Zusätzlich zu den bereits beschlossenen Gesetzesänderungen im Gesellschaftsrecht (siehe dazu unseren Newsletter vom 27.03.2020) hat die Bundesministerin für Justiz eine Verordnung (VO) insbesondere zur näheren Regelung der Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Versammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer erlassen. Der Inhalt dieser Verordnung bringt Klarstellungen und sollte Entscheidungsträgern bei Unternehmen jedenfalls bekannt sein, auch wenn in der praktischen Umsetzung sicher noch Detailfragen aufkommen werden.
Einen Überblick über die wesentlichen Bestimmungen dieser Verordnung haben wir in einem Newsletter kompakt zusammengestellt.
Virtuelle Versammlungen
Die VO normiert zunächst, dass eine Versammlung, bei der alle oder einzelne Teilnehmer nicht physisch
anwesend sind, als sog. „virtuelle Versammlung“ bezeichnet wird. Der Begriff umfasst ausdrücklich auch
jene Fälle, in denen einige der Personen physisch zusammenkommen und allenfalls weitere Personen
nicht physisch anwesend sind. „Versammlung“ umfasst jedenfalls auch Sitzungen von Organen (z.B. des
Aufsichtsrats).
Zu beachten ist, dass für die Einberufung und die Durchführung einer virtuellen Versammlung dieselben
gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Regelungen einzuhalten sind, wie für eine sonstige
Versammlung dieser Art. Unverändert bleiben zudem die gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen
Bestimmungen, nach denen die Durchführung einer Versammlung ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer oder eine sonstige Art der Beschlussfassung (insb. Umlaufbeschlüsse) bereits vor dem
Erlassen der VO zulässig war.
a) Zulässigkeit von virtuellen Versammlungen
Die Durchführung einer virtuellen Versammlung ist zulässig, wenn eine Teilnahmemöglichkeit an der
Versammlung von jedem Ort aus mittels einer akustischen und optischen Zweiweg-Verbindung in
Echtzeit besteht. Dabei muss es jedem Teilnehmer möglich sein, sich zu Wort zu melden und an
Abstimmungen teilzunehmen.
b) Beschlussfähigkeit
Falls einzelne, höchstens jedoch die Hälfte der Teilnehmer nicht über die technischen Mittel für eine
akustische und optische Verbindung zur virtuellen Versammlung verfügen oder diese Mittel nicht
verwenden können oder wollen, so ist es auch ausreichend, wenn die betreffenden Teilnehmer nur
akustisch mit der Versammlung verbunden sind. Auch nur akustisch Zugeschaltete gelten aber in jeder
Hinsicht als Teilnehmer, weshalb sie z.B. auch bei der Feststellung des Präsenzquorums mitzuzählen
sind.
c) Entscheidung über Form der Versammlung
Die Entscheidung, ob und in welcher Form eine virtuelle Versammlung stattfinden soll, obliegt jenem
Organ, das die betreffende Versammlung einberuft. Dabei sind neben den Interessen der Gesellschaft
(z.B. an einem geregelten Ablauf der Versammlung) auch die – bekannten oder mutmaßlichen –
Interessen der Teilnehmer (z.B. deren technische Ausstattung) zu berücksichtigen.
d) Teilnahmevoraussetzungen
In der Einladung zu einer virtuellen Versammlung ist auch detailliert anzugeben, welche
organisatorischen und technischen Voraussetzungen (z.B. notwendige technische Ausstattung,
vorherige Anmeldung) für die Teilnahme bestehen. Auch die Identitätsfeststellung der Teilnehmer einer
virtuellen Versammlung, insbesondere wenn zahlreiche Personen teilnehmen, muss auf geeignete Weise
berücksichtigt werden. Besteht Anlass zum Zweifel, sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die
Identität zu überprüfen (z.B. durch die Aufforderung, einen Lichtbildausweis vor die Kamera zu halten).
e) Technische Störungen
Bei technischen Störungen von virtuellen Versammlungen gilt, dass die Gesellschaft grundsätzlich nur
für ihre eigene „technische Sphäre“ verantwortlich ist; das betrifft nicht nur mögliche
Schadenersatzansprüche einzelner Mitglieder gegen die Gesellschaft, sondern auch das gültige
Zustandekommen von Beschlüssen. Im Anlassfall kann die Unterbrechung der Versammlung geboten
sein, insbesondere wenn nur wenige Personen daran teilnehmen, um von technischen Störungen
betroffenen Teilnehmern einen neuerlichen Verbindungsaufbau zu ermöglichen.
Sonderbestimmung für die Hauptversammlung einer
Aktiengesellschaft
Bei der Hauptversammlung (HV) einer Aktiengesellschaft (AG) ist es gemäß der VO ferner ausreichend,
wenn die Aktionäre die virtuelle HV nur optisch und akustisch mitverfolgen, sich aber nicht unmittelbar zu
Wort melden oder abstimmen können. Diese Teilnahmemöglichkeiten müssen ihnen aber während der
Versammlung „auf andere Weise“ eingeräumt werden: So könnten etwa das Auskunfts- und das
Antragsrecht bei der AG in der Form ausübbar sein, dass die Aktionäre ihre schriftlichen Fragen bzw.
Anträge in einem bestimmten Zeitfenster während der Versammlung elektronisch an die Gesellschaft
übermitteln (z.B. per E-Mail), die sodann durch den Vorsitzenden verlesen werden. Auch die
Stimmabgabe muss auf geeignete Weise (z.B. unter Verwendung von Abstimmungssoftware)
sichergestellt werden.
Aktionäre, die ihre Rechte auf diese Weise ausüben können, sind jedenfalls Teilnehmer im
aktienrechtlichen Sinn und daher ins Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen.
Für die Abgabe von Wortmeldungen (Fragen und Beschlussanträge) können wie auch bei
herkömmlichen HVs während der Versammlung angemessene zeitliche Beschränkungen festgelegt
werden.
Ergänzend sind die aktienrechtlichen Regelungen über die Fernteilnahme und die Fernabstimmung
sinngemäß anwendbar, sodass Kommunikationsstörungen während einer virtuellen Versammlung nur
dann zu einer Beschlussanfechtung führen können, wenn die Gesellschaft diesbezüglich ein Verschulden
trifft.
Zusätzlich normiert die VO, dass auch eine Übertragung der HV und/oder eine Abstimmung per Brief
erfolgen kann, auch wenn dies nicht in der Satzung vorgesehen ist.
Ferner enthält die VO Sonderbestimmungen für die HV von börsenotierten AGs sowie für
Generalversammlungen von Genossenschaften und Vereinen.
Inkrafttreten
Die Verordnung trat rückwirkend zum 22. März 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2020
außer Kraft.
Wir stehen Ihnen selbstverständlich jederzeit für Ihre Fragen und eine individuelle Beratung zur
Verfügung.