Autor

Marie Diesbach

Senior Associate

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17. Februar 2022

„Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster“ – Zur Grenze der Vertraulichkeit unter Kollegen

  • Briefing

Beleidigt oder bedroht ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, folgt auf diesen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht selten die (außerordentliche) Kündigung. Eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg stellt nun anschaulich dar, welche arbeitsrechtlichen Folgen derartige Äußerungen für Arbeitnehmer auch im Falle eines mit einem Kollegen vertraulich geführten Gesprächs haben können.

Einleitung

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten kommt eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung auch dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer erheblich gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstößt.

Ernsthafte und nachhaltige Bedrohungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen solchen erheblichen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB dar und sind damit „an sich“ geeignet, auch eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Im Anschluss an die Feststellung einer solchen ernsthaften Drohung bedarf es im Einzelfall einer Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand. Im Falle besonders schwerer Pflichtverletzungen ist der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung entbehrlich, da der Arbeitnehmer von vorneherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und das Risiko des Verlusts seines Arbeitsplatzes damit bewusst in Kauf nimmt. In diesem Sinne entschied nun auch das ArbG Siegburg (Urt. v. 04.11.2021 – 5 Ca 254/21) bei einer gegen seinen Vorgesetzten gerichteten Äußerung eines Arbeitnehmers gegenüber seiner Kollegin.

Sachverhalt

Der Kläger war bei der beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. In einem vertraulichen Gespräch mit einer Kollegin äußerte er nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten über diesen: "Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vorm Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich." Die beklagte Arbeitgeberin sprach dem Kläger aus diesem Grund eine fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung aus. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Siegburg wies die Kündigungsschutzklage ab. Nach Vernehmung der Kollegin des Klägers als Zeugin hielt es die außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt. Durch seine Äußerungen habe der Kläger in ernstzunehmender Art und Weise eine Gefahr für Leib und Leben des Vorgesetzten sowie einen Amoklauf angekündigt. Obwohl der Kläger sich nach Kräften bemühte, darzustellen, dass die Zeugin ihn gänzlich falsch verstanden und er keine Bedrohungen ausgesprochen, sondern lediglich „Luft abgelassen“ habe, hatte das Gericht letztlich keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der von der Kollegin zitierten Drohungen.

Das Arbeitsgericht führte aus, dass nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08) im Rahmen der rechtlichen Würdigung einer diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerung über Vorgesetzte oder Kollegen die Umstände zu beachten seien, unter denen die jeweilige Äußerung gefallen sind. Werde eine solche Äußerung in einem vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen getätigt, vermöge sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer dürfe im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen und müsse deswegen auch nicht damit rechnen, dass durch diese der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet werde. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig seien, genießen in Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgehe. Hebe der Gesprächspartner später gegen den Willen des sich negativ äußernden Arbeitnehmers die Vertraulichkeit auf, gehe dies arbeitsrechtlich nicht zu Lasten des sich negativ äußernden Arbeitnehmers.

Vorliegend sei aber nicht die mögliche Ehrverletzung („kleiner Wicht“), sondern die Ankündigung einer schweren Straftat gegen Leib und Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit seines Vorgesetzten betroffen, da der Kläger nach Überzeugung des Arbeitsgerichts ernsthaft gedroht habe, seinen Vorgesetzten „aus dem Fenster zu werfen und Amok zu laufen“. Anders als im Fall einer „nur“ diffamierenden oder ehrverletzenden Aussage über Vorgesetzte oder Kollegen im vertraulichen Rahmen, habe der Kläger aufgrund der von ihm ausgesprochenen Drohungen nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Kollegin den Inhalt des Gesprächs vertraulich behandeln und seine Äußerungen das Vertrauensverhältnis im Arbeitsverhältnis demnach nicht belasten bzw. zerstören würden. Die Vertraulichkeit des Gesprächs habe in diesem Fall einseitig von der Kollegin aufgehoben werden können, sodass die von dem Kläger getätigten Aussagen sich arbeitsrechtlich zu dessen Nachteil auswirken könnten. Weiter stellte das Arbeitsgericht fest, dass der Ausspruch einer Abmahnung aufgrund der besonderen Schwere des von dem Kläger begangenen Pflichtverstoßes entbehrlich sei. Die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger deswegen wirksam beendet.

Praxishinweis

Das Urteil des ArbG Siegburg zeigt anschaulich, in welchen Grenzen ein vertraulicher Austausch zwischen Kollegen als Ausdruck der Persönlichkeit des einzelnen Arbeitnehmers grundrechtlich gewährleistet wird. So genießen Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, in Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht. Trotz dieses weiten Schutzes ist das Vertrauen des die Äußerung tätigenden Arbeitnehmers in die Vertraulichkeit des Gesprächs jedenfalls dann nicht mehr geschützt, sofern er in ernstzunehmender Art und Weise die Begehung einer Straftat gegen Leib und Leben des Vorgesetzten oder eines Kollegen androht.

Übersteigertes „Luft ablassen“ unter Kollegen kann somit – sofern entsprechende Gewaltankündigungen in einer für den Gesprächspartner ernstzunehmenden Weise erfolgen – auch im Falle eines vermeintlich vertraulichen Austauschs den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen. Empfehlenswert ist aus Arbeitnehmersicht folglich, sich im Fall von Ärgernissen im beruflichen Kontext auf das Fluchen und „vertrauliche Beleidigen“ von Vorgesetzten und Kollegen zu beschränken und von dem Inaussichtstellen von Gewaltanwendungen abzusehen. Aus Arbeitgebersicht ist zu bedenken, dass die gerichtliche Bewertung derartiger Äußerungen als ernstzunehmende Drohung je nach Einzelfall unterschiedlich ausfallen kann und beispielsweise auch davon abhängig sein wird, welcher Sprachstil in dem jeweiligen Umfeld oder einer bestimmten Branche als üblich zugrunde gelegt werden kann.

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