Seit dem 28.06.2025 müssen Websites im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern barrierefrei sein, um den Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) zu entsprechen. Eine scheinbar einfache und kostengünstige Lösung bieten „Overlay-Tools“. Overlay-Tools sind Zusatzprogramme, die Websites mit Funktionen wie Kontrastwechsel, Vorlesemodi oder größerer Schrift „überlagern“. Diese Funktionen können zwar Websites spezifischen Nutzergruppen mit besonderen Bedürfnissen zugänglicher machen. In unserer Beratungspraxis beobachten wir aber, dass Overlay-Tools bei den anspruchsvollen internationalen Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG 2.1) mitunter an ihre Grenzen stoßen.
Für Unternehmen im elektronischen Geschäftsverkehr und Anbieter von Overlay-Tools sind daher die nachstellend dargestellten Unwägbarkeiten mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden:
- Inhalte müssen nach WCAG 2.1 für jeden Nutzer wahrnehmbar sein. Dazu gehört auch, dass über Darstellung vermittelte Informationen, Struktur und Beziehungen, durch unterstützende Software bestimmbar sind oder in Textform zur Verfügung stehen (WCAG-Kriterium 1.3.1).
>>> Strukturelle Barrieren der Website durch beispielsweise irreführend dargestellte Überschriftenhierarchien sind für Overlay-Tools mitunter nicht zuverlässig fassbar.
- Die Interaktionen auf der Webseite müssen nach WCAG 2.1 auch für Menschen mit Behinderung bedienbar sein. Zentral ist hier die umfassende Bedienbarkeit durch eine Tastaturschnittstelle (WCAG-Kriterium 2.1.1).
>>> Overlays können im Einzelfall die Tastaturnavigation durch eingeblendete Toolbars sogar verschlechtern.
- Informationen und Bedienkonzepte müssen nach WCAG 2.1 verständlich sein. So müssen dem Nutzer für automatisch erkannte Eingabefehler Korrekturempfehlungen bereitgestellt werden (WCAG-Kriterien 3.3.1 und 3.3.3).
>>> Fehlt eine entsprechende Logik im Code der Website, ist dies mit Overlays allein nicht kompensierbar.
- Inhalte müssen nach WCAG 2.1 robust sein, also auch mit unterstützenden Technologien funktionieren (z.B. maschinelle Lesbarkeit für Screenreader). Dafür muss jedes interaktive Element auf einer Website für assistive Technologien eindeutig erkennbar sein (WCAG-Kriterium 4.1.2).
>>> Overlay-Skripte versuchen, entsprechende Fehler im Code der Website nachträglich mit sog. ARIA-Attributen zu „übermalen“. In der Praxis zeigt sich, dass manche Screenreader die dynamisch gesetzten ARIA-Attribute nicht verarbeiten können.
Rechtliche Herausforderungen, die mit Overlay-Tools einhergehen, schmälern indes nicht deren potenziellen Wert für das übergeordnete Ziel der digitalen Barrierefreiheit! Overlay-Tools können wertvolle Ergänzungen leisten, kurzfristige Provisorien schaffen und für nachhaltige Barrierefreiheit sensibilisieren. Gleichwohl lässt sich digitale Barrierefreiheit im Sinne des BFSG nur über semantisch sauberes Coding und inhärente Logik im Aufbau einer Website erreichen. Es ergibt sich daher sehr wohl Handlungsbedarf; sowohl für Unternehmen im elektronischen (B2C-)Geschäftsverkehr, als auch für Anbieter von Overlay-Tools.
- Rechtlich auf der „sicheren Seite“ sind Unternehmen im elektronischen B2C-Geschäftsverkehr nur mit einer lückenlosen Umsetzung der WCAG 2.1-Standards auf ihren Websites. Zumal bei einem BFSG-Verstoß Bußgelder von bis zu EUR 100.000 drohen. Bei Verwendung von Overlay-Tools gilt es zu prüfen: Was kann das Tool (nicht)? Wofür steht der Anbieter des Tools (vertraglich und haftungsseitig) ein?
- Anbieter von Overlay-Tools sollten prüfen und dokumentieren, inwieweit ihre Produkte tatsächlich BFSG-Konformität gewährleisten – und keinesfalls mehr versprechen, als sie halten können. Denn das irreführende Anbieten vermeintlich rechtssicherer Lösungen kann wettbewerbsrechtlich Folgen, etwa kostenpflichtige Abmahnungen, nach sich ziehen. Ferner sind zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von Business-Kunden denkbar, die sich durch die Nutzung des Overlay-Tools in falsche Sicherheit gewogen haben. Es lohnt sich, mit klaren Spezifikationen und ggf. Lastenheften zu arbeiten, die Verantwortungsabgrenzung auch in der digitalen Liefer- und Dienstleisterkette sicherzustellen.