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Dr. Ralf B. Tietz, LL.M. (Chicago)

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18. Februar 2020

Erwartungen des Kapitalmarktes für diese Hauptversammlungssaison

Überblick über die geänderten Abstimmungsrichtlinien von ISS, Glass Lewis, IVOX Glass Lewis (BVI), DSW und SdK


Der Einfluss von Stimmrechtsberatern und Aktionärsvereinigungen ist nicht zu unterschätzen. Investor Relations-Verantwortliche wissen es: Orientiert man sich bei Abfassung und Vorbereitung des Verwaltungsvorschlages nicht genügend an den maßgeblichen Richtlinien, kann man schnell mehr als 70% des abstimmenden Kapitals gegen sich haben. Passiert dies, wird in der Rückbetrachtung nicht selten die Vermeidbarkeitsfrage gestellt.

Welche Proxy-Richtlinien sind maßgeblich?

Relevant für fast alle Emittenten sind zunächst die Richtlinien der drei marktführenden Stimmrechtsberater. Den größten „Marktanteil“ hält derzeit Institutional Shareholder Services Group of Companies (ISS), mit ihren auch für deutsche Emittenten relevanten Continental Europe Proxy Voting Guidelines. Dahinter folgen die Richtlinien von Glass Lewis (GL), wobei für deutsche Emittenten nicht nur deren Guidelines Germany sondern ergänzend auch immer deren Continental Europe Guidelines gelten. An dritter Stelle liegt die von Glass Lewis akquirierte Tochter IVOX Glass Lewis. Ihre Abstimmungsempfehlungen stützen sich weiterhin auf die Analyse-Leitlinien für Hauptversammlungen des Bundesverbands Investment und Asset Management e.V. (BVI). Ebenfalls relevant für den deutschen Markt sind zudem die Abstimmungsempfehlungen der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) sowie die Richtlinien der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. für das Erstellen von Abstimmungsvorschlägen (SdK).

Zunehmend stützen institutionelle Investoren ihr Abstimmungsverhalten vermehrt auch auf eigene fortlaufend aktualisierte voting policies. Prominente Beispiele hierfür sind u.a. BlackRock, AGI, DekaBank, DWS und Union Investment.Aus der Sicht des Emittenten wirken die verschiedenen Abstimmungsrichtlinien wie eine Normen- und Richtlinienkaskade, die das Ermessen der Verwaltung bei Abfassung ihrer Beschlussvorschläge stetig reduzieren, zumindest wenn die Beschlussvorschläge so wenig wie möglich Gegenstimmen provozieren sollen.

Was sind die wesentlichen Änderungen für die Hauptversammlungssaison 2020?

Auch für die laufende Hauptversammlungssaison haben die genannten Stimmrechtberater und Aktionärsvereinbarungen ihre Guidelines wieder aktualisiert. Die wesentlichen Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen.

ISS:

  • Eine kleinere Erweiterung erfuhr zunächst der Ablehnungstatbestand für Aufsichtsratskandidaten. Ihre Ablehnung wegen einer unerklärt geringen Sitzungsteilahme bezieht sich nun nicht mehr nur auf Aufsichtsratssitzungen, sondern auch auf Ausschusssitzungen (vgl. ISS CE, S. 7).
  • Bei den sog. widely held companies sollen Kandidaten, die für den AR-Vorsitz vorgesehen sind, unabhängig sein. Resultiert aus seiner mangelnden Unabhängigkeit eine zu geringe Unabhängig des Gesamtgremiums, kann dies eine Ablehnungsempfehlung von ISS zur Folge haben (vgl. ISS CE, S. 9).
  • Gleiches gilt für die Wahl des Vorsitzenden des Nominierungsausschusses, wenn dem Aufsichtsrat kein einziges weibliches Mitglied angehören wird („no female board member“), ohne dass eine baldige Abhilfe („mitigating factor“) zumindest in Aussicht gestellt wird (vgl. ISS CE, S. 12).
  • Zusätzlich zur Stellungnahme von ISS zur Wichtigkeit einer Verwendung von ESG-Kriterien bei Bemessung der Vorstandvergütung wird ISS künftig stärker auch auf eine mangelnde „Responsiveness“ eingehen (u.a. durch Ablehnung eines Kandidaten der den Vorsitz im Vergütungsausschuss übernehmen soll, vgl. ISS CE, S. 23).
  • Mit der Begründung, dass man damit ein Richtlinienvakuum füllen möchte, wird die 10%-Schwelle der US guidelines  für Kapitalmaßnahmen, die für ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm vorgesehen sind, nun auch für Europa und damit auch für Deutschland angewendet (vgl. ISS, CE S. 23).

Ausblick für 2021: Wichtig ist zudem der Ausblick von ISS auf eine für die nächste HV-Saison (ab dem 1. Februar 2021) bereits jetzt angekündigte Änderung, nach der dann auch für Deutschland nur noch eine Wahl von Aufsichtsräten für eine vierjährige Amtszeit unterstützt werden wird („the policy update would reduce the acceptable maximum limit on board terms for Germany and Austria from five to four years beginning in 2021“, vgl. ISS (EMEA Policy Updates for 2020, S. 19f.).


Glass Lewis:

  • Eine strengere Position nimmt Glass Lewis hinsichtlich längerer Amtszeiten der Aufsichtsratskandidaten ein. Vertreter der Anteilseigner gelten nunmehr bereits ab 12 Jahren und nicht mehr nur ab 15 Jahren Zugehörigkeit als nicht mehr unabhängig; weiterhin wird Glass Lewis Aufsichtsräte allerdings nicht allein wegen ihrer Amtszeit ablehnen, sofern keine weiteren wesentlichen Bedenken gegen ihre Leistungsfähigkeit bestehen (GL Germany, S. 12).
  • Zusammen mit dem Wahlvorschlag sollte zudem offengelegt werden, welcher Kandidat für den Aufsichtsratsvorsitz vorgesehen ist. Denn andernfalls wird für die Analyse der Wahlvorschläge unterstellt, dass sämtliche Kandidaten die strengeren Zustimmungskriterien für den AR-Vorsitz erfüllen müssen (GL Germany, S. 12). 
  • Eine abweichende Abstimmungsempfehlung für den Vorsitzenden des Nominierungs-ausschusses oder ggf. auch für den AR-Vorsitzenden kann nun auch daraus folgen, dass keine ausreichenden Informationen, zur Bewertung der Fähigkeiten und Kompetenzen eines Kandidaten (board skills) gegeben werden bzw. die Nominierungen fortlaufend nicht dem für den Gesamtaufsichtsrat erforderlichen mix of skills  Rechnung tragen (GL CE, S. 10).
  • Zudem können Verwaltungsvorschläge, bei denen bereits mind. 20% der Aktionäre gegen den Vorschlag der Verwaltung oder für einen Gegenvorschlag der Aktionäre gestimmt hatten, auf der Basis einer case-by-case Analyse abgelehnt werden, sollte die Verwaltung auf der darauffolgenden HV hierauf keine entgegenkommende Reaktion zeigen, „some level of responsiveness“ (GL CE, S. 8f.).
  • Hinsichtlich genehmigten Kapitals rechnet Glass Lewis damit, dass Investoren immer weniger Akzeptanz für Verwässerungen zeigen werden, was sich künftig in einem Gesamtcap von 20% für Kaptalmaßnahmen mit Bezugsrechtsauschluss niederschlagen kann.


IVOX Glass Lewis (BVI):

  • Für die Wahl von Aufsichtsräten führen die BVI-Richtlinien eine Obergrenze für die Dauer der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat von maximal 15 Jahren ein. Wie bisher gelten Aufsichtsräte jedoch schon ab einer Zugehörigkeit von zehn Jahren nicht mehr als unabhängig.
  • Hinsichtlich Say on Pay verlangt BVI einen mindestens vierjährigen Abstimmungsturnus für das Vorstandsvergütungssystem, was ARUG II entspricht.
  • Für Erhöhungen das genehmigten bzw. bedingten Kapitals (ohne Ausschluss des Bezugsrechts) legt BVI nun einen Cap von 30% (vorher 40%) des Grundkapitals an. Bei Ausschluss des Bezugsrechts liegt dies Schwelle künftig sogar bei nur 10% (vorher 20%).
  • Grundsätzlich sollten Personen, die in einem anderen Unternehmen geschäftsführend tätig sind, nicht den Vorsitz in einem Aufsichtsrat innehaben.
  • Angekündigt wurde zudem eine kurzfristig anstehende Überprüfung von Ziffer 1.3 der Leitlinien zum Thema Organvergütung sowie eine grundsätzliche Befürwortung zeitgestaffelter Laufzeiten für Vorstands- und Aufsichtsratsmandate („staggered boards“) aus Gründen einer besseren Nachfolgeplanung.


DSW:

  • Eine abweichende Abstimmung über die Gewinnverwendung ist nun auch bei einer nachträglichen Änderung der bereits kommunizierten Dividendenstrategie möglich (nicht nur mehr bei ihrem Fehlen oder ihrer Nichtanwendung).
  • Entlastung: Eine abweichende Abstimmungsempfehlung ist möglich, wenn die Unternehmensstrategie nicht ausreichend auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist sowie bei Defiziten in der Nachhaltigkeitsberichterstattung; ESG-Verfehlungen müssen nicht mehr schwerwiegend sein, um eine Abweichung zu rechtfertigen; bei Aufsichtsräten kann zudem auch eine unangemessene Aufsichtsratsvergütung zur Verweigerung der Entlastung führen.

Aufsichtsratswahl: Ein Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat sollte die „absolute Ausnahme" darstellen und ist zu begründen; die Unabhängigkeit des Aufsichtsrates erfordert dann ein Cooling-off von mind. zwei Jahren. Eine abweichende Abstimmung kann zudem nunmehr auch bei einer wenig überzeugenden Erklärung zur Unabhängigkeit und zu den Kompetenzen der Kandidaten erfolgen (statt nur bei einer fehlenden Erklärung). Ein Kandidat für den Aufsichtsrat gilt nicht mehr als unabhängig, wenn er dem Aufsichtsrat nach seiner Wahl länger als zwei volle gesetzliche Amtszeiten angehören wir. 


  • Thema zeitliche Verfügbarkeit: Vorstände sollten nicht den AR-Vorsitz bei einer anderen Gesellschaft übernehmen; generell bestehen Bedenken bereits bei drei (statt fünf) externen, börsennotierten / vergleichbaren Mandaten (auch ausländische); ein AR-Vorsitz wird insoweit doppelt gezählt.
  • Für Vorratsbeschlüsse für Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht erfolgt eine Absenkung des Caps auf 40% (vorher 50%).
  • Bei Abstimmungen über Aktienrückkaufprogramme kann eine Abweichung nun auch wegen der Verschuldungssituation der Gesellschaft (und nicht mehr nur wegen ihrer Liquiditätslage) erfolgen.
  • Vorstandsvergütung: Eine abweichende Abstimmungsempfehlung ist nun auch bei unangemessen hoher (bzw. ohne besondere Gründe unüblich hoher) Vergütung des Gesamtgremiums möglich (nicht mehr nur bei einzelnen Vorständen) sowie bei einer fehlenden Ausrichtung an langfristiger und nachhaltiger Entwicklung (auch sofern dies nur den variablen Anteil betrifft). Zudem ist eine abweichende Abstimmungsempfehlung möglich, sollte der variable Anteil der Höhe nach nicht überwiegend sein. Die Darstellung im Bericht sollte auch in Tabellenform erfolgen und hat insbesondere zum Peer-Group Vergleich transparent zu sein.


SdK:

  • Die SdK wird einem Downgrading bzw. Delisting wegen der damit einhergehenden Transparenzverringerung zumeist kritisch gegenüberstehen. Die Entlastungsentscheidungen in den Folgejahren werden davon abhängig sein, welches zukünftige Verhalten der Vorstand (u.a. hinsichtlich Transparenz) zeigt und welche dauerhaften Folgen sich für das Unternehmen und seine Aktionäre aus dem Downgrading bzw. Delisting ergeben.
  • Die Güte der nicht finanziellen (CSR-)Berichterstattung gewinnt an Bedeutung für Abstimmungsempfehlungen.
  • Effektive Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat: Die Teilnahmequote der AR-Mitglieder an den Sitzungen soll mindestens 50% betragen. Zudem sollte ein AR-Mitglied nicht länger als 15 Jahre im Amt sein.
  • Die Variable Vorstandsvergütung muss am langfristigen Erfolg des Unternehmens bemessen werden (u.a. durch eine Haltefrist von drei Jahren).
  • „Overboarding“: Nicht nur bei Neuwahlen, sondern auch bei bereits gewählten Aufsichtsräten wird vermehrt darauf geachtet, dass Berufsaufsichtsräte nicht mehr als fünf Mandate bzw. Personen, die daneben auch noch operativ tätig sind (z.B. Vorstände), nicht mehr als drei Mandate innehaben.
  • Wechsel von Vorstand in Aufsichtsrat: SdK hält nunmehr eine Cooling-off-Periode von drei Jahren für angemessen (statt wie bisher von 10 Jahren).
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