unterworfen, in dem sie niedergelassen sind (Herkunftsstaat). Sie dürfen keine weiterreichenden Verpflichtungen in anderen Mitgliedsstaaten (Zielstaaten) auferlegt bekommen. Hiervon macht Art. 3 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie eine Ausnahme: Zielstaaten können Maßnahmen im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft ergreifen, sofern die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind. Der vorlegende österreichische Verwaltungsgerichtshof möchte wissen, ob unter einer solchen Maßnahme auch gesetzliche Maßnahmen generell-abstrakter Natur – wie das KoPl-G – fallen können, die sich auf allgemein beschriebene Kategorien bestimmter Dienste beziehen, ohne dass diese Maßnahmen in Bezug auf einen konkreten Einzelfall ergriffen werden.

Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass gesetzliche Maßnahmen generell-abstrakter Natur, die sich auf allgemein umschriebene Kategorien bestimmter Dienste der Informationsgesellschaft beziehen, ohne dass diese Maßnahmen in Bezug auf einen konkreten Einzelfall ergriffen werden, keine zulässige Ausnahme vom Herkunftslandprinzip sind. In seiner Analyse baut er auf seine Argumentation aus seinen Schlussanträgen in der Sache Airbnb Ireland (C-390/18, Rn. 129 ff.) auf. Er begründet seine Ansicht mit dem Schutzzweck, dem Wortlaut und der Systematik der E-Commerce-Richtlinie (vgl. Rn. 63 ff. der Schlussanträge zu C-376/22). Insbesondere hätten generell-abstrakte Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip eine Fragmentierung des Binnenmarktes zur Folge. Die Ausnahmevorschrift des Art. 3 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie sei eng auszulegen. Sie rechtfertige allein Maßnahmen, die sich auf einen bestimmten Dienst beziehen. Gesetzliche Maßnahmen generell-abstrakter Natur widersprächen der Logik der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift. Generalanwalt Szpunar kommt daher zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Maßnahmen generell-abstrakter Natur, die den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus anderen Mitgliedstaaten beschränken, unionsrechtswidrig sind.

Folgt der EuGH der Einschätzung des Generalanwalts, dürfte diese Rechtsprechung erheblichen Einfluss auf die Anwendbarkeit deutscher Rechtsvorschriften auf Dienste der Informationsgesellschaft (Internetintermediäre) haben. Beispielsweise müsste der Medienstaatsvertrag (MStV) in Bezug auf die Verpflichtungen für Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen auf den Prüfstand gestellt werden. Diese folgen nach § 1 Abs. 8 S. 1 MStV dem Marktortprinzip. Die Europäische Kommission vertrat dazu bereits in ihrer Mitteilung zum Entwurf des MStV vom 27. April 2020 die Ansicht, dass die Verpflichtungen nicht mit dem Herkunftslandprinzip vereinbar seien.

Auch durch die Geltung des Digital Services Act (DSA) ab dem 17. Februar 2024 bleibt die Frage zur Reichweite möglicher Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nach der E-Commerce-Richtlinie für Internetintermediäre relevant. Der DSA lässt die Anwendbarkeit der Richtlinie unberührt (vgl. Art. 2 Abs. 3 DSA). Nationale Gesetze, die die Tätigkeit von Internetintermediären berühren, müssen weiterhin im Einklang mit der E-Commerce-Richtlinie und dem darin verankerten Herkunftslandprinzip stehen. Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten beschränkt sich dabei nur auf nicht durch den DSA harmonisierte Aspekte.

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