Autor

Dr. Benedikt Kohn, CIPP/E

Senior Associate

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20. Dezember 2021

Anforderung an die Transparenzpflicht gegenüber Sehbehinderten nicht erfüllt

- 5.000 Euro Bußgeld gegen Wohnheimbetreiber

Mit Bescheid vom 16.09.2021 hat die italienische Datenschutzbehörde (Garante per la protezione dei dati personali) ein Bußgeld in Höhe von 5.000 Euro gegen den Betreiber eines Wohnheims für Sehbehinderte in der sizilianischen Hafenstadt Catania verhängt. Auslöser hierfür waren unter anderem Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen Informationspflichten aus Art. 12 ff. der Datenschutz-Grundverordnung („DSGVO“).

Der Sachverhalt

Die Verwaltung des Wohnheims hatte Teile im Außen- sowie Innenbereich der Einrichtung videoüberwacht, nach eigenen Angaben, um den Zutritt Unbefugter und die Begehung von Straftaten unterbinden zu können. Sie informierte über diese Videoüberwachung (die eine Verarbeitung im datenschutzrechtlichen Sinne darstellt) erst, nachdem die italienische Datenschutzbehörde ihre Ermittlungen aufgenommen hatte. Dabei beschränkten sich die Verantwortlichen darauf, die Informationen in der Pförtnerloge sowie durch Aushang am Schwarzen Brett zur Verfügung zu stellen. Weitere Maßnahmen, um die Betroffenen – also vor allem die sehbehinderten Bewohner – über die Videoaufzeichnung zu informieren, wurden nicht ergriffen. De facto hatten diese damit keine Möglichkeit, von der Verarbeitung ihrer Daten Kenntnis zu nehmen.

Die Argumentation der Behörde

Die Behörde kam daher zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass diese Art und Weise der Informationsübermittlung nicht ausreichend war und verhängte ein Bußgeld gegen den Betreiber. Unter Einbeziehung der konsultierten „Leitlinien für Transparenz gemäß der Verordnung 2016/679“, des unabhängigen Beratungsgremiums der Europäischen Kommission in Fragen des Datenschutzes (Art. 29 Datenschutzgruppe), stellte sie fest: Wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche wisse, dass seine Leistung von schutzbedürftigen Mitgliedern der Gesellschaft, einschließlich Personen mit Behinderungen oder Personen, welche Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen hätten, genutzt werde oder sogar genau für diese Gruppe bestimmt sei, müsse er die Schutzbedürftigkeit dieser Personen im Rahmen seiner Transparenzpflichten berücksichtigen.

Insbesondere wenn Betroffene sehbehindert seien, müssten die Informationen über die Verarbeitung personenbezogener Daten vom Verantwortlichen auch auf akustischem Wege übermittelt werden, um sicherzustellen, dass sie von den Betroffenen auch tatsächlich erfasst werden könnten.

Der rechtliche Hintergrund: Informationspflichten gemäß Art. 12 ff. DSGVO

Gemäß Art. 13 und 14 DSGVO ist jeder Verantwortliche bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten verpflichtet, Betroffene darüber vor Beginn der Verarbeitung kostenfrei zu informieren. Dies muss in präziser, transparenter und leicht zugänglicher Form erfolgen, wobei eine klare und einfache Sprache zu verwenden ist. Bei der konkreten Ausgestaltung der Informationspflichten hat der jeweilige Verantwortliche einen Gestaltungsspielraum, wobei die Anforderungen an die Ausgestaltung maßgeblich durch Art, Umfang und Risiko der jeweiligen Verarbeitungstätigkeit bedingt werden. Dabei kann auf eine abgestufte Informationserteilung zurückgegriffen werden: Auf der ersten Stufe sollen insbesondere Angaben zu dem Verantwortlichen und zu den Zwecken der Verarbeitung bereitgestellt werden, auf der zweiten Stufe soll über die Rechte der Betroffenen sowie über die weiteren Pflichtangaben informiert werden.

Im Falle einer Videoüberwachung wird diese abgestufte Informationserteilung typischerweise mittels zweier verschiedener Hinweisschilder auf folgende Art und Weise vorgenommen: Vor dem videoüberwachten Bereich werden Schilder mit einem Hinweis auf den Umstand der Videoüberwachung – in der Regel in Form eines Piktogramms des Kamerasymbols – und den wesentlichen Informationen hinsichtlich der Videoüberwachung, etwa der Identität des Verantwortlichen und der Zweck der Überwachung, angebracht. Darüber hinaus wird an anderer, gut zugänglicher Stelle ein ausführliches Informationsblatt mit allen zusätzlich notwendigen Informationen im Sinne der Art. 13, 14 DSGVO zur Verfügung gestellt. Für beide Hinweisschilder stellen deutsche Datenschutzbehörden unkompliziert Muster zur Verfügung.

Das Problem: Informationserteilung gegenüber Blinden und Sehbehinderten

Diese anerkannte Möglichkeit, der Informationspflicht nachzukommen, ist natürlich nur gegenüber Personen geeignet, welche die beiden Hinweisschilder auch wahrnehmen können. Für die schätzungsweise 100.000-150.000 in Deutschland lebenden blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen ist sie hingegen offensichtlich untauglich. Das Problem ist nicht nur auf Blindenheime beschränkt, sondern erstreckt sich von Museen bis Supermärkte auf einen Großteil des gesellschaftlichen Lebens.

Das stellt die Verantwortlichen, die meist schon froh sind, wenn sie der Einhaltung ihrer Informationspflichten im „Standardfall“ nachkommen können, vor Herausforderungen. Wie der dargestellte Fall des italienischen Wohnheims zeigt, ist dies jedoch keine Rechtfertigung: Der Schutz personenbezogener Daten ist ein Grundrecht, das für jede natürliche Person gilt, ungeachtet etwaiger körperlicher, seelischer oder geistiger Behinderungen (das ergibt sich aus Art. 8 i.V.m. Art. 21 und 28 GRCh.). Als Ausläufer dieses Grundrechts muss der Verantwortliche nach Art. 12 ff. DSGVO seine Informationspflicht auch gegenüber Behinderten erfüllen und dabei ihre Einschränkungen, wie in diesem Fall die Sehbeeinträchtigung, berücksichtigen.

Die Lösung?

Die augenscheinliche und hier von der italienischen Datenschutzbehörde geforderte Lösung, die Informationen akustisch zu übermitteln, wäre im konkreten Fall zwar durchaus zielführend gewesen, dürfte oftmals allerdings völlig impraktikabel sein.

Dass ein Supermarktbesitzer seine Weihnachtsjingles und Werbeslogans alle Viertelstunde für Durchsagen mit einem Verweis auf die Videoüberwachung, gegebenenfalls noch ergänzt um die weiteren datenschutzrechtlichen Ausführungen, unterbricht, ist nur schwer vorstellbar. Dass er hierdurch nicht einmal zwangsläufig sicherstellt, seiner Informationspflicht nachzukommen, etwa weil der Supermarktbesuch eines Blinden gar nicht so lange andauert oder die Durchsage nicht vor der Datenverarbeitung stattfindet, kommt erschwerend hinzu. Das Abspielen eines Hinweises auf die Videoüberwachung bei Betreten des Ladens, beispielsweise ausgelöst durch eine Lichtschranke, würde zumindest die letztgenannten Probleme vermeiden, wäre jedoch ebenso wenig verkaufsfördernd. Das Aufstellen eines Hinweisschilds in Blindenschrift dagegen würde wieder andere Probleme mit sich bringen: So wäre es bereits eine Herausforderung, es so zu platzieren, dass die Betroffenen es überhaupt wahrnehmen.

Die beste Lösung scheint eine anlassbezogene Informationsübermittlung mittels Hilfsmittel wie für Sehbehinderte geeignete Smartphones zu sein. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer gestuften Informationserteilung könnten Betroffene vor dem Betreten von videoüberwachten Bereichen automatisch per Vibrationsalarm über die Aufzeichnung informiert werden und die weiteren Informationen in Form einer Audiodatei auf ihr Smartphone gesendet bekommen.

Autoren: Dr. Benedikt Kohn, Swen Puttins

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