16. Juli 2021

Diskriminierungsverbot beim Entgelt für gleichwertige Tätigkeiten – Welche Auswirkungen hat die neue Entscheidung des EuGHs für deutsche Arbeitgeber?

  • Briefing

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 3. Juni 2021 (C-624/19) geurteilt, dass sich schon aus unmittelbar geltendem EU-Recht ergibt, dass Frauen, die vom Arbeitgeber hauptsächlich in Einzelhandelsmärkten beschäftigt sind, und Männern, die von demselben Unternehmen mehrheitlich im Lager zum Onlinevertrieb beschäftigt sind, wegen der Gleichwertigkeit der Arbeit grundsätzlich der gleiche Lohn zu zahlen ist. Nachfolgend stellen wir die Entscheidung sowie ihre Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland dar.

Sachverhalt

Die Einzelhandelskette Tesco Stores Limited vertreibt Waren sowohl in Märkten als auch über den Onlinehandel. Das Lohnniveau für Tätigkeiten im Lager liegt bei Tesco über dem in den Märkten. Dieser Unterschied bot Anlass zur Klage durch mehrere Arbeitnehmer:innen: Weil in den Märkten hauptsächlich Frauen, in den Lagern für den Onlinehandel aber mehrheitlich Männer tätig sind, verstoße Tesco gegen das Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben, Art. 157 AEUV. Tesco wies jede Diskriminierung von sich – da die Tätigkeit nicht gleich sei, könne auch Art. 157 AEUV keine unmittelbare Anwendung finden. Außerdem handele es sich um unterschiedliche Betriebe – da müsse man ja wohl nicht gleich vergüten.
Das Watford Employment Tribunal (Arbeitsgericht Watford, Vereinigtes Königreich) stellte fest, dass es sich bei der Tätigkeit im Markt und im Lager zwar nicht um die gleiche Tätigkeit, aber um „gleichwertige“ Tätigkeit handele. Ob Art. 157 AEUV auf gleichwertige Tätigkeiten Anwendung fände und ob die Entgeltgleichheit auch in unterschiedlichen Betrieben gewährleistet werden müsse, sei jedoch eine noch ungeklärte Frage des Unionsrechts, die es daraufhin dem EuGH vorlegte.

Entscheidung

Der EuGH entschied beide Vorlagefragen zugunsten der sich diskriminiert wähnenden Arbeitnehmer:innen.
Um die effektive Wirksamkeit des Gebots der Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben zu erreichen, müsse auch die gleichwertige Tätigkeit zu gleichem Entgelt führen. Dahinter stehe, dass durch die systematisch schlechtere Bezahlung von sog. „Frauenberufen“ eine tatsächliche Gleichbehandlung zwischen den Geschlechtern verhindert werden könnte. Die Bewertung, welche Tätigkeiten gleichwertig sind, überlässt der EuGH jedoch in erster Linie den nationalen Gerichten.
Auch die unterschiedlichen Betriebe führten nicht zu einer Unanwendbarkeit des Art. 145 AEUV, solange es sich um dieselbe „Quelle“, also den gleichen Arbeitgeber handele.

Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland?

Hierzulande ist das Entgeltgleichheitsgebot anders als im Vereinigten Königreich schon ausdrücklich nicht auf die „gleiche“ Tätigkeit beschränkt. § 3 Entgelttransparenzgesetz legt fest, dass es bei gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht zu einer Benachteiligung wegen des Geschlechts kommen darf. Die Auslegung, welche Tätigkeit „gleichwertig“ ist, kann laut dem EuGH in erster Linie von nationalen Gerichten entschieden werden. Das bedeutet, dass ein deutsches Gericht gerade auch in Bezug auf die Gleichwertigkeit von Einzelhandelstätigkeiten auf der einen und Lagertätigkeiten auf der anderen Seite zu einem anderen Ergebnis kommen könnte als hier das Watford Employment Tribunal. Die Entscheidung des EuGHs zwingt die deutschen Gerichte gerade nicht, diese Tätigkeitsfelder grundsätzlich als gleichwertig einzustufen.
Die Entscheidung führt auch nicht dazu, dass Arbeitgeber in Deutschland in Zukunft grundsätzlich in jedem Betrieb gleich vergüten müssen. Der EuGH stellt zwar fest, dass das Entgeltgleichheitsgebot grundsätzlich unternehmensweit gilt, dies schließt aber eine sachlich begründete Unterscheidung nicht aus. So hat es der EuGH z.B. in der Rechtssache C-127-92 ausdrücklich dem nationalen Gericht das Urteil darüber überlassen, ob ein lokal unterschiedliches Gehalt ggf. auf die Marktlage zurückzuführen ist. Zu denken ist hier insbesondere an ein höheres Lohnniveau in Großstädten. Auch dies entspricht der Rechtslage in Deutschland, die in § 7 Entgelttransparenzgesetz Raum für objektive Gründe einer unterschiedlichen Behandlung zulässt. Die Beweislast hierfür trifft allerdings den Arbeitgeber.

Fazit

Im Ergebnis führt die Entscheidung des EuGHs nicht zu einer Änderung der Rechtslage in Deutschland. Strengere Anforderungen an die Begründung von Entgeltunterschieden zwischen Männern und Frauen ergeben sich jedoch aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2021 (8 AZR 488/19), über das wir bereits hier berichteten und das zu einer Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für Arbeitnehmer:innen führt.
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