16. März 2020
Der Ausbruch des Coronavirus hat nicht nur auf die Gesundheitssysteme, sondern auch auf die Wirtschaft erheblichen Einfluss. Der Luft- und Seeverkehr nach China ist stark eingeschränkt, Büros und Werke werden geschlossen, Messen sind abgesagt und Lieferketten und Transportwege sind unterbrochen. Die Folge sind unzählige rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern. Daher möchten wir Ihnen im Folgenden die zivilrechtlichen Konsequenzen der Corona-Pandemie kurz anhand von Beispielen zusammenfassen.
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wird vielfach der Begriff „Force Majeure“ verwendet. Hierunter ist ein Fall höherer Gewalt zu verstehen, also ein betriebsfremdes, von außen herbeigeführtes Ereignis, das unvorhersehbar und ungewöhnlich ist und das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann. Dem deutschen Recht ist der Begriff der „Force Majeure“ grundsätzlich – abgesehen vom Reiserecht – fremd und hilft damit nur bedingt weiter.
Zur Prüfung von etwaigen (Schadenersatz-) Ansprüchen sind zunächst die Bestimmungen des jeweiligen Vertrags maßgeblich. So finden sich in Lieferverträgen regelmäßig sogenannte „Force Majeure“ – Klauseln. Diese Klauseln sind auszulegen, und es ist zu prüfen, ob die Corona-Pandemie einen Fall höherer Gewalt im Sinne der jeweiligen Klausel darstellt. Rechtsfolge können dann je nach Klauselinhalt etwaige Rücktrittsrechte, eine (vorübergehende) Suspendierung des Vertrags oder Schadenersatzansprüche sein.
Das UN-Kaufrecht (CISG) findet Anwendung, wenn es sich um einen internationalen Warenkauf handelt und die Parteien die Anwendbarkeit des CISG explizit vereinbart haben oder die Parteien die Geltung des Rechts eines Vertragsstaats vereinbart und die Geltung des CISG nicht explizit ausgeschlossen haben. So gilt beispielsweise das CISG auch, wenn die Parteien eines internationalen Warenkaufs die Geltung deutschen Rechts vereinbart haben, die Geltung des UN-Kaufrechts jedoch nicht explizit ausgeschlossen haben.
Art. 79 CISG regelt, dass eine Partei für die Nichterfüllung ihrer Pflichten nicht einzustehen hat, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht. Explizit regelt Art. 79 CISG damit nur die Befreiung von Schadenersatzansprüchen, jedoch soll dies auch für die Befreiung von den Primärleistungspflichten gelten.
Als solche Hinderungsgründe sind grundsätzlich auch Pandemien, sowie Embargos und Aus- und Einfuhrbeschränkungen anerkannt. Allerdings ist man bei Vorliegen eines Hinderungsgrundes nicht direkt von allen vertraglichen Pflichten befreit. Es kommt vielmehr auf das Ausmaß im Einzelfall an.
Unterliegt der Vertrag dem deutschen Recht und sind keine vorrangigen vertraglichen Regelungen enthalten, so bestimmt sich der Umfang von Rechten und Pflichten nach den §§ 275 und 313 BGB.
275 BGB sieht vor, dass der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen ist, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Ferner kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn sie einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht.
Nach § 313 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich nachträglich so schwerwiegend verändert haben und einer Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ist die Anpassung des Vertrags nicht möglich oder zumutbar, so kann die benachteiligte Partei auch vom Vertrag zurücktreten.
Die rechtlichen Konsequenzen rund um die Corona-Pandemie können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Wir möchten Ihnen hiermit nur anhand von weniger Beispiele die möglichen Folgen aufzeigen.
Mein Produzent aus China hat die Produktion eingestellt – Was nun?
Viele deutsche Unternehmer stehen derzeit vor dem Problem, dass ihre Zulieferer aus China oder anderen Ländern die Werke schließen und die Produktion einstellen, sodass keine Güter mehr nach Deutschland kommen. Zu unterscheiden ist dabei der Fall, ob die chinesische Firma aufgrund behördlicher Anordnung oder freiwillig geschlossen wurde.
In erster Konstellation fällt dem chinesischen Unternehmen keinerlei Schuld zur Last. In aller Regel dürfte das Unternehmen dann automatisch von seiner Leistungspflicht befreit sein, da die Produktion von Gütern objektiv unmöglich ist. Das deutsche Unternehmen ist zwar in diesem Fall auch von seiner Zahlungspflicht entbunden, hat jedoch keinen Schadenersatzanspruch gegen den chinesischen Vertragspartner, da dieser die Unmöglichkeit der Leistungserbringung nicht verschuldet hat.
Anders ist der Fall, wenn das chinesische Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie freiwillig die Produktion einstellt. Der Lieferant müsste dann nachweisen, dass die Schließung des Werks zeitweise objektiv erforderlich war. Kann er dies nicht, so sind Schadenersatzansprüche des deutschen Unternehmers denkbar. Angesichts der erheblichen Gefährdungslage wird man keinen allzu hohen Maßstab bei der Beurteilung, ob eine Werksschließung erforderlich ist, anlegen dürfen.
Ich kann meine Kunden aufgrund fehlender Zulieferteile nicht mehr beliefern – Was nun?
Hat ein chinesisches Unternehmen sein Werk stillgelegt und die Produktion eingestellt, haben die deutschen Abnehmer aufgrund fehlender Zulieferteile häufig Schwierigkeiten ihre eigenen Kunden zu beliefern. Der deutsche Unternehmer darf sich jedoch gegenüber seinen Kunden nicht einfach auf die Unmöglichkeit der Belieferung aufgrund der Stilllegung des chinesischen Unternehmens berufen. Vielmehr muss der Unternehmer zunächst versuchen, die fehlenden Zulieferteile anderweitig, ggf. auch zu einem deutlich höheren Preis zu erwerben. Der Unternehmer trägt nämlich grundsätzlich das Beschaffungsrisiko. Eine Unmöglichkeit liegt erst vor, wenn die Zulieferteile überhaupt nicht mehr auf dem Markt verfügbar sind. Kann der Unternehmer die Zulieferteile zwar anderweitig, aber nur zu deutlich höheren Preisen erwerben, so kann er nur in krassen Ausnahmefällen Vertragsanpassung gegenüber seinem Kunden verlangen.
Beruft sich der deutsche Unternehmer gegenüber seinen Kunden auf Unmöglichkeit, obwohl er die Zulieferteile anderweitig beschaffen könnte, macht er sich ggf. schadenersatzpflichtig.
Kann ich die Lieferung per Luftfracht verlangen?
Ist der Seeweg aufgrund der Corona-Pandemie verschlossen, so kann sich das chinesische Unternehmen nicht direkt auf die Unmöglichkeit der Zulieferung berufen. Vielmehr müssen alternative zumutbare Transportmittel ergriffen werden, auch wenn diese für den Lieferanten mit hohen finanziellen Verlusten verbunden sind. So kann das deutsche Unternehmen beispielsweise auch die Lieferung per Luftfracht anstelle des Seewegs verlangen. Die Grenze findet sich allerdings wiederum in der Zumutbarkeit. In krassen Ausnahmefällen kann dann eine Anpassung des Vertrags nötig sein.
Meine Ware „strandet“ auf dem Transportweg – Was nun?
Ein weiteres Problem im Rahmen der Corona-Krise ist, dass Waren häufig nicht beim Käufer ankommen, weil beispielsweise Schiffscontainer im Hafen „feststecken“. Es stellt sich dann natürlich die Frage, wer für den Transport der Waren verantwortlich ist. Maßgeblich hierfür sind grundsätzlich wieder die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Verkäufer und Käufer. Gibt es keine vertragliche Regelung, kommt es darauf an, ob der Käufer ein Verbraucher oder Unternehmer ist. In ersterem Fall ist grundsätzlich der Verkäufer für den Transport verantwortlich; ist der Käufer jedoch auch Unternehmer, so trägt grundsätzlich der Käufer die Transportgefahr.
Kommen die Waren aufgrund der Corona-Pandemie nicht rechtzeitig beim Käufer an, hat dieser jedenfalls keinen Schadenersatzanspruch wegen Verzugs, weil der Verkäufer die Verzögerungen nicht verschuldet hat.
Muss ich meine Mitarbeiter in ein Risikogebiet schicken?
Ist ein Unternehmen, etwa aufgrund eines mit einem Kunden abgeschlossenen Wartungsvertrags, verpflichtet, beim Kunden vor Ort Servicearbeiten durchzuführen, kann sich ein Spannungsverhältnis zwischen den Pflichten aus dem Wartungsvertrag und der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Mitarbeitern ergeben. Dieses Spannungsverhältnis kann so weit gehen, dass ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit vorliegen kann, sollte sich das Werk des Kunden in einem Corona-Risikogebiet befinden und sich kein Dritter zur Übernahme der Serviceleistungen bereit erklären bzw. in der Lage sein.
Die Messe ist abgesagt – Was nun?
Aufgrund der rasanten Ausbreitung des Coronavirus werden derzeit unzählige Messen in Europa und weltweit abgesagt und der Schaden beläuft sich auf Milliardenhöhe. Doch wer trägt nun diese Kosten? Zu unterscheiden ist wiederum, ob die Messe aufgrund einer behördlichen Anordnung oder freiwillig durch den Veranstalter abgesagt wurde.
In ersterem Fall ist für den Veranstalter die Durchführung der Messe unverschuldet unmöglich geworden. Die Messeveranstalter müssen den Ausstellern und Besuchern dann keinerlei Kosten erstatten. Die Aussteller bleiben auf ihren eigenen Kosten wie Standgebühren und Ticketkosten sitzen. Sie sind jedoch in diesem Fall auch nicht verpflichtet, ihre eigenen Dienstleister wie beispielsweise Messebauer zu bezahlen, da die Aussteller sich ihrerseits auf Unmöglichkeit berufen können. Die am Ende leidtragenden sind damit meistens die Messebauer.
Sagt der Veranstalter die Messe freiwillig ohne behördliche Anordnung ab, kann sich die Lage anders darstellen. Dem Veranstalter obliegt dann der Beweis, dass die Durchführung der Messe für ihn unmöglich ist. Kann er dies nicht beweisen, so macht er sich gegenüber den Ausstellern ggf. schadenersatzpflichtig, da die Aussteller bereit und in der Lage gewesen wären, die Verträge mit dem Veranstalter zu erfüllen.
Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen
Current framework and future developments
von Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK) und Dr. Philipp Behrendt, LL.M. (UNSW)
von mehreren Autoren
von mehreren Autoren