30. September 2021
Selbstständig oder angestellt: Der Status von IT-Beratern ist seit vielen Jahren ein heikles Thema und treibt die Unternehmen um. Schließlich hat eine fehlerhafte Vertragszuordnung gravierende Konsequenzen: Liegt keine selbstständige Tätigkeit vor, kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und dem eingesetzten IT-Berater zustande – und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der erstmaligen Umsetzung des Scheinwerk- bzw. Scheindienstvertrages. Sozialversicherungsrechtlich haftet der (neue) Arbeitgeber rückwirkend für die Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile, ggf. zzgl. Säumniszuschläge). Dies betrifft in der Regel die zurückliegenden vier Jahre, bei vorsätzlichem Verhalten sogar einen Zeitraum von 30 Jahren. Um sich diesem Risiko nicht auszusetzen, verzichten einige Unternehmen sogar ganz auf den Einsatz von selbstständigen IT-Beratern. Dies gilt insbesondere seitdem das Bundessozialgericht mit den sog. Honorararzt-Entscheidungen die Abgrenzungskriterien nochmals deutlich geschärft hat. Das jetzt veröffentlichte Urteil des Landessozialgericht Baden-Württembergs vom 20.4.2021 (Az. L 9 BA 1381/18) sorgt nun aber für den sprichwörtlichen Silberstreif am Horizont: Das Gericht bejahte die Selbstständigkeit eines IT-Beraters, der überwiegend für einen Kunden im Supportbereich tätig war, und weicht von der strikten Rechtsprechung des BSG (ein wenig) ab.
Der IT-Berater schloss mit dem Auftraggeber einen Dienstvertrag ab, wonach er für einen Stundensatz von EUR 56,00 (zzgl. MwSt.) Dienstleistungen bei einem Endkunden des Auftraggebers erbringen sollte. Die Leistung selbst war in acht Unterprunkte aufgegliedert und recht generisch im Vertrag beschrieben, z.B. „Support bei der Implementierung/Weiterentwicklung von standardisierten IT-Prozessen, Methoden und Tools und den Gesamtfahrzeug- und DMU-Bereichen von RD“. Der Dienstvertrag sah keine verbindlichen Arbeitszeiten oder ein Arbeitszeitkontingent vor. Vereinbart war allein ein fristloses Kündigungsrecht des Kunden, sollte der IT-Berater für einen Zeitraum von 4 Wochen an der Leistungserbringung gehindert sein. Der IT-Berater wurde vor Ort als Experte für Systemumstellungen sowohl in der Hotline wie auch dem Ticketsystem des Supports eingesetzt. Dabei wurden die Fragen der Kunden in einer Ringschaltung durch ihn wie auch durch andere zum Teil abhängig beschäftigte Mitarbeiter des Endkunden beantwortet. Der IT-Berater bearbeitete im Bereich des Supports allein die Anfragen, die seinen Zuständigkeitsbereich betrafen. Sofern er nicht erreichbar war, blieben die seinen Bereich betreffenden Anfragen bis zu seinem nächsten Einsatz unbeantwortet oder andere Mitarbeiter des Kunden übernahmen die Beantwortung der Fragen. Neben den Support-Arbeiten erledigte der IT-Berater auch Workshops und Rohbautemplateschulungen, die etwa 20 % seiner Arbeitszeit ausmachten. Absprachen erfolgten über einen zuvor benannten Ansprechpartner des Endkunden. Dem IT-Berater wurde aus Sicherheitsgründen ein Laptop des Endkunden zur Verfügung gestellt.
Das LSG Baden-Württemberg urteilte, dass der IT-Berater keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe, er vielmehr selbstständig tätig geworden sei. Zur Begründung führte das LSG Baden-Württemberg folgendes aus:
Die Entscheidung zeigt, dass auch in den regelmäßig „schwierigen“ Fällen des Einsatzes von selbstständigen IT-Beratern im Supportbereich eine selbstständige Tätigkeit möglich ist. Das LSG Baden-Württemberg hat insofern erfreulicherweise den (Argumentations-)Spielraum für die selbstständige Tätigkeit von (IT-)Beratern wieder ein Stück geöffnet, nachdem das BSG mit den sog. Honorararzt-Entscheidungen die Abgrenzungskriterien zuvor deutlich geschärft hatte. Die Entscheidung führt noch einmal eindringlich vor Augen, dass die Vertragsgestaltung das „A & O“ ist. Aus dem Vertrag muss sich eindeutig ergeben, dass eine selbstständige Tätigkeit gewollt ist. Entsprechend dürfen keine typischen Arbeitnehmerrechte (Lohnfortzahlung, Urlaub etc.) im Vertrag vereinbart werden. Darüber hinaus hat das LSG Baden-Württemberg die vertragliche Zusicherung des Beraters, Selbstständiger im Sinne der §§ 7 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB zu sein einschließlich einer Rückzahlungsverpflichtung im Falle einer fehlerhaften Vertragszuordnung, positiv hervorgehoben. Wichtig ist daneben aber auch, dass der Vertrag in der Praxis entsprechend gelebt wird. Zur Sicherstellung eines rechtskonformen Einsatzes von selbstständigen (IT-)Beratern kann die Einführung eines Compliance-Systems helfen, um den Auftraggeber vor unerwünschten Nachzahlungen und schlimmstenfalls (strafrechtlichen) Sanktionen zu schützen.
von Dr. Oliver Bertram und Dr. Anne Förster
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von Dr. Anne Förster
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