6. Mai 2021

Die eingetragene Genossenschaft als Gestaltungsinstrument für Captive Funds

  • Briefing

Einleitung

Die breite Bevölkerung verbindet mit einer Genossenschaft einen kommunistisch organisierten und bäuerlichen Betrieb oder basisdemokratische Kommunen. Gleichzeitig ist die eingetragene Genossenschaft auch eines der Stiefkinder des deutschen Gesellschaftsrechts und wird oft bei gesellschaftsrechtlichen Strukturüberlegungen nicht berücksichtigt. Gerade das „basisdemokratische“ Image der Genossenschaft eröffnet aber interessante Anwendungsfälle, von denen einer in diesem Artikel aufgezeigt werden soll.

Start-Ups benötigen für die Umsetzung ihrer Geschäftsideen in der Regel Risikokapital, da eine Finanzierung von Start-Ups durch klassische Bankdarlehen aufgrund des hohen Finanzrisikos meistens nicht möglich ist1. Der Risikokapitalgeber erhält dabei anstatt einer Sicherheit Geschäftsanteile von der Gesellschaft. Die vom Kapitalgeber überlassenen Finanzmittel werden dann als Eigenkapital der Gesellschaft verbucht2.

Vermehrt wollen auch Industrieunternehmen Start-Ups solches Risikokapital zur Verfügung stellen, um dadurch Zugang zu technologischen Innovationen und neuen (digitalen) Geschäftsmodellen zu erhalten und gründen hierzu Captive Funds3.

Captive Funds haben für Start-Ups einerseits mehr zu bieten als klassische Venture Capital Fonds, da sie neben Finanzierungsmitteln auch Know-How und Zugang zu Forschungs-, Produktions- oder Absatzkapazitäten bereitstellen können4, andererseits wollen Start-Ups sich die Möglichkeit des Exits durch Verkauf des Start-Ups an ein Industrieunternehmen offenhalten und nicht voreilig dem Industriepartner Zugriff auf Ideen und Geschäftsmodelle geben. Captive Funds befinden sich daher in einer Konkurrenzsituation mit klassischen Venture Capital Fonds und müssen überlegen, wie sie Ihre Attraktivität für Start-Ups ins richtige Licht rücken und Aufmerksamkeit erhalten können. Hierbei ist problematisch, dass Captive Funds oft finanziell und personell den Venture Capital Fonds unterlegen sind. Gemäß einer Studie resultieren 55 % der Investments von Captive Funds aus Beziehungen zu anderen Venture Capital Funds und direkten Beziehungen zu den Gründern und nur ca. 15 % aus direktem (Eigen-)Marketing bzw. Events5. Ein Lösungsansatz zur Verbesserung des Marketings ist, die für Start-Ups attraktiven Angebote wie Coaching, Partnering oder Marketing in einer eigenständigen Gesellschaft zu bündeln. Neben den „klassischen“ Gesellschaftsformen ist hierbei die Verwendung einer eingetragenen Genossenschaft eine neue Idee, da diese Rechtsform als kooperativer, fairer und weniger profitorientiert wahrgenommen wird als andere Rechtsformen und so den Start-Ups die Möglichkeit gegeben werden kann, Einfluss zu nehmen.

Die eingetragene Genossenschaft als Plattformlösung

Gemäß § 1 Abs. 1 GenG ist der Zweck der Genossenschaft, den Erwerb und die sozialen Bedürfnisse ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Der Zweck der Genossenschaft ist folglich nicht auf eine Beteiligung am Kapital und der Rendite der Genossenschaft orientiert, sondern an der ganz individuellen Förderung ihrer Mitglieder6.

Genossenschaftliche Selbstorganschaft

Die Genossenschaft hat gemäß §§ 9 und 43 GenG einen Vorstand, einen Aufsichtsrat und eine Generalversammlung. In der Genossenschaft gilt das Prinzip der genossenschaftlichen Selbstorganschaft, wonach die Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrats Mitglieder der Genossenschaft und zugleich natürliche Personen sein müssen7. Um den maximalen Vorteil einer Plattformlösung für jedes Mitglied erzielen zu können, sollten die jeweiligen Organträger Fachexperten aus dem Gebiet des Corporate Venture Capital sein und zugleich auf die Interessen und Bedürfnisse der Start-Ups und Captive Funds mit Hilfe deren Fachexpertise eingehen können. Durch das Prinzip der genossenschaftlichen Selbstorganschaft kann dieses Bedürfnis erfüllt werden, da alle Mitglieder der Genossenschaft und somit auch die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder aus dem Bereich des Corporate Venture Capital kommen. Eine fachfremde und nicht-zielorientierte Leitung der Plattformlösung kann so verhindert werden.

Demokratieprinzip

Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder werden, sofern die Satzung nicht eine abweichende Regelung vornimmt, von der Generalversammlung gewählt8. Die Generalversammlung entscheidet wiederrum mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Mitglieder, wobei jedes Mitglied eine Stimme pro Kopf hat, und nicht entsprechend seines Anteils an der Genossenschaft (Demokratieprinzip). Dadurch wird es für einzelne Mitglieder deutlich schwerer ihre eigenen persönlichen Interessen der Genossenschaft aufzwingen9. Die Förderung der Interessen sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten aller Mitglieder soll so gleichermaßen gewahrt werden.

Insolvenzsicherheit

Die Genossenschaft unterliegt einer in der Regel jährlich stattfindenden Pflichtprüfung, die durch den Prüfungsverband, in dem die Genossenschaft Pflichtmitglied ist, vorgenommen wird. Die Pflichtprüfung dient gemäß § 53 GenG zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Vergangenheit und Zukunft, der Vermögenslage der Genossenschaft, sowie der Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und ist somit deutlich umfangreicher als die Prüfung des Jahresabschlusses bei Kapitalgesellschaften. Unter anderem aus diesen Grund gilt die Genossenschaft als die insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland10. Dadurch bleibt zum einen die Mitgliedschaft in der Genossenschaft risikoarm und ermöglicht zum anderen der stärkeren Fokussierung der Mitglieder auf den eigentlichen Zweck der Vernetzung.

Unbürokratischer Ein- und Austritt

Zugleich ist der Ein- und Austritt aus einer Genossenschaft unproblematisch und weder zeit- noch kostenintensiv. Es bedarf lediglich einer Beitrittserklärung der beitretenden Person in Schriftform sowie der Einzahlung des Nominalwertes der Genossenschaftsanteile. Der Austritt erfolgt gemäß § 65 GenG durch Kündigungserklärung ebenfalls durch Schriftform und in der Regel zum Ende des laufenden Geschäftsjahres. Durch die Kündigung der Mitgliedschaft hat das ehemalige Mitglied einen Anspruch auf Auszahlung seines Guthabens; eine Beteiligung am Genossenschaftsvermögen muss darüber hinaus nicht eingeräumt werden. Notarielle Beurkundungen oder Anteilsübertragungen entfallen dadurch sowohl beim Ein- als auch Austritt gänzlich11. Somit ist die Entscheidung eines Beitritts oder Austritts ähnlich wie des Beitritts oder Austritts in oder aus einem Verein verhältnismäßig unkompliziert.

Vorteile der eingetragenen Genossenschaft gegenüber anderen Rechtsformen

Als alternative Rechtsformen zur eingetragenen Genossenschaft kommt vor allem der Verein, und die Kapitalgesellschaften in Betracht.

Vorteil gegenüber dem (eingetragenen) Verein

Die Genossenschaft ist gegenüber dem eingetragenen Verein als Plattformlösung vorteilhaft, da der Vereinszweck im Gegensatz zur eingetragenen Genossenschaft nur mittelbar zur Förderung der Mitglieder führt. Da eine Abgrenzung der Genossenschaft zum wirtschaftlichen Verein nur schwer möglich ist und auch nicht lösungsorientiert für diesen Beitrag ist, kann daher eine Abgrenzung an dieser Stelle vernachlässigt werden12.
Zu bedenken ist hierbei auch, dass der (eingetragene) Verein oft als wenig organisierte „Freizeit- und Hobbyzusammenschlüsse“ wahrgenommen werden.

Vorteil gegenüber den Kapitalgesellschaften

Kapitalgesellschaften sind gewinnorientiert strukturiert und können daher deren Gesellschafter bzw. Aktionäre nur durch Auszahlung von Dividenden „fördern“ bzw. einen Mehrwert bieten. Bei der Errichtung einer Plattform wäre jedoch eine finanzielle Förderung der Mitglieder nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um eine individuelle Förderung durch Vernetzung der Mitglieder, wie es bei der Genossenschaft möglich ist. Eine Kapitalgesellschaft wäre aus diesem Grund nicht lösungsorientiert.

Vorteilhaft ist, dass die eingetragene Genossenschaft in vielen Themenbereichen als Schnittstelle zwischen den Personen- und Kapitalgesellschaften ausgelegt werden kann. Die eingetragene Genossenschaft ist gemäß § 17 GenG kraft Gesetzes Kaufmann und eine juristische Person, dessen Eintragung im Genossenschaftsregister konstitutive Wirkung entfaltet und entspricht aufgrund ihrer körperschaftlichen Struktur (Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung) eher den Kapitalgesellschaften. Gleichzeitig ist die Genossenschaft in ihrer Mitgliederzahl jedoch nicht begrenzt, wodurch aufgrund der variablen Bei- und Austrittsmöglichkeiten auch das Genossenschaftskapital variabel ist. Diese Schnittstellenstruktur der eingetragenen Genossenschaft macht sie im Vergleich zu den Personen- und Kapitalgesellschaften einzigartig und zugleich auch für die gesellschaftsrechtliche Errichtung einer Plattform interessant.

Nachteile der eingetragenen Genossenschaft

Ebenso ist die Schnittstellenstruktur der eingetragenen Genossenschaft auch ein wesentlicher Nachteil. So unterliegt nur die eingetragene Genossenschaft der gesetzlichen Prüfungspflicht durch den jeweiligen Prüfungsverband. Diese retro- und prospektive Prüfung, bei der auch der Finanz- und Geschäftsplan der eingetragenen Genossenschaft regelmäßig detailliert geprüft wird, ist umfangreich und erfordert eine professionelle Buchhaltung.

Zudem beinhaltet das Genossenschaftsgesetz eine Reihe von genossenschaftsspezifischen Regelungen, die die eingetragene Genossenschaft im Innenverhältnis formstreng und rechtlich ähnlich komplex gestalten, wie die Aktiengesellschaft. Viele rechtliche Fragestellungen, Strukturanpassungen und Prozesse innerhalb der eingetragenen Genossenschaft bedürfen dadurch zeit- und kostenintensiven Prüfungen. Ob solch komplexe Überprüfungen, die vor allem zum Schutz der Mitglieder dienen sollen13 , für eine Plattformlösung, die den Zweck der Vernetzung der Mitglieder fördern soll, sinnvoll und verhältnismäßig ist, muss im Einzelfall geprüft und entschieden werden.

Fazit

Die eingetragene Genossenschaft kann eine interessante Alternative zu klassischen Personen- und Kapitalgesellschaften darstellen um Start-Ups und Captive Funds zusammen zu bringen. Die Genossenschaft hat eigenständige Vor- und Nachteile, die bei der Strukturüberlegung zum Set-Up einer Plattformlösung rechtlich in Betracht gezogen werden sollten.

 

1 Daghles/Kynast, GWR 2020, S. 429 f.; Weitnauer in: Weitenauer Venture Capital-HdB, Teil A, Rn. 1.
2 Daghles/Kynast, GWR 2020, S. 430; Weitnauer in: Weitenauer Venture Capital-HdB, Teil A, Rn. 6.
3 Beispielhaft sind hierfür BMW i Ventures von BMW oder GV von google zu nennen.
4 Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in: Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von A-Z, 3. Aufl. 2018, Corporate Venture Capital; Weitnauer in: Weitenauer, Venture Capital-HdB, 6. Aufl. 2019, Teil A, Rn. 24.
5 500 Startups, Unlocking Corporate Venture Capital 2019, S. 11.
6 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021 Rn. 2, GenG § 1 Rn. 2.
7 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GenG § 1 Rn. 45.
8 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GenG § 9 Rn. 2; Rn. 3.
9 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GenG § 1 Rn. 47.
10 Baden-Württembergische Genossenschaftsverband e.V., Die Vorteile der Rechtsform der eG 2015,
11 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021 Rn. 2, GenG § 15 Rn. 1; 3 f.; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs Genossenschaftsgesetz, 4. Aufl. 2012, GenG § 15 Rn. 8 f.
12 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021 Rn. 2, GenG § 1 Rn. 8.
13 Geibel in Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GenG § 53 Rn. 1.

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