Das OLG Frankfurt am Main hat in seinem Beschluss vom 11. Januar 2021 (Az. WpÜG 1/20) entschieden, dass Aktien nur dann als Gegenleistung im Rahmen eines öffentlichen Übernahmeverfahrens angeboten werden dürfen, wenn ihre Liquidität die hohen Anforderungen Finanzinstrumente-Aufzeichnungspflicht-Durchführungs-VO (ehemals MiFiD-VO) erfüllt. Die BaFin hat ihre Verwaltungspraxis bereits an die Rechtsprechung angepasst. Damit dürfte es kleineren Bietergesellschaften künftig kaum mehr möglich sein, eigene Aktien als Transaktionswährung einzusetzen. Dieser Beitrag setzt sich mit der Entscheidung kritisch auseinander.
Sachverhalt
Der Entscheidung des Senats lag das Übernahmeverfahren der Heidelberger Beteiligungsholding AG („Bieterin“) an die Aktionäre der Biofrontera AG („Zielgesellschaft“) aus dem Frühling 2020 zugrunde. Die Angebotsunterlage sah als Gegenleistung je eine neu zu schaffende Aktie der Bieterin für jeweils 17 Aktien der Zielgesellschaft vor (Abschnitt 4.1 der Angebotsunterlage). Eine Gegenleistung in bar war nicht vorgesehen.
Die BaFin hatte das Angebot mit Bescheid vom 6. März 2020 („Untersagungsverfügung“) untersagt. Sie begründete die Untersagung mit der mangelnden Liquidität der Aktien i.S.d. § 31 Abs. 2 Satz 1 WpüG. In den vergangenen drei Monaten vor der Entscheidung der BaFin habe etwa nur an 15 von 62 möglichen Handelstagen überhaupt ein Handel mit Aktien der Bieterin stattgefunden, wobei lediglich rund 3.350 Aktien gehandelt worden seien. Zudem betrage der Streubesitz in den Aktien der Bieterin nur 8,66%. Eine zeitnahe Desinvestitionsmöglichkeit für die das Angebot annehmenden Aktionäre der Zielgesellschaft sei damit nicht sichergestellt.
Die Bieterin legte Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung vor dem zuständigen OLG Frankfurt am Main ein. Sie beantragte insbesondere, die BaFin zu verpflichten, die Veröffentlichung der Angebotsunterlage über das Übernahmeangebot der Aktionäre der Zielgesellschaft in aktualisierter Form zu gestatten, hilfsweise die Behörde zu verpflichten, über die Gestattung der Veröffentlichung des Übernahmeangebots und der Aktualisierung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Entscheidung
Der Senat wies die zulässige Beschwerde der Bieterin bzw. Beschwerdeführerin zurück. Die in der streitgegenständlichen Angebotsunterlage enthaltenen Angaben hätten „offensichtlich“ gegen eine Vorschrift des WpÜG, nämlich gegen § 31 Abs. 2 Satz 1 WpÜG verstoßen, da die von der Bieterin als Gegenleistung angebotenen Aktien nicht um liquide Aktien im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe.
Das Gericht führt aus, dass sich eine Definition des Begriffs der liquiden Aktie im WpÜG nicht finde. Es handele sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig sei. Auch der Gesetzgeber habe sich in der Gesetzesbegründung zu dieser Frage nicht ausdrücklich geäußert. Der Senat stellte vor diesem Hintergrund auf Sinn und Zweck der Vorschrift ab. Die Aktionäre der Zielgesellschaft sollten die Möglichkeit erhalten, einer drohenden (im Falle eines freiwilligen Übernahmeangebots) oder eingetretenen (im Falle eines Pflichtangebots) Beherrschung der Zielgesellschaft durch einen Kontrollerwerber zu entgehen und aus der Gesellschaft auszuscheiden, ohne dass sie dadurch unangemessene Nachteile – insbesondere wirtschaftlicher Art – erleiden. Zur Erreichung dieses Zwecks solle ein Aktionär der Zielgesellschaft für die Veräußerung seiner Beteiligung eine faire bzw. angemessene Gegenleistung erhalten, so dass er wegen seines Ausscheidens aus der Zielgesellschaft infolge einer Übernahme keine vermeidbaren Vermögenseinbußen erleidet. Sei dies nicht gewährleistet, könne der Aktionär wegen zu erwartender negativer wirtschaftlicher Auswirkungen seines Ausscheidens zum Verbleib in der beherrschten Gesellschaft gezwungen sein.
Sofern die Gegenleistung nicht in einer (baren) Geldleistung, sondern in Aktien bestehe, müssten diese insbesondere liquide sein; diesem Tatbestandsmerkmal komme eine eigenständige Bedeutung zu, die dementsprechend auch im Einzelnen geprüft werden müsse. Ausgehend von dieser Selbstverständlichkeit führt der Senat aus, dass Breite der Streuung der Aktien im Sinne des § 9 Abs. 1 BörsZulV für die Annahme der Liquidität nicht ausreiche, da das Merkmal der Liquidität neben der Handelszulassung dann keine eigenständige Bedeutung hätte. Vielmehr sei das Merkmal von dem o.g. Zweck der Vorschrift zunächst eigenständig, also unabhängig von Liquiditätsbegriffen in anderen Vorschriften und Zusammenhängen, näher zu bestimmen.
Um den erstrebten Vermögensschutz zu erreichen, müsse der Aktionär die Möglichkeit haben, die als Gegenleistung erhaltenen Aktien umgehend gegen einen Geldbetrag zu veräußern; die Wieder- bzw. Weiterveräußerung müsse „ohne weiteres möglich sein“. Eine Aktie sei nur dann liquide, wenn sie als Vermögensgegenstand – jedenfalls fast – so gut wie ein Geldbetrag in Euro ist, also ohne weiteres und jederzeit verkauft werden kann und damit dem Aktionär die Erzielung des nach § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG i.V.m. §§ 3 - 7 WpÜG-AngVO als angemessen bestimmten Wert der ursprünglich von ihm gehaltenen Aktien der Zielgesellschaft ermöglicht werde.
Nach einer Diskussion der in der juristischen Literatur vorgeschlagenen Ansätze zur Bestimmung der Liquidität entscheidet sich das Gericht – in Abweichung zur Rechtsauffassung der BaFin, die rein formale Kriterien abgelehnt hat – für eine Orientierung an den Kriterien des Art. 22 Abs. 1 Finanzinstrumente-Aufzeichnungspflicht-Durchführungs-VO (ehemals MiFiD-VO).
Nach Maßgabe dieser Vorschrift ist eine Aktie, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen ist, als über einen liquiden Markt verfügend anzusehen, wenn sie
- täglich gehandelt wird und
- der Streubesitz nicht weniger als EUR 500 Mio. beträgt und
- die durchschnittliche tägliche Zahl der Transaktionen mit dieser Aktie nicht unter 500 liegt oder
- der durchschnittliche Tagesumsatz in dieser Aktie nicht unter EUR 2 Mio. liegt.
Hierfür spreche, dass der Begriff der liquiden Aktie im WpÜG jedenfalls europarechtlich beeinflusst sei. Bei Aktien, die diesen Anforderungen gerecht werden, sei davon auszugehen, dass ein Aktionär diese zeitnah zu einem angemessenen Preis an der Börse verkaufen kann. Schließlich schaffe ein solch formales Kriterium sowohl für den Bieter als auch für die Minderheitsaktionäre Rechtssicherheit und gewährleiste die Erreichung der mit den Vorschriften zur Gegenleistung verbundenen, oben genannten Zwecke. Auch wenn der Verordnungsgeber nicht im Sinn gehabt haben sollte, den Begriff auch für die Übernahmerichtlinie festzulegen, so sei kein Grund ersichtlich, dass die Übernahmerichtlinie auf einen von jenem Verständnis abweichenden Begriff der liquiden Aktie abstellen wollte.
Aktien, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen einzelfallabhängig nur dann als liquide angesehen werden können, wenn sie jedenfalls der o.g. Schutzrichtung gerecht werden, also die Gewähr dafür bieten, dass ein Aktionär der Zielgesellschaft diese Aktien der Bieterin mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit wie bei Erfüllung der genannten Kriterien jederzeit und ohne weiteres an der Börse veräußern kann.
Praxishinweis
Dass mit diesem Maßstab kleineren Gesellschaften – wohl unüberwindbare – Hürden beim Einsatz „ihrer“ Aktien als Transaktionswährung auferlegt werden, räumt das Gericht selbst ein. Dass der Wille des Gesetzgebers darauf gerichtet gewesen wäre, gerade auch kleineren Unternehmen die Möglichkeit einzuräumen, eigene Aktien im Tausch gegen die Aktien des Zielunternehmens anzubieten, sei den Gesetzgebungsmaterialien indes nicht zu entnehmen. Das mag richtig sein, dass jedoch nur Unternehmen, deren Aktien die hohen Anforderungen nach Art. 22 Abs. 1 Finanzinstrumente-Aufzeichnungspflicht-Durchführungs-VO erfüllen, in den Genuss der Möglichkeit kommen, ein Tauschangebot abgeben zu können, ergibt sich auch nicht aus den Materialen.
Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Senat Aktionäre potentieller Zielgesellschaften „zu Tode schützt“. Zwar ist richtig, dass das Merkmal der Liquidität nicht reflexartig abgenickt werden kann. Hier wäre aber eine Auseinandersetzung mit den Konsequenzen dieser Auslegung wünschenswert gewesen. Es wird vermutet, dass Tauschangebote nunmehr primär von DAX- und MDAX-Unternehmen abgegeben werden können, wobei diese bislang nur sehr sporadisch als Bieter in Erscheinung getreten waren. Dies gilt umso mehr, als die BaFin in einer jüngeren Entscheidung – was zu erwarten war – die Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main zugrunde gelegt hat und dies – wiederum überraschend – ohne Hinweis auf die genannte Möglichkeit einer Einzelfallausnahme wie sie der Senat vorgesehen hat.
Es muss jedoch bis auf Weiteres davon ausgegangen werden, dass kleinere Gesellschaften mit weniger liquiden Aktien auf die Möglichkeit eines Tauschangebots verzichten müssen. Ob dies im Sinne eines aktiven, funktionierenden Übernahmemarkts ist, kann durchaus bezweifelt werden.